Sonstiges zur Diskussion
Wir sollten heutzutage jede Menge Zeit haben. Viele Tätigkeiten, die wir damals noch leisten mussten, nimmt uns heute die moderne Technik ab. Ich spare mir hier eine Aufzählung der vielen Beispiele. Seltsamerweise nahm aber der Stress zu, zumindest der subjektiv empfundene. Ich frage: Wo blieb die Zeit, die wir durch Erleichterungen im Alltag und in der Industrie einsparten? Sind wir geil auf volle Terminkalender? Kriegen wir den Hals nicht voll genug? Alles könnte doch durch den technischen Fortschritt heute viel gemächlicher ablaufen, stattdessen habe ich den Eindruck, dass eine seltsame Unruhe die Welt beherrscht… ähnlich einem Karussell, das sich immer schneller dreht.
Warum hasten wir wie die letzten Idioten durchs Leben? Stets soll man am Ball bleiben, sich fortbilden, mobil und flexibel sein… Wir befinden uns in einer Art Zentrifuge, welche nur noch Oberflächlichkeit produziert. Die eigentliche Substanz des Lebens geht verloren. So empfinde jedenfalls ich es. In meinem Leben kann ich sogar einen Wendepunkt diesbezüglich feststellen: nach den Achtzigern kam nichts mehr Gescheites… Die Welt explodierte förmlich zu Beliebigkeiten. Sicher gab es den Trend dazu schon vorher. Vielleicht schon immer. Ich weiß nicht. Ich spüre aber, dass ich mich zunehmend unwohl fühle in diesem Karussell, in welchem fast nur noch Geld, Eitelkeiten und geistige Flachheit die tragende Rolle spielen. Soll das unsere Zukunft sein?
Ich will weiß Gott keinen Rückschritt. Aber ich wünsche mir eine Welt, die ihre Werte besser sortiert und allgemeinverständlich darlegt. Vor allem wünsche ich mir eine Welt, in der wir jede Menge Zeit haben dürfen, ohne dass uns der Arsch auf Grundeis geht.
Weniger Ellenbogen und dafür mehr Mitgefühl. Und mehr Zeit für alles! Zeit dafür, dass wir erstmal erkennen, was es heißt zu atmen, zu leben, ein Mensch zu sein.
„… böse Menschen ändern sich nicht“, las ich auf einem Blog, den ich regelmäßig besuche. Der Satz stand dort lapidar und unverrückbar einsam. Die Kommentarfunktion ausgeschaltet. Ich hätte gern etwas dazu geschrieben. Kann man diese Aussage einfach so im Raum stehen lassen? Ich lese Verbitterung und Ohnmacht…
Ich sperrte mich immer davor, Menschen wirklich böse zu nennen. Dass Menschen sehr-sehr böse sein können, liegt dagegen auf der Hand, wenn man nicht mit Scheuklappen durch die Weltgeschichte rennt. Ich glaube, dass es keinen einzigen Menschen auf der Welt gibt, der keine Schuld auf sich lud. Ich war im Verlaufe meines Lebens jedenfalls nicht immer gut zu meinen Mitmenschen (und Mitgeschöpfen). Noch heute schmerzen mich manche Fehltritte, vor allem wenn das von mir ausgehende Unrecht Menschen betraf, die ich doch liebte. Vieles kann man einfach nicht wieder gut machen und nur hoffen, dass einem verziehen wird. Es geht mir hier nicht um strafrechtlich relevante Vergehen, sondern um die Schmerzen und das Ungemach, was wir Menschen uns tagtäglich gegenseitig zufügen, indem wir uns nicht achten, uns beleidigen und demütigen. Wir sind ständig Opfer und Täter in einer Person, obwohl freilich jeder von sich behauptet, eine saubere Weste zu haben. Es ist einfacher, wenn wir das Böse bzw. Schlechte in den Anderen und nicht in uns selbst sehen. Eigentlich eine Binsenweisheit, die wir dummerweise hartnäckig ignorieren…
Wir Menschen begehen immer wieder denselben Fehler, dass wir gleich den ganzen Menschen, der eine Missetat beging, verurteilen. Jener Mensch muss selbstverständlich für das, was er tat, geradestehen – aber niemals dürfen wir ihn insgesamt als Menschen ächten.
Sagt mir bitte, wenn ich hier Bullshit rede. Die Rolle des Moralisten steht mir nicht.
„… böse Menschen ändern sich nicht“ – ich zweifle daran, dass sich Menschen überhaupt wesentlich ändern können, egal wie böse oder gut sie in ihrem Leben sind. Jeder biegt sich die Wirklichkeit oder Wahrheit für sich zurecht. So machten es die Menschen schon immer.
Wir spielen mit unserem Leben.
Wenn Menschen, die öffentlich ihre Meinung zu einem Thema sagen, in Buchform, journalistischem Artikel oder im Internet, darum beleidigt werden, ihnen Gewalt angedroht wird (bis hin zur Morddrohung), läuft mir jedes Mal ein kalter Schauer den Rücken hinunter. Heute las ich beim Stöbern durch die Nachrichten den Artikel „Morddrohungen: Lehrerin lässt sich beurlauben“. Auszug: „Die muslimische Autorin und Religionspädagogin Lamya Kaddor hat sich aus Sicherheitsgründen bis zum Sommer 2017 vom Schuldienst beurlauben lassen.“ Mein Interesse war geweckt – ich wollte den Stein des Anstoßes erfahren. Offensichtlich geht es um ihr neues Buch
„Die Zerreißprobe“ - darin thematisiert sie unter anderem, dass auch die Mehrheitsgesellschaft ihren Beitrag leisten müsse, um Flüchtlinge und Einwanderer zu integrieren. Selbstverständlich, denke ich, das versteht sich doch von selbst. Ich kann mir nicht vorstellen, dass dies alleine der Auslöser der Hasswelle gegen sie darstellt. Wahrscheinlich reicht es den rassistischen Hohlköpfen bereits, dass sich eine Person mit Migrationshintergrund solcherlei Aussagen anmaßt. Ich recherchierte etwas im Internet, kam auf Henryk M. Broder, welchen Frau Kaddor mitverantwortlich für die Stimmungsmache gegen sie (und Muslime überhaupt) macht, und von dort auf einen von ihr verfassten Artikel in ZEIT ONLINE
„Islamkritik, die niemand braucht“. Ich nahm mir die Zeit, den Artikel durchzulesen und fand darin nichts, was meiner deutschen Seele in irgendeiner Weise schaden würde. Einige Thesen wären sicher zu diskutieren, aber im Großen und Ganzen halte ich Frau Kaddors Sichtweise für schlüssig.
Menschen (egal welcher Nationalität, Religion oder Gesinnung sie sind) erhalten Morddrohungen, und anstatt sich solidarisch beizustehen, hacken sie auch noch aufeinander herum. Von intelligenten Menschen erwarte ich eine andere,
sachlichere Diskussionskultur.
Vielleicht fände ich Frau Kaddor ätzend, wenn sie mir begegnete, aber sie hätte dennoch in dieser schwierigen Situation mein Mitgefühl. Henryk M. Broder unterstellt ihr Größenwahn – dass alles nur der Kampagne für ihr neues Buch diene… Er muss sie gut kennen.
Mir fällt dazu nur ein Wort ein: Scheußlich.
Der Sommer kratzt die letzte Kurve. Wie jedes Jahr Anfang September. Ich denke an meine Heimatstadt, wo das alljährliche Winzerfest diese Schwelle zwischen den Jahreszeiten für mich markierte. Alte Erinnerungen werden wach. Der Blick über die Kleinstadt, die eingebettet von den Hügeln des Kraichgaus sich zur Rheinebene streckt. Oft saß ich auf der Anhöhe des Parks und blickte über die roten Dächer. Ich erinnere mich meiner Kindheit und Schulzeit. Es gibt Plätze, die man im Herzen mitnimmt auf die lange Reise des Lebens. Ich sehe vor meinem geistigen Auge das Freibad am südlichen Ausgang der Stadt. Wir Kinder kürzten den Weg durch den angrenzenden Friedhof ab (auf dem seit drei Jahren meine Eltern begraben liegen). Das Gekreische der spielenden und planschenden Kinder war weithin zu hören. Ich hoffe, die Toten störten sich nicht daran. Bis Mitte September geht die Badesaison.
Ich denke an O.s und meine Rückkunft vom Urlaub erst kürzlich. Auch Berlin ist mir bereits ein wenig Heimat geworden. Ich spüre dankbar die Vertrautheit der Namen, Straßen und Plätze. Wer weiß, wie lange ich hierbleibe. Lebensabschnitte summieren sich wie Sprossen auf einer Leiter. Später erst erkennt man, wo man steht. Alles fügt sich zusammen. Kleine und große -, ineinander geschachtelte Geschichten. Menschen brauchen Heimat, um sich nicht zu verlieren. Die Welt ist zu groß. Die Menschen zu unterschiedlich in Sprache, Kultur und Religion. Man kann auf allen Flughäfen der Welt zuhause sein, aber darum ist man lange kein Weltbürger.
Eine andere Seite: Menschen klammern sich zu sehr an ihre Heimat, als würde sie ihnen gehören und sonst niemandem. Das macht es Neuankömmlingen nicht gerade leicht, Fuß zu fassen. Jeder Mensch kann in die verzweifelte Lage kommen, unter fremdem Dach Obhut zu suchen. Heimat ist keine Burg, die man für sich reserviert. Man trägt sie im Herzen… nicht auf der Zunge (- oder gar dem Schwert).
Mir kommt das Verhalten von Hoteltouristen, die die Liegen am Swimmingpool mit ihren Handtüchern vorreservieren, in den Sinn. Insofern wundert mich das Wahlergebnis der Landtagswahlen Mecklenburg-Vorpommern gar nicht. Die Heimatbesessenen zeigten Flagge.
Heimatempfinden kann offensichtlich sehr unterschiedlich ausfallen. Ich möchte niemandem seines absprechen. Es ist wie mit allen hehren Begrifflichkeiten. Sie werden zu oft ... verwendet (– bis sie sich schließlich in Beliebigkeit auflösen).
Okay. Der Sommer kratzt die letzte Kurve. Wir schreiben das Jahr 2016. Ich sitze in Berlin und drehe Däumchen. Alles dreht sich. Weiter und weiter. Der Leierkastenmann spielt die Melodie der Melodien. Wen juckt es eigentlich?
Man kann jahrelang auf dem geistigen Planeten herumirren und sich doch nicht auskennen, nicht nur, weil er unheimlich viele verschiedene Landschaften hat, nicht nur, weil man oft in einen Dschungel gerät oder in eine Wetterlage, wo man die Hand vor Augen kaum sieht…, sondern, weil alles zusätzlich dynamisch ist: Orte, die man verließ, sehen anders aus, wenn man zurückkommt, man ist einem steten Wandel ausgesetzt - das Beständige gibt es nicht, man umrundet sich selbst einige Male und merkt es nicht.
Der Weise setzt sich auf einen Berg, weil er dort einen besseren Überblick hat: er sieht Zusammenhänge, erkennt Wege, die sonst verborgen sind, aber die Details und der Kontakt zur Welt gehen durch die erhabene Position verloren…
Man kann eben nicht alles haben. Drum tut sich das Abstrakte schwer mit der gelebten Praxis. Siehe Qualitätsmanagement. Es erfreut sich nicht umsonst nur mäßiger Beliebtheit. Zumal ein Qualitätsmanager nicht den Status eines Gurus, Mönchs oder Priesters hat. Dabei hat Qualitätsmanagement mit Religionen oder Ideologien eine Menge gemeinsam: man will gewissermaßen die Welt verbessern, indem man Verhaltensregeln aufstellt, - die wichtigen Prozesse/Handlungen beschreibt, - Fehler und Risiken vermeidet, - seine Fehler erkennt, beichtet und bespricht. Wie jede Religion ihren Singsang und ihre Schriften hat, so ergab sich auch fürs Qualitätsmanagement ein gewisser Jargon, in welchem die ganzen Regeln und Hinweise verpackt sind - was man sich als „Qualitäts-Bibel“ zulegen kann. Qualitätsmanagement hat in meinen Augen einen hochmoralischen Anspruch. Und wie wir es schon von den Religionen kennen, entpuppt sich dieser Anspruch zumeist als Scheinmoral.
Seltsamerweise wissen (glaube ich) die meisten, dass hier Unvereinbarkeiten aufeinandertreffen. Trotzdem manifestieren sich solche Systeme in der Gesellschaft. Die Menschen spielen mit. Beim Qualitätsmanagement eher missmutig, aber in den Religionen funktioniert die Gehirnwäsche bereits seit Jahrtausenden einigermaßen gut. Also. Es kann nur besser werden fürs Qualitätsmanagement. Ich sehe da eine gewisse Parallele zur Scientology Church mit ihrer Technik des Auditing… Selbstverständlich verfolgt das Qualitätsmanagement mit seinen Audits einen viel seriöseren Ansatz. Ich durfte während meiner Praktikumszeit in der Klinik an einem externen Audit teilnehmen. Es ging um die Zertifizierung verschiedener Fachbereiche…; das Ganze erinnerte mich an ein Schüler-Lehrer-Verhältnis: als Schüler hinterfragt man besser nicht die Sinnhaftigkeit der Veranstaltung, dafür bekommt man versprochen, dass alles gut wird, wenn man nur macht, was von einem erwartet wird.
Jeder spielt seine Rolle (der Auditor, der Oberarzt, Arzt, die Dokumentarin, Stationsschwester, die QMB, der Praktikant…) und glaubt mehr oder weniger dran.
Da ist er, der Dschungel. Ich blicke nicht wirklich durch und überlege, ob ich mir die Mühe mache, auf einen Baum zu kraxeln, um das alles besser zu überschauen. Ich weiß nicht. Wahrscheinlich komme ich sowieso nicht ganz hoch, sondern bleibe irgendwo in der Mitte hängen. Wo man auch ist auf diesem geistigen Planeten, nie ist es ganz befriedigend. Klar, ich rede nur von mir. Es gibt eine Reihe von Menschen, die ihren Platz finden… Beneidenswert.
Die Front rückt näher. Ich höre es an den Todesnachrichten, die mir wie das näherkommende Grollen eines Unwetters oder der Geschützdonner einer auf mich zubewegenden Front erscheinen. Namen von Rockstars, Schauspielern und anderen Prominenten hallen mir in regelmäßigen Abständen entgegen, die mich lange Jahre über die Medien begleiteten. Und das Erschreckende ist: es sind nicht die ollen Kamellen sondern Stars, deren Musik ich gern hörte oder deren Filme alles andere als verstaubt sind. Sicher geht es jeder Generation so, wenn sie in die Jahre kommt: Die Reihen vor mir lichten sich zusehends. Der Feind ist übermächtig und kriegt jeden. Weglaufen ist unmöglich. Wohin auch?
Einmal kräftig durchatmen und weitermachen. Der Tod ist kein Feind im üblichen Sinne. Er gehöre zum Leben, sagt man, wie die Butter aufs Brot. Wie würde das Leben ohne den Tod wohl schmecken? Ziemlich fad, oder? Wenn es ihn nicht schon gäbe, müsste man ihn erfinden…
Allein Zeitpunkt und der Prozess dahin bereiten mir Kopfzerbrechen.
Götz George hat`s hinter sich, las ich heute Morgen in der S-Bahn. „Ich weiß, es ist nicht mehr lange. Aber ich kann mit dem Tod gut umgehen. Ich habe keine Angst davor. Ich war schon ein paar Mal tot“, meinte er 2012 im Interview. Ganz so abgeklärt wie er bin ich (noch) nicht. Ich habe Angst, vor dem Davor wie vor dem Tod selbst, dem Danach. Sogar ein Zahnarzttermin wäre mir lieber (und das will was heißen).
Nicht bei jeder Todesnachricht zucke ich innerlich zusammen. Aber mit dem Schauspieler Götz George verband mich etwas, das ich nicht leicht in Worte zu fassen vermag. Sicher war da Schimanski, die Figur, die er jahrzehntelang verkörperte, und die den Tatort in den Achtzigern revolutionierte. Ich ritt damals mit auf der Sympathiewelle für den rüpelhaften, schnoddrigen Tatort-Kommissar mit sensiblen Seiten. Er spielte einen Helden (bzw. Anti-Helden) nach meinem Geschmack, der auf Konventionen schiss, sich gegen seine Vorgesetzten auflehnte, um die Häuser zog und den bösen Buben zeigte, wo der Hammer hängt.
Den Schimanski überlebte George. Ich sah ihn auch gern in Charakterrollen wie „Der Totmacher“ (als der Serienmörder Fritz Haarmann) oder in „Mein Vater“ (wo er einen an Alzheimer Erkrankten spielt).
Ich mochte diesen Typen – vielleicht gerade, weil man nicht alles an ihm mögen musste, er seine Rollen mit Inbrunst spielte und ziemlich taff rüberkam.
Wer ist der nächste? Wie viele stehen noch vor mir? Es ist Ende Juni 2016, der Sommer heizt uns ein, - überschüttet uns mit Licht und prallen Farben: es erscheint völlig unmöglich, dass der Vorhang irgendwann fällt.
Es ist mir ein Rätsel, dass (zivilisierte) erwachsene Menschen aufeinander losgehen. Mit Abscheu sehe ich die Bilder aus Marseille im Zuge der Fußballeuropameisterschaften. Wie wildgewordene Affenhorden gebärden sich die Menschen (in der Hauptsache Männer), prügeln sich gegenseitig krankenhausreif und randalieren. Ich bin immer wieder aufs Neue fassungslos über diese Ausuferungen von sinnloser roher Gewalt. Das Sportereignis dient als Alibi. Viele reisen ganz bewusst darum an, um sich dem Alkohol- und Gewaltrausch hinzugeben. Die gewaltbereitesten und gefährlichsten unter ihnen sind mitnichten Teenager, sondern gestandene Mannsbilder, womöglich ganz normale Familienväter, die einem ordentlichen Beruf nachgehen. Sie haben jedenfalls genug Geld für Stadiontickets, Flugreise, Unterkunft und jede Menge Alkohol. Was sind ihre Motive? Finden sie es zu langweilig, ein friedfertiger Mensch zu sein? Brauchen sie einen Ausgleich zu ihrem ansonsten scheiß Spießerleben? Was ist so geil daran, auf Mitmenschen einzuschlagen?
Man sollte das Gewaltsyndrom besser erforschen. Möglicherweise fände sich ein Gegenmittel, welches man allen eingeben könnte, bevor sie z.B. ein Fußballstadion betreten. Ich sehe Parallelen zum Söldner-Gebaren, den IS-Kämpfern oder anderen Terroristen. Auch diese „Kämpfer“ nehmen Religion, Nationalität oder politische Motive lediglich als Alibi bzw. als Rechtfertigung für ihre Aggressionen, ihre Gewalt und ihren Hass. Ich frage mich, wie es in ihren Seelen aussieht… Es gruselt mich, ich habe Angst vor den Abgründen, die sich dort auftuen. Aber vielleicht sind es nur die Hormone, die spinnen, und die Idioten haben sich einfach nicht im Griff.
Mir kommt es so vor, als wäre das Wesen Mensch total gespalten. Wir kriegen unser Dasein auf dieser Erde einfach nicht gebacken. Ich wünschte mir, dass es friedlicher zuginge, das wäre schon `ne Mordshilfe, den ganzen Rest besser zu ertragen.
Der älteste Mensch der Welt starb in einem Altenheim in Brooklyn. Susannah Mushat Jones wurde 116 Jahre alt. Ich denke, da war der Bär geschält. Muss es nicht irre sein, als Hundertjähriger an eine Kindheit zurückzudenken, als es viel weniger Menschen und Autos gab, als es noch keine Atombomben und Kernkraftwerke gab, als Hitler noch jung und unbedeutend war, an den Zweiten Weltkrieg noch niemand dachte, noch keine Raketen zum Mond flogen, es weder Fernsehen, Handys noch Computer gab… Wahrscheinlich war die Welt schon damals reichlich verrückt, vor allem in einer Stadt wie New York. Jede Generation glaubt an der Spitze zu stehen wie ein Box-Champion. Manche halten sich erstaunlich lange oben. Doch der Tag des Rücktritts kommt unweigerlich. Die Frage ist: hat man sich darauf vorbereitet, zum alten Eisen zu gehören? Wir alle müssen Platz für die Nachrückenden machen – nicht immer freiwillig. Die Einen kämpfen ums Vorankommen und die Anderen um den Erhalt ihrer Sache. Der Generationenkonflikt spiegelt dies wider. Der Lauf der Zeit schlägt uns allen ein Schnippchen.
Der älteste Mensch der Welt ist tot, es lebe der (neue) älteste Mensch der Welt!
Nelly-Sachs-Park
Bei Sprüchen wie „das Leben ist kein Ponyhof“ oder „das Leben ist kein Wunschkonzert“ oder „- ist kein Selbstbedienungsladen“ oder „- kein Freizeitpark“ geht mir das Messer in der Tasche auf. Was bemüßigt Menschen, solcherlei Weisheiten abzusondern?
Meine Assoziationen dazu sind: Frostbeulen an den Eiern, Asseln an der Unterseite eines modrigen Brettes, die Samstags-Autowäsche, glänzende Glatzen, das Arbeitsamt (respektive die Agentur für Arbeit), Schnabeltassen, abgestandenes Bier, Parteitagssitzungen, die Neujahrsansprache des Bundespräsidenten, Mundgeruch, Kaffeefahrten, Fußgängerampeln, Haarnetze, Roy Black, Staubsaugen, Zahnarztrechnungen, Reihenhaussiedlungen, Schnorrer in der U-Bahn, kratzende Wollpullover, Familienfeiern, die Wechseljahre, Achselschweiß, die Nationalhymne, Krampfadern, Hochzeiten, Hamster im Hamsterrad, Fußpilz, die Deutschlandfahne, Soldaten im Gleichschritt, Blümchendichter(innen), Katzenhaare, nichtexistierende Außerirdische, dämliche Grußkarten, Kaugummis, Mickey Mouse, Hamburger, Roland Kaiser, Weihnachten, Schönheitschirurgen, Hostessen, Operetten, Frauenzeitschriften, Selbstbedienungsläden, Waschmittelwerbung, Geschlechtskrankheiten …
Nur gut, dass mir niemand diese Sprüche an den Kopf drückt. Keine Ahnung, warum ich draufkam – Frau Doktor Känguru sagt: „Das Letzte lass weg! Du musst dich nicht rechtfertigen.“
Fazit: Man regt sich immer über denselben Scheiß auf, und manchmal weiß man nicht mal, warum.