Samstag, 9. Februar 2013

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"Dunkelblaufastschwarz", 21 Uhr 45, Einsfestival

Eichhörnchen




zusammengeschustert

Herta Müller, "Niederungen"


Ein blendend heller Tag. Über Nacht hat es geschneit, und nun reflektiert der Schnee das Sonnenlicht. Ja, die Sonne scheint. Knapp überm Berg. Ich sehe jedenfalls große Flächen blauen Himmels. Und ein Wirrwarr weißer Zweige und Äste. So stelle ich mir das in meinem Kopf vor. Ein Neuronenwald. Man trifft überall in der Natur auf ähnliche Strukturen. Die fraktale Welt.
Vielleicht springt in meinem Kopf auch ein Eichhörnchen von Ast zu Ast, und das wäre ICH mit meinen Gedanken und Emotionen. Mal flink, mal behäbig, mal gar nicht.
Heute geht es so. Die Erkältung kotzt mich an. Niese und huste nach wie vor gelben Schleim ab. Rieche fast nichts. Bei der Arbeit im Altenheim kein Fehler. Aber noch habe ich zwei Tage zum Auskurieren des Katarrhs.
Viel geschafft habe ich nicht in den Tagen zuhause – von wegen Wohnung putzen. Wenigstens das Bad.
Und! Endlich las ich "Niederungen" von Herta Müller zu ende. Nicht dass ich Herta Müllers Schreibe nicht mag. Im Gegenteil. Sie schreibt ungeheuer eindrücklich. Was es halt schwer macht. Obwohl man sich sicher besser einlesen könnte als ich. Wäre man nicht so ein fauler Sack.
Die „Niederungen“ sind ein intensiver Lesestoff. Sprachlich ungeheuer dicht. Detailliert bis zur Überspitzung schildert Herta Müller episodisch / szenisch das Dorfleben (der deutschen Banatschwaben im kommunistischen Rumänien) während ihrer Kindheit und Jugend. Die düstere und muffige Atmosphäre klettert förmlich aus den Zeilen heraus. Die Sprachbilder expressionistisch verzerrt, so dass sie einen kitzeln und zwicken, was für mich den hauptsächlichen Lesereiz ausmachte.


Lesebeispiel 1 (Niederungen):

Der Kater kommt, wälzt die tote Maus mal auf den Rücken, mal auf den Bauch, bis sie sich nicht mehr regt.
Gelangweilt beißt der Kater den Kopf ab. Es knirscht in seinem Gebiss. Manchmal sieht man beim Kauen seine Zähne. Knatschend geht er davon. Der Bauch der Maus bleibt liegen, grau und weich wie Schlaf.
Er ist satt, sagt Mutter. Es ist die vierte, die ich ihm heute gefangen hab. Er selbst fängt sich ja keine. Da laufen sie ihm zwischen den Pfoten herum, und er schläft.
Körbe werden mit Mais gefüllt. Der Speicher wird immer größer. Wenn er ganz leer ist, wird er am größten sein.
Die Maiskolben rollen mir wie von selbst in die Hände und fallen wie von selbst in den Korb.
Die Handfläche schmerzt nur, wenn sie leer ist. Wenn der Mais daran reibt, fühl ich den Schmerz nicht mehr, er ist so stark, dass er sich selber tötet. Es kribbelt, und dann gibt es die Hand mit der Handwurzel und den Fingern nicht mehr.
Ich nehme die Kolben von unten. Ich baue einen Gang für die Flucht der Mäuse. Ich habe dabei einen dicken Knoten Angst in der Kehle stecken, einen dicken Knoten Atem.
Zwei Mäuse klettern an der Lattenwand hoch. Mutter teilt zwei Hiebe aus, und sie fallen herab.
Der Kater beißt zwei Köpfe ab. Seine Zähne knirschen.



Lesebeispiel 2 (Dorfchronik):

Die Häuser haben in zwei Teile geteilte Höfe, die im Dorf Vorderhöfe und Hinterhöfe genannt werden. In den Vorderhöfen, unter dem haushohen Weintraubenspalier und zwischen den gestutzten Samtrosensträuchern, stehen die bunten Gartenzwerge und die großen grünen Laubfrösche, die im Dorf Gartenfrösche genannt werden. Im Hinterhof sind das Geflügel und die dunklen dampfenden Räumlichkeiten, in denen gekocht, gegessen, gewaschen, gebügelt und geschlafen wird, die im Dorf Sommerküche genannt werden. Die Dorfleute teilen die Woche nach dem Kochprogramm in Fleischtage und in Mehltage ein. Die Dorfleute essen gefettet, gesalzen, gepfeffert. Wenn der Dorfarzt ihnen aber das Fetten, Salzen und Pfeffern verbietet, essen sie ungesfettet, ungesalzen und ungepfeffert und sagen während des Essens, dass nichts über die Gesundheit geht und dass das Leben nicht mehr schön ist, wenn man nicht mehr alles essen darf, und: Gutes Essen macht Sorgen vergessen.


Lesebeispiel 3 (Die Meinung):

Es war einmal ein Frosch, der hatte besonders dicke und nasse Augen. Der Frosch arbeitete in einem Betrieb. Er war Ingenieur. Er war im Betrieb sowohl bei den Chefs als auch bei den Arbeiten nicht gut angesehen. Der Frosch hatte immer und überall eine Meinung. Und das Schlimmste an dieser Meinung war, dass es eine eigene Meinung war, die immer anders als die Meinung der anderen war, die die Meinung des Chefingenieurs war, die wiederum die Meinung des Direktors war, die wiederum die Meinung des Generaldirektors war, die wiederum die Meinung des Ministers war.


(aus "Niederungen" von Herta Müller)

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