Ich höre Menschen in meinem Kopf reden. Nein, nicht wirklich. Es sind vorgestellte Stimmen. Was sie denken. Wie sie urteilen. Sie leben woanders als ich. Die Berührungspunkte schmelzen dahin in einem letzten Winter.
Der Verkehr auf der Talstraße fließt wie jeden Tag. Die Rechnungen landen pünktlich im Briefkasten. Das Altenheim auf dem Berg existiert fort. Ich sehe mich in der Nacht darin sitzen und arbeiten. Ich spüre den Wind und die Kälte auf der Terrasse. Jedes Stöhnen, Husten und Schnarchen ist mir vertraut. In den Pausen lege ich die Beine hoch, falle in Sekundenschlaf. Der erscheint mir manchmal wie eine Ewigkeit. Ich kämpfe gegen die Müdigkeit wie gegen einen imaginären Drachen, der mich fressen will.
Ein Bewohner verstarb. Er erfror. Er stürzte auf seiner Terrasse. Rauchen ist in den Zimmern verboten. Die Kollegen vom Frühdienst fanden ihn. Die Kripo kam. Ich bin froh, dass ich nicht Nachtdienst hatte.
Das Leben geht weiter. So platt und wahr. Es ist scheußlich, dass das passierte. Ich huste über ein inneres Lachen hinweg. Die Menschen in meinem Kopf reden. Weil ich ihre Sprüche höre, lache ich. Es sind immer dieselben Sprüche.
Heute vor achtundsechzig Jahren passierten die schrecklichen Luftangriffe der Alliierten auf Dresden. Die Bilder und Zeitzeugenberichte sind erschütternd. Unfassbar sind die Schrecken des Krieges. Die Menschen sind traumatisiert. Eine Überlebende sagt, dass sie in jenen Tagen ihren Gottesglauben verlor … und vieles mehr. Ein ehemaliges Besatzungsmitglied der Bomber sagt mit Tränen in den Augen, dass wir Menschen nicht daraus lernen … wieder dieselben grauenhaften Dinge tun.
Die Doku macht mich betroffen. Manchmal höre ich von den Alten im Altenheim Sätze wie: „Das können sich die jungen Leute heute gar nicht vorstellen – was wir alles mitmachten.“
„Nein, wir kennen den Krieg nur noch aus dem Fernsehen“, sage ich, „Gott sei Dank.“
Die Erinnerungen an die Schrecken des Krieges sollten lebendig gehalten werden. Jeder Krieg ist ein Verbrechen, und die Soldaten machen sich zu Mördern. Wie leichtsinnig werden oft Kriege geführt. Die Motive fadenscheinig. Die Verteidigung Deutschlands am Hindukusch. Bündnispflichten. Krieg gegen den Terrorismus. Gegen die Achse des Bösen.
Leidtragend ist die Zivilbevölkerung. Sie wird zwischen den Kriegsparteien zermahlen, hin und her geschubst.
Wir sollten uns nichts vormachen: Die wenigsten Kriege werden aufgrund edler Gesinnung geführt, um den Menschen zu helfen, sie aus der Geißelung von Regimen zu befreien. Es geht fast immer um Machtinteressen, Ideologie, Vaterland, um Vergeltung, um blinde Wut und Irrsinn. Es gibt keinen sauberen Krieg. Wo gehobelt wird, fallen Späne.
Krieg ist in jedem Fall barbarisch. Er zeigt, dass wir viel weniger zivilisiert sind, als wir meinen. Toleranz, Friedfertigkeit, Gerechtigkeit und Moral fallen nicht vom Himmel ...
Millionen Menschen mussten in den Weltkriegen sterben, damit wir heute diese lange Friedensperiode in Mitteleuropa erleben können. Meiner Meinung nach tragen wir diesem Umstand ungenügend Rechnung. Wir sollten mehr für den Frieden auf der ganzen Welt tun. Die Maxime sollte lauten: Frieden schaffen ohne Waffen. Stattdessen ist Deutschland der drittgrößte Waffenlieferant der Welt.
Mir gibt das zu denken. Ich habe kein großes Vertrauen in die Politik, was die Bewahrung des Friedens angeht.