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Ich glaube, sie ist wirklich in mich verliebt. Ich wollte es lange nicht wahrhaben, aber in letzter Zeit häufen sich die Anzeichen. Gestern Abend, als ich an ihrem Bett saß, streichelte sie meine Hand. Vor einer Woche war sie auf der Hochzeit ihrer Enkelin. „Und weißt du, an wen ich dachte?“ fragte sie mich.
Ich lächelte verlegen.
„Wie lange kennen wir uns?“
„Drei Jahre.“
Ihre Hand lag auf meinem Unterarm. Ich wollte meinen Arm nicht zurückziehen.
„Wir hatten eine schöne Zeit“, sagte sie.
„Es ist immer gut, wenn sich zwei Menschen verstehen ...“, ich war peinlich berührt und suchte nach Worten. Ich wollte ihre Gefühle nicht verletzen. Also versteckte ich mich hinter Beliebigkeiten.
Sie sah lustig aus, wie sie da im Bett lag mit dem Haarnetz auf dem Kopf, das leicht nach oben gerutscht war. Als sie meinen Blick bemerkte, zog sie es zurecht.
„Weißt du, was über uns geredet wird?“
„Nein.“
„Sie sagen, wir hätten etwas miteinander.“
„Wer sagt denn so einen Quatsch?“
„Die da draußen.“ Sie meinte die anderen Alten, wenn sie zusammensaßen.
Ich winkte ab. Der Schwesternruf meldete sich mit einem Piepsen. Mein Retter in schwülen Momenten. Ich löste meinen Arm von der Hand der 91jährigen Greisin, erhob mich und wünschte ihr eine Gute Nacht.
Auf dem Flur atmete ich tief durch. Seit sie mir das Du angeboten hatte, sprach sie öfter von uns, als hätten wir tatsächlich eine Art Beziehung. Sie hat eine große Sehnsucht nach Zärtlichkeit und menschlicher Zuwendung. Ihre Söhne können ihr das in dieser Form nicht geben.
„Sie darf sich da nicht zu sehr hineinsteigern“, dachte ich auf dem Weg zum nächsten Bewohner, „wer weiß, was sie auf der Station über uns herum erzählt ...“
bonanzaMARGOT
- 20. Sep. 13, 11:15
- Nach der Nachtwache ist vor der Nachtwache