Freitag, 3. Mai 2013

TV-Tipp:

"Der Sinn des Lebens für 9,99$", 22 Uhr 35, 3sat

Platz schaffen


Es gab einmal eine Frau, die spannte eine Schnur wie eine Wäscheleine unter der Zimmerdecke, woran sie die Postkarten hängte, die ich ihr geschickt hatte. Wenn ich in ihrem Bett lag, sah ich meine Karten dort oben baumeln. Ich konnte gar nicht nicht hinschauen. Nach wenigen Monaten war die „Leine“ voll, und sie musste die neuen Postkarten über die alten clippen.
Tja, Fernbeziehungen … Das Platzproblem ist seit ein paar Monaten gelöst. Sie wird die „Leine“ längst abgenommen haben. Ich weiß noch, als sie, kurz nachdem wir uns verliebt hatten, die Photos von ihrem Ex entfernte, jedenfalls so, dass sie mir nicht ins Auge sprangen, also z.B. neben dem Bett. So ist das – immer muss man Platz schaffen für Neues. In der Wohnung wie auch in Kopf und Herz. Wobei das Platz schaffen in der Wohnung noch die leichteste Übung darstellt. Ich kann die Artefakte aus alten Beziehungen, die ich entsorgte, nicht zählen: Bilder, Briefe, Postkarten, Geschenke … Aber niemals warf ich alles weg, so dass immer ein paar Erinnerungsstücke an alte Zeiten und alte Liebschaften blieben. So mache ich es mit allen Dingen meines Lebens: Ich schmeiße viel aber nicht alles weg. Einige Sachen behalte ich zur Verdeutlichung meiner gelebten Vergangenheit (meiner Biographie), so dass ich, falls ich Lust dazu habe, als Archäologe in eigener Geschichte tätig werden kann.
Dazu kam mir gestern eine neue Blog-Idee: Wie wäre es, wenn ich meine alten Tage- und Notizbücher in einem Extra-Blog aufarbeitete? Es betrifft meine Prä-Computer-Zeit, als ich das Meiste handschriftlich notierte. Ich würde mir also meine alten Aufzeichnungen vornehmen und sie chronologisch Tag für Tag in ein Blog schreiben. Natürlich redigiert. Sozusagen ein Tagebuch aus der Vergangenheit … Eine kleine Zeitreise für mich und die Leser – sofern sich jemand dafür interessiert. Jedenfalls wäre ich durch dieses Projekt motiviert, meine alten Sachen peu à peu zu überarbeiten. Bisher fehlte mir nämlich immer der Antrieb dazu. Wenn ich mir jeden Tag adäquat nur einen Tagesbeitrag aus den Notizbüchern vornähme, sollte es keine große Mühe darstellen.
Das Mysterium der Zeit – wie wir uns unsere Zukunft vorstellen, und wie wir uns in der Vergangenheit wiederentdecken, faszinierte mich schon immer. Inzwischen habe ich genug Stoff aus der Vergangenheit. Das Leben ist ein Bild, das sich umso mehr offenbart, desto mehr man von ihm sieht. Meist leben wir nur im Segment der Gegenwart – und wundern uns vielleicht, wie wir dorthin gelangten. Dabei könnten wir uns selbst die Zukunft lesen, wenn wir mutig und ehrlich auf unser Leben blicken. Und danach sind wir erst wirklich frei für Neues.

ein literarisches Tagebuch

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