Dienstag, 10. September 2013

Vorherbstliche Narretei


Langsam nimmt der Herbst Anlauf. Es wird etwas ungewohnt für mich sein, wieder in die langen Bluejeans zu schlüpfen und Strümpfe anzuziehen.
Die Jahre reihen sich wie Perlen auf einer Schnur aneinander. Ich blicke auf nahezu 51 zurück. 51 mal durchlief ich die vier Jahreszeiten, freute mich auf Frühling und Sommer und freute mich auf den ersten Schnee. Nun wird bald der Herbst die Landschaft mit seinen Rot-, Gelb- und Brauntönen in ein bezauberndes, buntes Bild verwandeln. Wind und Feuchtigkeit wird die Tage bestimmen, - die Luft nach Erde riechen. Wenn ich zum Nachtdienst fahre, wird der Abend dämmern, und morgens werde ich im Dunkeln nach Hause kommen ...
Schwer ist mir ums Herz. Es liegen aufwühlende Monate hinter mir. Der Kreislauf des Lebens schlug gewaltig zu. Wir selbst haben unsere Jahreszeiten. Es wird der Tag kommen, an dem wir loslassen müssen und wie ein Blatt von einem Ast hinunter auf die Erde torkeln, um dort zu verrotten.
Langsam nimmt der Herbst Anlauf – auch für mein Leben. Nun, ich will diese Analogie nicht überanstrengen. Man kann froh sein, wenn man halbwegs gesund in das fortgeschrittene Alter kommt. Die Früchte des Lebens schmecken dann süßer, aber man selbst gewinnt an Herbe – im Aussehen und in der Stimme. Vielleicht wird man auch knorriger im Wesen und ächzt verstärkt unter den Lasten ...
Gestern Abend überlegte ich mir, ob das Leben nicht ein großes Rätsel ist. Erst im Tod offenbart sich die Lösung. Das Bewusstsein, wie wir es in unserem Alltag erfahren, versperrt uns die Sicht hinter die Dinge, hinter die Bühne des Daseins. Wir erleben nur den winzig kleinen Ausschnitt unserer Bedürfnisse und Nöte, unseres Glücks und unserer Niederlagen. Jeder geht seinen Weg anders, jeder sieht die Welt unterschiedlich. Trotzdem kommen wir aus einer Quelle. Tief in uns gleichen wir uns mehr, als uns lieb ist. Die Liebe ist eine von zwei Kräften, welche alle Grenzen überwindet. Die andere Kraft ist unser Verstand. Und beide Kräfte können versagen.
Müssen wir bis zum Tod auf das Licht für unsere Seelen warten? Als Künstler bin ich ungeduldig. Ich werfe dem Leben mein Herz zu Füßen. Ich streite mit der Oberflächlichkeit. Ich hadere mit der gesamten Existenz. Töricht wie Der Ritter von der traurigen Gestalt jage ich einem Gespenst hinterher – das bin ich selbst!
Es gibt viele Momente, wo ich innehalte und mich frage: „Bin ich das?“ Oder: „Wer ist das?“
Und weitergesponnen: „Wer sitzt in meinem Kopf und gibt vor, ich zu sein? Wie viel ist mein Bewusstsein eigentlich wert?“
Sind das allzu morbide Gedanken? Verliere ich mich, wenn ich mir solche Fragen beharrlich stelle? Und wer sollte mir die Fragen beantworten, wenn das Ich nur eine Farce ist – eine Irreführung? Wer bin ich noch ohne diesen Popanz? Worin steckt des Rätsels Lösung?

Ob das meine einzigen Probleme sind, die ich habe? Dann müsste es mir doch gut gehen. Ihr habt recht. Ich vergesse oft, warum ich hier bin. Unter der Oberfläche gibt es nichts mehr. Es gibt kein „Hinter der Bühne“. Die Kunst ist nur Mache für elitäre Gefühle, - und das Philosophieren eine Sache der Narren.

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