boMAs Gedichte und Texte
Und nun. Ich sitze hier.
Aber. Jeden Tag sterben tausende von Menschen. Bisher starben immer nur andere.
Wir sehen es jeden Tag im TV.
Nun betrifft es meine Eltern. Wo stehe ich? Was empfinde ich?
Mein Rücken schmerzt von den vielem Hin- und Her in den Nachtwachen.
Die Alten sagen zu mir regelmäßig: Alt werden ist nicht schön.
Und ich antworte: Auch junge Menschen kann es erwischen.
Darauf sagen sie meist nichts.
Ich verstehe ihr Selbstmitleid.
Doch nervt es mich auch. Ich gehe von Zimmer zu Zimmer.
Seit Jahren. Und die Alten klammern sich an mich.
Für ein Gespräch oder etwas menschliche Zuwendung.
Sie haben ihr Leben hinter sich – das sagen sie selbst. Sie haben Angst vor dem Tod.
Das sagen sie selten direkt. Ein paar Wenige sagen, dass sie lieber sterben wollen.
Ohne Selbstmitleid. Und ihnen glaube ich auch. Wir lachen manchmal.
Das nennt man Schwarzen Humor.
Ich liebe die Alten, wenn sie noch … eine Übersicht behalten.
Euthanasie? „Nein“, sage ich.
Ich arbeite in einem christlichen Heim. Ich bin zwar als junger Mann aus der Kirche ausgetreten,
aber ich finde die christlichen Werte nicht schlecht. Mitmenschlichkeit und so weiter.
Die meisten Alten, die ich versorge, haben keinen Kontakt zu Gott. Sie fragen aber nach ihm.
Sie gehen in die Kirche, weil es gesellschaftlicher Duktus ist.
Es gibt gute und schlechte Pfarrer. Ich sah noch keinen, der mir die Sterbebegleitung in der Nacht abgenommen hätte.
Es wird von uns erwartet, dass wir das alles stemmen.
Ich frage mal nach, wo die Seelsorger sind (?!?)
Und nun. Meine Eltern. Irreversibel. Ich scheiße auf die Kirche, und ich scheiße auf unser Sozialsystem! Ich scheiße auf die Schule, und ich scheiße auf die Politiker!
Wem soll ich noch glauben? An was soll ich glauben?
Ein paar gute Menschen gibt es – und die werden erschossen oder ausgeschlossen.
Nein, einige überleben. Sogar unter uns.
Hier oder dort.
Nun ist es gut.
- 5 -
Brasko steuerte den gelben Hummer in eine Werkstatt unweit von der Stelle, wo er immer geparkt war. Sarah Wiener hatte das organisiert. Sie erwartete ihn schon.
„Hallo Brasko!“
„Hallo Frau Wiener, da ist also das Baby ihres Sohnes!“
„Vielen Dank, es soll ja eine Überraschung werden.“
„Ich glaube, die Überraschung wird Ihnen gelingen.“ Brasko konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen. „Und Sie glauben, dass es Mohammed gefallen wird?“
Sarah Wiener schaute ihn an, als hätte er etwas ganz ungehöriges gefragt.
„Es muss ihm gefallen!“
Brasko kratzte sich hinterm Ohr und enthielt sich eines weiteren Kommentars. Er schluckte.
„Ja, ich weiß, es ist nicht einfach zu verstehen“, setzte Sarah Wiener an, „wir waren damals jung und wild. Wir wollten etwas von der Welt sehen. In Saudi Arabien traf ich ihn ...“
„Osama Bin Laden – unglaublich!“
„Ja. Er war sehr charmant und gebildet und hatte nichts von einem Terroristen. Damals konnte ich nicht wissen, mit wem ich da ...“
„Zusammentraf“, ergänzte Brasko, „und Mohammed weiß, wer sein Vater ist?“
„Ich sagte es ihm, als er Achtzehn wurde. Ich glaube, jeder hat es verdient, die Wahrheit über seine Herkunft zu erfahren.“
„Aber seitdem ist er auf dem islamistischen Trip.“
Sarah Wiener senkte den Kopf. Brasko sah, dass sie still weinte. Er schaute bewusst weg und lehnte sich an den gelben Hummer. Sie fasste sich jedoch schnell wieder und blickte ihn mit feuchten Augen an. Ihre Stimme zitterte. „Mohammed verehrt seinen Vater. Er will so werden wie er. Er ist unbelehrbar.“
„Ich weiß“, rutschte es Brasko heraus, „aber vielleicht ist es nur eine Phase. Also ich weiß nicht, wie ich darauf reagieren würde, wenn mir jemand sagte, dass Hitler mein Opa sein soll.“
„Ach Brasko, ich bin seine Mutter. Verstehen Sie?“
„Natürlich, verstehe. Das Mutterherz.“
„Ich danke Ihnen, dass sie mir sein Baby brachten,“ sagte Sarah Wiener plötzlich wieder sehr trocken, „in drei Stunden können Sie den Hummer wieder abholen.“
„Drei Stunden?! Uff, da muss ich mir eine Erklärung für Mohammed zurechtlegen.“
„Dafür engagierte ich Sie.“
Brasko trat auf die Straße und schaute in den Himmel. Es fröstelte ihm. Der Herbst hielt Einzug. Er machte sich auf den Weg in die Stadt zum Kaffeehaus. Der Wind zerriss das graue Wolkenmischmasch, und ein paar Sonnenstrahlen fielen auf den Parkplatz, wo noch vor Kurzem der gelbe Hummer stand.
- 4 -
Blister, blaster, bluster. Die Welt war ein großer Scheißhaufen – auf die Menschheit bezogen. Brasko fühlte sich wie sein eigener Lieblingspullover, den er nach jedem Waschgang ausgeleierter aus der Maschine zog. Er wollte die Nachrichten gar nicht mehr hören, und doch ließ er sie laufen. Jeden verdammten Tag. Vielleicht hoffte er auf das eine entscheidende Wort, auf einen bestimmten Satz. Genauso verhielt es sich, wenn man durch ein Labyrinth irrte – man hoffte einfach, dass nach der nächsten Ecke der Ausgang sein würde. Dabei hatte sich Brasko innerlich längst damit abgefunden, eines Tages in einer dunklen Ecke dieses Irrgartens zu verrecken. Um Gottes Willen, nein! Brasko war nicht depressiv! Die Welt war es … Alles war auf eine magische Weise vorinstalliert. Nur mit Einbildungen, wie sie religiöse Menschen hatten, konnte man auf einer geistigen Subebene dem ganzen Irrsinn entfliehen. Blister, blaster, bluster. Man musste es nur glauben. Brasko konnte so`nen Scheiß nicht glauben. Was nicht heißt, dass er abschätzig auf die Religionen schaute. Nein, er bewunderte eher dieses Vermögen, zu dem er sich, Gott weiß warum, nicht durchringen konnte. Er reagierte einfach auf jedweden kollektiven Glauben allergisch. Seine Abneigung war noch nicht mal rational begründbar. Brasko war hin- und hergerissen: Manchmal dachte er: Und wenn jetzt doch was an dem ganzen Scheiß mit Allah, dem Koran oder der Bibel dran ist? Umso länger man durch das Labyrinth des Lebens irrte, desto verführbarer wurde man gegenüber allen möglichen Schimären. Die Wissenschaften konnten einem nicht wirklich bei diesen existentiellen Fragen weiterbringen. Die Wissenschaften verhedderten sich in ihren Definitionen und wurden (ab einer gewissen Tiefe) so auch zur Glaubenssache. Immerhin hatte der Mensch einiges über die Phänomene seiner Umwelt gelernt und Techniken entwickelt, die das Leben in vieler Hinsicht erleichterten. Man wusste noch nie so viel über die Welt, aber jedes Wissen generierte neue Fragen usw. usw. Der Irrgarten wurde lediglich größer und noch undurchschaubarer. Da war die Flucht in einfache religiöse Erklärungsbilder umso erklärlicher. Oder nicht? Brasko kratzte sich an seinem Bart, den er nicht hatte. Er stellte ihn sich einfach vor und musste unwillkürlich grinsen. Irgendwie war der Gedanke schon komisch, dass ein gläubiger Moslem einen Hummer besaß. Quark, die Welt war ein riesiges Irrenhaus. Es gab jede Menge Napoleons, Mohammeds, Dschingis Khans, Stalins und Hitlers. Und sie bekamen immer ihre Anhänger, die für sie in den Krieg zogen oder sich für sie in die Luft sprengten – blister, blaster, bluster.
Konnte der gelbe Hummer eine Antwort liefern? Sarah Wiener glaubte daran. Brasko dagegen blieb skeptisch. Morgen würde er mit Mohammeds Baby eine Runde drehen. Etwas mulmig war ihm zumute ...
Wie hieß es so schön in einer Werbung: Nichts ist unmöglich.
- 3 -
Manchmal vergingen die Tage wie im Fluge, und hinterher fragte man sich, ob man alles nur geträumt hatte. Es wurde Herbst, und Brasko musste zum ersten Mal den Elektro-Konvektor aus der Rumpelkammer holen, wenn er zuhause keinen kalten Arsch kriegen wollte. Er erinnerte sich an Jahre, als er die Herbststimmung genossen hatte. Diesmal war er sich nicht so sicher. Wenn er nur nicht so müde wäre.
Es half nichts. Schließlich traf er auf den Besitzer des gelben Hummers, Mohammed, einen jungen arabisch stämmigen Diskothekenbesitzer.
„Hey Alter, was willst Du?!?“
„Mein Name ist Brasko. Gehört Ihnen der gelbe Hummer?“
„Ja, Mann, und warum interessiert Dich das?“
„Oh, immer wenn ich hier vorbeikomme, denke ich: geile Karre – würde ich gern mal mit spazieren fahren.“
„Bist Du blöd, oder was?! Könnte ja jeder kommen! Und sowieso lasse ich keine Ungläubigen in mein Baby!“
„Regen Sie sich nicht auf, Mohammed, ich will Ihnen Ihr Baby nicht wegnehmen. Kennen Sie Sarah Wiener?“
Mohammed stand plötzlich da wie vom Donner gerührt. Aber er fasste sich gleich wieder und wetterte: „Ich kenne nur junge Fotzen! Sarah Wiener ist `ne Oma! Die kannst Du ficken, alter Mann Brasko! Mohammed fickt nur Jungfrauen!“
„Aber Sie kennen Sarah Wiener?“
„Was geht Dich das an?!?“
Brasko hatte den wunden Punkt erwischt und sagte ruhig, beinahe zischend: „Na ja, Mohammed, es geht mich nichts an, wie Sie zu Sarah Wiener stehen, ich möchte nur mit ihrer geilen, gelben Bumskarre eine Runde drehen. Wollen Sie mir diesen Wunsch wirklich abschlagen?“
Man merkte, wie Mohammeds graue Zellen ein gutes Weilchen hinter seiner Stirn rotierten. Am liebsten wäre er Brasko an die Kehle gesprungen, aber schließlich lächelte er gewitzt – ähnlich wie Wicki der Wikinger bei seinen Erleuchtungen in den Kindersendungen. Er holte Luft und setzte zu einer längeren Rede an:
„Brasko, Du bist mutig, kommst hierher und fragst Mohammed, ob Du Dir sein Baby ausleihen darfst. Ich mag Menschen, die beweisen, dass sie einen Schwanz in der Hose haben, - für einen Ungläubigen sehr ungewöhnlich. Und darum werden bald auch alle Ungläubigen von der Erde verschwunden sein. Verstehst Du? Wir brauchen Euch nicht mal weg zu bomben, weil Ihr aussterben werdet! Weil Ihr keinen Schwanz in der Hose habt!“ Mohammed japste vor Lachen und fuhr fort: „Bald sind wir alle Kinder des Propheten! Wir werden Euch von der Erde ficken!“
Brasko hörte geduldig den Ausschweifungen zu. Sollte Mohammed noch ein bisschen von der islamischen Weltrevolution reden, letztendlich würde er klein beigeben.
„ …, Brasko, hast Du überhaupt einen Führerschein?“
„Klaro“, log Brasko lächelnd.
- 2 -
Man kann sich doch mal irren. Das ganze Leben könnte ein Irrtum sein. Typische Brasko-Gedanken. Die iranische Atomrakete war ins Rote Meer gestürzt und nicht mal explodiert. Gott sei Dank. Die Welt atmete auf und Ahmadinedschad aß aus Verzweiflung Bio-Produkte. Über ihm schwebte das Damokles Schwert. Der Präsident wusste es. Aber vielleicht gab es eine zweite Rakete. Und eine dritte oder vierte.
Der gelbe Hummer ließ Brasko nicht mehr los. Er stand dort auf einem Parkplatz seit Jahren wie eine Ikone. Wie er an der Theke seit Jahren im Kaffeehaus saß. Fremde Leute grüßten ihn. Sie kannten ihn nicht, aber sie grüßten ihn, weil er dort saß, immer saß. Er nickte wohlwollend und lächelte, nahm einen Schluck von seinem dunklen Weizenbier und widmete sich einem Artikel im Stern. Die Gattin des letzten Bundespräsidenten hatte ein Buch veröffentlicht, um einiges richtig zu stellen. Brasko musste unwillkürlich grinsen. Scheiße.
Aber er hatte einen Auftrag. Es ging um einen gelben Hummer. Es ging eigentlich um viel mehr. Es war derart grotesk, dass …
„Noch ein Bier?“ fragte ihn die leicht übergewichtige Bedienung, die er schon seit Jahren kannte.
Brasko nickte nur. Auch er war zwischendurch mal schlanker gewesen. Brasko versuchte nicht in den Spiegel gegenüber zu schauen. Scheiße. Viel zu oft dachte er in letzter Zeit: „Scheiße“.
Sie hassen uns. Sie hassen uns wirklich. Brasko blätterte weiter in der Zeitschrift. Er blätterte sie von hinten nach vorn. Hinten standen die besten Sachen. Kultur und so. Was es neues an Musik gab. Oder Buchbesprechungen. Man weiß ja nie, was man so findet. Ab und zu kann man mal einen Treffer landen. Brasko hatte seit dem Abitur einige Treffer gelandet. Erst seit dem Abitur.
Zum Beispiel Truman Capote. Als der starb, saß er gerade auf der Treppe zur Weinhalle. Es war Winzerfest in seiner Heimatstadt, und Sabine, seine damalige Freundin, kam auf ihn zu und sagte: „Truman Capote ist tot.“ Brasko war noch jung, Mitte Zwanzig. Er nahm einen Schluck aus der Pulle und war darüber traurig, dass es nun nichts neues mehr von Truman Capote zu lesen geben würde. Wie traurig konnte man sein, wenn jemand starb, von dem man nur die Bücher kannte?
„Noch ein Bier?“
Brasko schüttelte den Kopf, „Zahlen, bitte.“
Scheiße. Der gelbe Hummer stand auf dem Parkplatz und starrte ihn an. Beinahe herausfordernd.
„Fick dich!“ schrie Brasko in die Nacht, „du hast doch keine Ahnung!!“
Am nächsten Morgen machte er sich an die Arbeit und forschte nach, welchem Lackaffen der gelbe Hummer gehörte.
- 1 -
Wer nochmal ist Sarah Wiener? Brasko wälzte sich in seinem Bett hin und her. Das Frühstücksfernsehen lief, aber er nahm es nur bruchstückhaft wahr. Die Nachrichten wiederholten sich alle halbe Stunde. Im Nahen Osten schwelten mal wieder die üblichen Konflikte. Der Iran drohte damit, Israel von der Landkarte zu löschen. Brasko erinnerte sich dunkel, dass Sarah Wiener bei Günther Jauchs Talkrunde dabei war. Zum Thema diesmal Bioprodukte – wird der Verbraucher mit den sogenannten Bioprodukten nur verarscht? „Scheiße“, dachte Brasko und wusste nicht, warum er das dachte. Oder sagen wir mal, er war zu müde, um seinem Gefühl einen gedanklichen Rahmen zu geben. „Scheiße!“ Brasko drehte sich zum Nachttisch. Halb Neun zeigte der Wecker an. Sarah Wiener sieht gar nicht übel aus. Aber die beschäftigt sich den ganzen Tag nur mit Essen. Fuck! Das war nicht Braskos Ding. Brasko spürte einen immer dringender werdenden Harndrang. Er verdrängte ihn und drückte sein Gesicht in das Kissen.
Plötzlich klingelte das Telefon. Scheiße! Brasko bemühte sich aus den Federn. Es war schweinekalt in seiner Bude.
„Hallo?“
„Mr. Brasko?“ fragte eine weibliche Stimme am anderen Ende.
„Sie müssen doch wissen, welche Nummer Sie wählten.“
„Ja, nun sein sie mal nicht so knurrig! Sarah Wiener hier.“
„Wer?“
„Sarah Wiener.“
„Okay, ich gehe wieder ins Bett. Ich träume wohl noch ...“
„Mr. Brasko! Sie wurden mir empfohlen.“
„Von wem?“
„Von der Gattin des letzten Bundespräsidenten.“
„Hm, da könnte was dran sein. Bleiben Sie bitte am Telefon, Frau Wiener. Ich muss dringend pinkeln.“
…
„So, bin zurück.“
„Schön. Und sind Sie nun etwas wacher?“
„Mal sehen. Was liegt Ihnen denn auf dem Herzen?“
„Mir wurde gesagt, dass Sie diskret sind, Mr. Brasko, und dass sie auch recht merkwürdige Fälle übernehmen.“
„Kann sein. Und?“
„Also“, setzte Frau Wiener an und erzählte dem verschlafenen Brasko eine ganz absonderliche Geschichte, die sich um einen gelben Hummer drehte.
...
„Und das war`s?“
„Ja, übernehmen sie den Fall?“
„Sie bezahlen aber schon in Euro und nicht in Naturalien?“
„Mr. Brasko!“
„Schon gut. Sobald das Honorar auf meinem Konto ist, beginne ich mit meinen Ermittlungen. Darauf können Sie einen lassen.“
„Danke. Sind Sie immer so?“
„Wie?“
„Na, so ordinär.“
„Was weiß ich?! Ich sah sie gestern Abend noch bei Günther Jauch, und nun das … ist wahrscheinlich ein bisschen viel für mich am frühen Morgen. Entschuldigung.“
…
Brasko hatte einen neuen Auftrag. Der sollte ihm den Bierkonsum für die nächste Zeit sichern. Inzwischen lief im TV eine Sondersendung. Der Iran hatte tatsächlich eine Atomrakete auf Israel abgeschossen … Scheiße. Sollte wirklich etwas an den Vorhersagen der Majas dran sein, dass die Welt untergeht? Brasko machte sich einen Kaffee. Instantkaffee.
Die Liebe ist Ruhe und Glück - das Zuhause bei einem Menschen -, und dieser Mensch legt seinen Kopf an deine Schulter und lächelt, schaut dich an und küsst dich ...; du spürst seine Wärme, seinen Atem, hörst seinen Herzschlag, - du weißt, dass du niemals glücklicher sein kannst, und es ist erst der Anfang ...
Tage verschwinden - einfach so
im Malstrom der Zeit
während ich mich noch am Rand halte
...
im Altenheim blicke ich den Greisen
und Greisinnen ins Gesicht
sie sind dabei, verschluckt zu werden
und sie spüren es
sie werden zur Zeit selbst, zu Monumenten der Zeit
bevor sie vollständig untergehen
ich schaue ihnen dabei zu
ich schaue in den letzten Funken Hoffnung
erlebe manchmal den Moment
wo sie zu Leichen werden
es ist wie das Abreißen eines Fadens
einfach so
und hernach halte ich die losen Enden
in meinen Händen
um mich zu fragen, was das war
wo der Mensch hin ist
und weiß, dass eines Tages dasselbe
mit mir
passieren wird
auch ich werde Angst haben
dagegen ankämpfen
vielleicht
die Welt verfluchen
oder bereits jenseits von Gut und Böse
dahinvegetieren
...
all die alten, verwelkten Hände, die ich hielt
loslassen musste
all die traurigen Augen, in die ich blickte
und konnte sie nicht trösten
all die schmerzverkrümmten Gestalten
denen ich keine Linderung
bringen konnte
verfolgen mich Tag für Tag
bis an mein Ende
(31.05.2012)
(Ich mag nicht über jeden Scheiß diskutieren.) Tag Eins nach den Menschen. Tag Hundert nach den Menschen. Auf N 24 läuft diese phantastische Dokumentation regelmäßig – wie sich die Erde nach den Menschen verändern wird. Schön. Ich weiß nicht, was ich dabei denken soll. Ebenso die futuristischen Szenarien, nachdem ein Asteroid auf die Erde stürzte. Will ich mir anschauen, wie ich in Stücke gerissen werde? Will ich darüber nachdenken, wie im Detail die Welt untergeht? Und bitte, was soll das überhaupt bringen? Ich weiß, dass ich sterben werde. Egal wie. Ändern werde ich es nicht können. Kaum. Außer ich mindere gewisse Risiken. Und nicht mal dann gibt es eine Garantie, an was und wie ich sterbe. Seit 25 Jahren arbeite ich in der Altenpflege und erlebte, wie unterschiedlich der Tod kommt, wie unterschiedlich das Sterben ist. Planen lässt sich nur der Selbstmord. Und nicht mal dann kann man wissen, wie es ist. Ja, man kann vielleicht davon ausgehen, dass man nicht lange leiden muss. Aber alles andere basiert auf Vermutungen oder auf der religiösen Einstellung des betreffenden Menschen.
Tag Tausend nach den Menschen. Die Natur, sofern es sie noch gibt, erobert sich langsam alle Territorien zurück. Die Menschenaffen besetzen die Ruinen. Wird die Evolution sie zu ähnlich zivilisierten Geschöpfen machen, wie wir es waren? Soll man es ihnen wünschen?
Die Gedanken sind frei. Die Phantasie ist frei. Ich will nicht sterben. Ich liebe das Leben. Ich liebe die Menschen. Und ich hasse unsere Beschränktheit. Ich hasse unsere Beschränktheit, obschon wir im Ansatz über uns hinaus denken können. Dann doch lieber nur instinktiv. Wozu über alles nachdenken, wenn es einen nicht wirklich weiterbringt? Ich kann nur nicht anders – ich denke. Ich frage.
X Jahre nach dem Menschen. Interessiert mich das? Alles ist vorherbestimmt. Wir wissen, dass irgendein Asteroid irgendwann wieder die Erde treffen wird. Wir wissen, welche verhängnisvollen Folgen dieses Ereignis haben wird. Oder es bricht eben ein Supervulkan aus, oder die Menschen vernichten sich früher oder später selbst. Es zählt doch nicht, was sowieso unausweichlich passieren wird, sondern was wir jetzt mit uns und unserer Umwelt machen. Es gibt uns noch. Es gibt dich und mich. Es gibt die Kinder.
Wäre es nicht an der Zeit, entscheidend in eine andere Richtung zu rudern, solange wir am Steuerrad noch drehen können? Oder wollen wir uns dem Fatalismus ergeben? Ich fühle mich hin- und hergerissen. Ich weiß es auch nicht. Ich habe Angst vor dem Tod. Aber nicht so, dass mir diese Angst das Leben vermiest. Anders. Der Tod ist bereits da. Ich spreche mit ihm. Weil er da ist, scheint die Sonne. Heute. Die Gegenwart – das bin ich! Und trotzdem hadere ich, weil ich es als große Gemeinheit empfinde, dass mein Dasein endlich ist. Dabei ist der Tod besser noch als ein guter Kumpel. Er ist sehr verständnisvoll, wenn ich mit ihm rede. Er meint, dass die meisten Menschen sich nicht so offen mit ihm auseinandersetzen. Und ich sage, dass ich für solche Gespräche gern ein paar Bier trinke. Der Tod grinst – er kenne das, also, von vielen Menschen. Er selbst trinke kaum, nur manchmal, wenn er Kinder zu sich holen müsse.
Der Tod ist auch nur ein Mensch, denke ich bei mir. Vieles will ich von ihm noch wissen.
Mal sehen, ob ich die Zeit dazu bekomme.
Irgendjemand ruft aus dem Hintergrund: „Selbst Schuld!“
Ja und Nein.
„Arschloch!“ rufe ich zurück, „kümmere dich um deine Angelegenheiten!“
Ein paar Millionen Jahre nach den Menschen: Es gibt neue Menschen. Sie nennen sich dann anders. Aber kein Zweifel, es sind Menschen. Sie entdecken das Feuer. Sie erfinden das Rad. Sie machen Krieg, sie erfinden das Geld. Alles heißt nur anders. Auch mich wird es wieder geben …
Und dich, meine Liebe.
Ich war gerade auf einem Morgenspaziergang (dazu muss man wissen, dass ich nie Morgenspaziergänge mache – jedenfalls nicht im eigentlichen Sinne); also, ich schlappte runter zum Campingplatz, der gegenüber meiner Wohnung liegt, überquerte ihn und kam auf einen Waldweg, der sich entlang des schmalen Tals schlängelt. Ich war noch nicht besonders weit gekommen, da begegnete mir ein weibliches, fleischfressendes Känguru. Sie lachte mich an. „Guten Morgen“, sagte ich, „auch schon unterwegs?“
„Ja, wie man sieht. Ich habe noch nicht gefrühstückt. Ein paar Camper wären nicht schlecht.“
„Ich kann mich also glücklich schätzen, dass ich nicht auf Ihrem Speiseplan stehe.“ Erleichtert wollte ich meinen Spaziergang fortsetzen, doch sie versperrte mir breitbeinig den Weg.
„Nicht so schnell, junger Mann.“ Nun erst sah ich die zwei Augenpaare, die aus ihrem Beutel lugten.
„Mein Nachwuchs: P & P“
„Hallo P & P“, begrüßte ich die zwei neugierigen Augenpaare, offensichtlich ein Junge und ein Mädel.
Das fleischfressende Känguru beäugte mich eine Weile mit schiefem Kopf und sagte dann:
„Herr Spaziergänger, ich finde Sie nett. Wollen Sie nicht mit uns gehen?“
„Tja, in Anbetracht dessen, dass ich nie Morgenspaziergänge mache, und dass es fleischfressende Kängurus nicht gibt ...“, ich hatte einen kurzen, heftigen Hustenanfall, „ – warum eigentlich nicht? Aber vielleicht können wir den Campingplatz und das Frühstück heute mal ausfallen lassen? Also, nicht dass ich will, dass Sie Kohldampf schieben, vor allem nicht die Kinder, aber der Gedanke, dass ich mitansehen muss, wie Sie einen Camper zerfleischen, ist im Moment etwas viel für mich ...“
„Tja, was machen wir denn da?“
„Ich kann ja wegschauen“, sagte ich schnell.
Und so kam es, dass wir vergnügt zurück zum Campingplatz gingen. Ich hatte bis dato nicht viel von fleischfressenden Kängurus gewusst. Jenes Exemplar war jedenfalls recht lustig unterwegs. Sie erzählte mir einen Witz nach dem anderen.
„Kennen Sie den schon, Herr Spaziergänger?
Die Kängurumutter kratzt sich ausgiebig, dann sagt sie zu ihrem Kleinen: Wie oft habe ich dir schon gesagt, dass du den Zwieback nicht im Bett essen sollst!, - haha!“
„Ne, den kannte ich noch nicht. Der ist ja süß!“
Auch P & P kicherten. Sie hörten aufmerksam zu.
Bald hatten wir den Campingplatz erreicht, und ich meinte, dass ich lieber draußen solange warten wolle. Das fleischfressende Känguru hüpfte also mit ihrem Nachwuchs im Beutel auf den Platz und verschwand hinter einem Wohnwagen. Es war ein schöner Frühlingsmorgen. Unfern blökten ein paar Schafe, Vögel zwitscherten, und eine leichte Brise kitzelte meine Nase. Dann hörte ich ein Poltern vom Campingplatz her, auch einen erschreckten, kurzen Aufschrei. Hoffentlich werden sie nicht entdeckt, dachte ich besorgt. Ich fühlte mich wohl in der Gegenwart des fleischfressenden Kängurus. Sie hatte mich verzaubert, einen alten Bock wie mich, fünfzig Jahre auf dem Buckel. Das Leben nimmt seltsame Wege. So sinnierte ich vor mich hin und inhalierte glücklich die Frühlingsluft.
Plötzlich stand sie wieder neben mir. Ich hatte ihr Kommen gar nicht bemerkt, weil ich ganz gedankenverloren war.
„Und hat`s geschmeckt?“ fragte ich wie in Trance.
„Etwas trocken das Fleisch. Es ist noch nicht Saison. Jetzt waren da nur der alte Platzwart und seine gammelige Frau.“
„Ach so.“
„Hm.“
Wir setzten unseren Weg fort. Ich wusste gar nicht genau, wohin wir gehen wollten. Irgendwann, nach einigen tausend Schritten, fanden sich unsere Hände. Es war gut an ihrer Seite.