Was ich lese

Freitag, 30. September 2011

Ich bin ein Nazi


Als er in Cannes in einer Pressekonferenz sagte, er sei ein Nazi, kannte ich zwar seinen Namen als Filmemacher, konnte ihn aber nicht einsortieren. Nun druckte der Spiegel ein Interview mit Lars von Trier ab, und ich las, dass er u.a. "Breaking the Waves" drehte. Ein toller Film!
Nach der Lektüre des Interviews dachte ich bei mir: Dieser Lars von Trier ist ein Provokateur ganz nach meinem Geschmack.

Hier ein paar Aussagen, die ich mir anstrich:

...
"Wenn die Depression dich voll erwischt, bist du wie die Maus in den Krallen der Katze. Du legst dich hin und sagst: "Los, jetzt friss mich endlich!""
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"Ich würde aufs Filmemachen sofort verzichten, wenn ich dafür diese Angststörungen nicht mehr hätte. Sofort. Als Kind habe ich immer gesagt: Ich kann es nicht abwarten, erwachsen zu werden, denn Erwachsene haben nicht diese Ängste. Tja, war nichts. Scheiße."
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"Die Therapie ist das Rationale, die Zivilisation. Die Depression ist die Natur. Und all meine Filme handeln davon, dass die Natur gefährlich ist. Es geht immer um Zivilisation gegen Natur, und natürlich gewinnt die Natur."
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"Wenn Sie Kunst produzieren, müssen Sie skrupellos sein. ... Man muss einen Schritt weitergehen als die anderen, wenn man etwas von wahrem Wert schaffen will. Ich bin skrupellos und gehe den Schritt weiter, selbst wenn es bedeutet, meine Filme unter Alkohol zu drehen."
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"Jeder von uns kennt in seinem Leben das Gefühl von Skrupellosigkeit. Deswegen wäre es verlogen zu behaupten, wir würden die Skrupellosigkeit Hitlers nicht verstehen. Dabei ist es doch gerade wichtig, ihn als menschliches Wesen zu begreifen."
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"Das Problem der Pressekonferenz in Cannes war: Als ich sagte, ich sei ein Nazi, hat keiner gefragt, wie ich das meine. Dann hätte ich erklären können, dass ich glaube, dass in jedem von uns ein kleiner Nazi steckt. Diese Erklärung fehlte."
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"Ich glaube wirklich, dass unsere Political Correctness gefährlich ist. Wir müssen die Dinge aussprechen, die wir nicht aussprechen dürfen. Aber damit lässt sich natürlich nicht verteidigen, was ich in Cannes gesagt habe. Ich hätte mich verständlicher machen sollen."
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"Bei männlichen Figuren stört sich niemand, wenn sie böse sind. Wenn ein Mann einen Sadisten spielt: kein Problem. Ist die Sadistin eine Frau, heißt es: Lars, du hasst Frauen. Überhaupt nicht. Ich beschreibe sie bloß. Es ist naiv anzunehmen, dass meine Haltung gegenüber Frauen sich in meinen Filmen manifestiert."
...



Also, ich fand das Spiegel-Interview teilweise aufschlußreich und erheiternd. Seinen in Cannes vorgestellten Film "Melancholia" will ich mir unbedingt anschauen, wenn er hier in den Kinos läuft. Ich mag Menschen/Künstler wie diesen Lars von Trier, weil sie hinter die Fassaden schauen - und provozieren.

(Quelle: Der Spiegel Nr. 39/26.9.11)

Mittwoch, 4. Mai 2011

"Die Disteln brennen" (Memed II) von Yasar Kemal


... Die Steine in der Höhle waren rot und zerbröckelten, sobald man sie berührte. Darauf wuchs eine seltsame, blaue Blume, ganz aus der Art gefallen und unförmig, jede Blüte, jedes Blatt sah anders aus. Der Höhleneingang war bedeckt mit Wasserpoleiminze. Sie roch wohltuend frisch.
Der Mensch hält sich immer für mutig. Wenn Angst ihn befällt, so findet er das nicht normal. Vor lauter Gram darüber stirbt er oder wird verrückt. Warum fürchte ich mich ... dieser Gedanke macht ihn wahnsinnig. Angst wohnt immer im Herzen der Menschen, doch sie wissen es nicht. Sie bestehen nur aus Angst, doch sie wissen es nicht. Sie wissen nichts von der Angst und wollen es auch nicht wahrhaben ...
Die Blüten der Wasserpoleiminze verströmen den besten, den frischesten Duft ... Er bleibt auf der Haut des Menschen, in seinem Haar haften, dringt bis ins Knochenmark. Der Duft der Poleiminze belebt auch dann, wenn man im tiefsten Elend steckt.
...

("Die Distenln brennen" von Yasar Kemal)

Mittwoch, 9. Februar 2011

Hermann Knoflacher: Virus Auto

Lebensraum für Autos, aber nicht für Kinder


Dass jedes Haus und jede menschliche Aktivität mit dem Auto erreichbar sein muss, widerspricht allen angeführten Prinzipien. Eine Rechtsordnung aus dem Dritten Reich wird von den gegenwärtigen Demokraten rücksichtslos und bedingungslos umgesetzt. Die Reichsgaragenordnung verfolgte die Absicht, die Motorisierung zu fördern, um sich die Mittel für den Aufbau der Kriegsmaschinerie zu sichern. Deshalb wurde jedem, der eine Wohnung oder Arbeitsstätte bauen wollte, vorgeschrieben, für die vorhandene und in Zukunft zu erwartende Zahl an Fahrzeugen Parkplätze auf eigenem Grund oder in der Nähe bereitzustellen. Die Bauordnungen haben dies übernommen und schreiben zu jeder Wohnung Parkplätze vor, nicht aber Kinderzimmer. Die Gesellschaft wird verpflichtet, Lebensraum für die Produkte der Autoindustrie zu schaffen, zu Lasten des Lebensraums der eigenen Nachkommen.
Die Menschen reagieren intelligent, sie passen sich den geänderten Bedingungen an. Statistisch ist es eindeutig nachweisbar, dass die zunehmende Motorisierung nicht nur in den Städten, sondern auch am Land zu einer Abnahme der Kinderzahl und Familiengröße führt. Die Menschen passen sich der menschenfeindlichen Umwelt enbenso an wie die Lurche und Kröten an eine Fahrbahn, die sie von ihren Laichgebieten abschneidet: Die Zahl der überfahrenen Kröten und Lurche reduziert sich in wenigen Jahren auf null. Sie haben sich durch Aussterben angepasst.
Wird die Umwelt so verändert, dass der Fussgänger nichts mehr erreicht, wie in australischen oder amerikanischen Siedlungen, aber auch in unseren für das Auto zugeschnittenen Vororten, mutieren die Menschen in eine andere Lebensform, sie werden Autofahrer.

(Auszug aus Hermann Knoflacher - Virus Auto)

Freitag, 7. Januar 2011

Hermann Knoflacher: Virus Auto

Macht - nicht nur im Auto


Es ist wirklich ein Wunderding, das Auto: Früher musste man sich den Kopf zerbrechen, wollte man einen entfernten Ort aufsuchen, weil es Zeit Mühe und Geld kostete. Mit dem Auto, so wie es heute verfügbar ist, ist der zeitliche Aufwand für die gleiche Strecke auf einen Bruchteil zusammengeschrumpft. Aber nicht nur das, statt dass man sich müht, erlebt man das Gefühl der Überlegenheit und Bequemlichkeit in jeder Hinsicht, körperlich und geistig. Und die laufenden Kosten sind geradezu vernachlässigbar, weil jeder Versuch, diese zu erhöhen, mit Sicherheit zur Niederlage der jeweiligen Partei führt, die das unterstützt, bzw. in die Praxis umzusetzen versucht. Darüber hinaus eröffnen sich dem Autofahrer Möglichkeiten wie sonst keinem. Er gelangt viel leichter an attraktive Orte als selbst der Bahnreisende, ganz zu schweigen vom Fußgänger und Radfahrer, und er wird überall freudig als privilegierter und offensichtlich guter Gast empfangen.
Diese Voreingenommennheit, Autofahrer wären reich und Radfahrer Hungerleider, kann aber auch ins Auge gehen wie beispielsweise bei einem Hotelier in Klosterneuburg. Als der Donauradweg zur Touristenattraktion wurde, tauchte ein älterer Herr in typischer Radfahrerjustierung auf, um Quartier zu nehmen. Der Hotelier belehrte ihn, dass er ein vornehmes Haus führe und daher keine Radfahrer beherberge. Worauf dieser schweigend umkehrte, das Lokal verließ, sein Fahrrad nahm und es einem Chauffeur, der in einem großen weißen Mercedes vorfuhr, übergab, der es auf dem Dachgestell befestigte, dem "armseligen" Gast die Tür öffnete und mit ihm wegfuhr. Und wieder bewirkte das Auto ein Wunder - diesmal beim Hotelier: Radfahrer sind seit dem Vorfall willkommene Gäste in seinem Haus, auch wenn er vergeblich darauf wartet, einem in Begleitung eines großen weißen Mercedes mit Chauffeur sein Quartier anbieten zu können. Aber man soll die Hoffnung nie aufgeben.
Wunder spielen sich täglich millionenfach ab, wenn Menschen ins Auto steigen, der Enge und Öde geradezu mühelos entfliehen und über dem Boden schwebend nahezu jedes gewünnschte Ziel erreichen. Und solange die Macht des Autos - dank billigster Energie - größer ist als die des Hirns, werden diese Wunder fortdauern. Je größer das Mißverhältnis ist, umso größer und imposanter muss auch das Auto sein. Denn das Hirn verrechnet nicht nur körperliche, sondern auch geistige Defizite in den Schichten seines Unterbewußtseins erfolgreich mit der Außenwelt. Man muss sich daher schon fragen, was in einem Menschen vorgeht, der eine der sogenannten Luxusmarken kauft ... Wunder auf allen Ebenen - viele wundern sich darüber - wie viel Geld für Blech auf einem Fahrgestell ausgegeben wird.

(Auszug aus Hermann Knoflacher - Virus Auto)

Montag, 6. Dezember 2010

Viktor Pelewin / Das heilige Buch der Werwölfe / 270-271


... Die Wörter, die die Wahrheit ausdrücken, sind jedem geläufig - und wenn nicht, hat man sie in fünf Minuten ergoogelt. Die Wahrheit selbst kennt aber so gut wie keiner. Sie ist wie ein Magic-Eye-Bild: ein chaotisches Gewirr aus farbigen Linien und Flecken, das, fokussiert man die Augen richtig, sich in ein räumliches Bild verwandeln kann. Dem Anschein nach supereinfach, doch dieses Fokussieren kann dem Betrachter kein noch so wohlmeinender Helfer abnehmen. Die Wahrheit ist genau so ein Bild. Sie ist vor aller Augen ... Doch nur die wenigsten sehen sie. Dafür sind es umso mehr, die vorgeben, sie zu wissen. Was natürlich Quatsch ist - Wahrheit ebenso wie Liebe ist nichts für den Verstand. Es ist dann meist nur irgendeine ausgeklügelte Spitzfindigkeit, die dafür gehalten wird ...

Freitag, 19. November 2010

Viktor Pelewin - Das heilige Buch der Werwölfe (238, 240)

...
Die Menschen streiten des Öfteren darüber, ob diese Welt tatsächlich existiert. Oder womöglich nur ein Matrix-Ding ist. Ein dummer Streit! Auseinandersetzungen wie diese rühren daher, dass die Leute die Wörter, die sie benutzen, nicht verstehen. Bevor man dieses Thema diskutiert, sollte man zum Beispiel bedenken, was das Wort "existieren" überhaupt bedeutet. Da käme viel Interessantes zum Vorschein. Aber Menschen sind nun mal selten zum richtigen Denken befähigt.
Womit ich nicht sagen will, dass alle Menschen komplette Idioten sind.
...
Sowieso gibt es keine philosophischen Probleme, es gibt nur endlos viele aneinandergereihte linguistische Sackgassen, die dadurch entstehen, dass Sprache grundsätzlich ungeeignet ist, die Wahrheit widerzuspiegeln.
...

(Viktor Pelewin - Das heilige Buch der Werwölfe)

Dienstag, 31. August 2010

Viktor Pelewin - Das heilige Buch der Werwölfe (32/33)


Männer werden nach dem Koitus für eine halbe Stunde gütig und gesprächig, das hängt mit dem Dopaminausstoß im Hirn zusammen, eine Belohnung nach erfüllter Pflicht. Ich hörte kaum hin. Viel lieber hätte ich weitergelesen, wie das schwarze Loch sich verhält, wenn sein Durchmesser infolge eines Gravitationskollapses die Entfernung zum Ereignishorizont unterschreitet.
An diesen astrophysikalischen Modellen meinte ich einen erotischen Subtext wahrzunehmen. In mir reifte die Überzeugung, dass Stephen Hawkings Buch weniger von Physik handelt als vom Sex - nicht von den kümmerlichen Formen menschlicher Kopulation, nein, von einem grandiosen kosmischen Koitus, bei dem die Materie gezeugt wurde. Hier gibt es wiederum im Englischen eine sprachliche Übereinstimmung, die zu denken gibt: Big Bang meint den Urknall genauso wie den Großen Fick.

(aus "Das heilige Buch der Werwölfe" von Viktor Pelewin)

Freitag, 28. Mai 2010

Das Glück ist eine leichte Dirne


Das Glück ist eine leichte Dirne,
Und weilt nicht gern am selben Ort;
Sie streicht das Haar dir von der Stirne
Und küßt dich rasch und flattert fort.

Frau Unglück hat im Gegentheile
Dich liebefest ans Herz gedrückt;
Sie sagt, sie habe keine Eile,
Setzt sich zu dir an`s Bett und strickt.



(Heinrich Heine)


- eines meiner Lieblingsgedichte von Heine.

Dienstag, 11. Mai 2010

Rohstoff (43)


... und dann hatten sie mich in der Mangel, paß auf, dass du nicht zu Boden gehst, dachte ich noch, ich hielt die Brille fest und kriegte noch einen Tritt in den Magen ab, dann lag ich draußen. Das war also das Pflaster. Es schmeckte nicht schlechter als vieles andere, aber gewöhnen wollte ich mich auch nicht daran. Ich suchte meine Brille, bis ich feststellte, dass ich sie in der Hand hielt. Ich setzte sie auf. Aus der Nähe sah dieses Pflaster interessant aus, es gab sogar einen Riß, der durch den Asphalt lief, und in dem Riß sproß ein Grashalm. Wenn das so ist, dachte ich, kannst du auch aufstehn.
(Jörg Fauser)





Freitag, 26. März 2010

Rohstoff (neun)

... Ich wollte das Schreiben endgültig aufgeben. Es schien mir nicht nur unwichtig, sondern auch wie ein besonders anmaßender Versuch, zwischen mir und den Dingen, so wie sie mir alltäglich in die Augen starrten, eine Zwischenzone zu errichten, einen Schwarzmarkt von Gefühlen, Werten, Verlangen. Gegen die Wahrhaftigkeit der gefrorenen Spaghetti und der Bücherhalden konnte jeder Satz, der so tat, als hätte er etwas zu erklären, nur obzön wirken und lächerlich. Und ich wollte doch immer noch etwas aus meinem Leben machen.
...
(Jörg Fauser)

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