Berlin

Sonntag, 14. April 2019

Am Beckenrand


Jeder Mensch glaubt erstmal, dass es ganz normal ist, was er um sich herum wahrnimmt. Er stellt seine Existenz nicht in Frage. Warum auch? Sein Gehirn ist in der Hauptsache aufs Überleben und die Fortpflanzung ausgerichtet. Nun wäre der Mensch aber nicht Mensch, wenn er sich nicht darüber hinaus Gedanken machen würde. Die menschliche Kultur zeugt davon, dass wir es nicht beim Herumficken von Generation zu Generation beließen, sondern außerdem Religion, Philosophie und Naturwissenschaft entwickelten. Frag mich nicht, warum. Fluch und Segen können verdammt dicht beieinander liegen. Ich tendiere zum Fluch. Nein, es ist eindeutig ein Fluch… Die Vielzahl an Indizien, warum wir besser nicht zum Homo sapiens geworden wären, sind erdrückend. Ich will jetzt aber nicht ausholen. Viel zu klar liegt alles vor mir. Man lebt einige Jahrzehnte, beobachtet die Welt und zieht seine Schlüsse. Eigentlich ganz einfach.
Gestern begoss ich meinen Feierabend im Pub. Ich hatte eine mittelschwere Woche hinter mir. Ich musste mich durchbeißen. Von Tag zu Tag. Vom Morgen bis zum Abend. Ich hatte es satt, wie in einer Endlosschleife zu funktionieren. Wozu der ganze Dreck? Welcher Idiot hat das Schwimmbecken so tief gemacht, dass man keinen Grund unter den Füßen hat? Gut, ich hatte es wiedermal bis zum Beckenrand geschafft… Das Pils stand bereits vor mir auf der Theke. Der Wirt kennt mich. Ich finde es super, wie unsere nonverbale Kommunikation funktioniert. Einfach easy. Ab und zu wechseln wir aber doch ein paar Worte, d.h. er redet, und ich mache so, als ob ich zuhöre. Er hat nun mal diese Kneipe am Hals mit den immer selben Suffköppen an der Bar. Na wenn man da nicht auf Dauer was an der Waffel kriegt! Er gießt mir einen Korn ein und sagt: „Aufs Wochenende!“ Natürlich trinkt er einen mit. „Danke“, grunze ich, „so ist das Leben.“
Neben mir sitzen noch ein paar andere Figuren. Sie berlinern, dass die Schwaden krachen. Ich verstehe nicht alles. Wenn sie lachen, grinse ich auch. Wir sitzen alle im selben Boot.
„… ein Betrunkener tastet sich an einer Litfaßsäule entlang, immer rundherum, und ruft: Wo ist denn hier die Tür??“ Alles lacht! Der Wirt kriegt sich fast nicht mehr ein. Lachtränen laufen ihm übers Gesicht. Auch mir gefällt das Bild des Betrunkenen, der um eine Litfaßsäule herumtorkelt und verzweifelt den Ausgang sucht. Richtig philosophisch finde ich das. Ganz stark. Und deswegen schrieb ich jetzt davon.

Sonntag, 31. März 2019

Die Zukunft steht geschrieben, aber der Film läuft noch


Redford ist inzwischen ein alter Knacker und kann einen solchen authentisch verkörpern, so in dem derzeit laufenden Kinostreifen „Ein Gauner & Gentleman“, einer leicht erzählten Tragikomödie über einen alternden Ganoven, der alleine und mit zwei ebenso nicht mehr ganz jungen Kumpels in feiner Manier Banken ausraubt*. Seine Vita ist ein einziges Desaster von Banküberfällen, Knastaufenthalten und Ausbrüchen. Es geht ihm nicht um die Kohle, sagt er, sondern um das Leben. Redford verkörpert die Figur des nimmermüden Ganoven sehr sympathisch. Selbst der Polizist, der ihn jagte, bedauert, als er schließlich von der Bundespolizei gestellt wird. Immer wieder sieht man Nahaufnahmen von seinem furchigen Gesicht und diesen Redford-Augen, etwas milchig zwar, aber sie strahlen immer noch.
Eingewoben in die Ganovenstory eine Liebesgeschichte – der alte Ganove könnte endlich zur Ruhe kommen, einen Hafen, ein Zuhause für seine letzten Lebensjahre an der Seite einer nicht minder alten aber gut erhaltenen Dame mit Pferderanch finden. Doch seine Leidenschaft fürs Bankgeschäft ist stärker, und so wird nichts aus dem Happy End.
Ich dachte nur, mein Gott, wie alt Redford geworden ist. Wie viele Jahre gingen ins Land, seit ich ihn an Paul Newmans Seite in „Der Clou“ bewunderte? Die beiden gehörten zu meinen Lieblingsschauspielern in den Siebziger-Achtzigern. Wobei ich Paul Newman einen Tick mehr mochte. Scheiße, wie lange ist das her! Das Leben lag damals noch vor mir…
Wie komme ich eigentlich hierher? Ich sitze an einem künstlich angelegten Teich unweit des Kinopalastes am Potsdamer Platz. Der Himmel über mir strahlt in astreinem Blau. Verkehrsgetöse im Hintergrund, und doch ist dieses Plätzchen voller Ruhe. Ich blicke sinnierend auf die Wasseroberfläche und die modernistischen Fassaden der umgebenden Gebäude. Ich frage mich, wer in ihnen arbeitet. Wir alle sind Teil eines riesigen Lebewesens, das sich Stadt nennt. Anonym funktionieren wir nebeneinander, arbeiten gemeinsam daran, dass alles weitergeht…
Mir bleibt noch eine Stunde bis zum Filmstart. Ich genieße die Ruhe im Auge des Sturms.



*Ich sehe mich als Rentner auch schon Banken überfallen. Fürs Geld und fürs Leben.

Samstag, 30. März 2019

Das Fernsehen im Pub und "Köpfe fangen"


Rein wettertechnisch die Wiederholung von letztem Samstag. Der Biergarten ruft. Ich schlief lange und unruhig – ganze Romane geträumt, darunter die Idee für ein Spiel unter Todeskandidaten. „Köpfe fangen“ nannte ich es. Zuerst wird ein Streichholz gezogen, wer für den „Ball“ zu sorgen hat. Der Delinquent mit dem kurzen Hölzchen muss unter die Guillotine. Die anderen Delinquenten stellen sich im Kreis darum auf und müssen sich nun den Kopf des soeben hingerichteten zuwerfen. Wer ihn nicht fängt oder fallen lässt, verliert als nächster seinen Kopf und stellt somit den „Ball“…, bis am Ende nur noch der Glückliche übrigbleibt, der mit seiner Begnadigung belohnt wird. Ein Aufseher passt während des Spiels auf, dass alles ordentlich vonstattengeht. Wer z.B. den Kopf so wirft, dass er unmöglich zu fangen ist, wird kurzerhand erschossen.
Ich schielte zum Wecker. Sechs Uhr, es dämmerte bereits. Ich dachte an die bevorstehende Zeitumstellung, dass uns nächste Nacht eine Stunde geklaut wird…, drehte mich noch mal um und träumte den nächsten Unsinn.

Best idea ever, gestern nach der Arbeit noch zum Haarschneider zu gehen. So habe ich heute volle Planungsfreiheit. Ich verknüpfte meinen Frisörbesuch mit einem Feierabendbier im Pub. Das liegt quasi nebendran. Aus dem einen Bier wurden dann doch mehrere. Der Wirt spendierte mir einen Korn. Da musste ich mich revanchieren. Jeden Freitagnachmittag hängen im Pub einige gut angesoffene ab. Ich mag die Knilche, wenn ich mich auch nicht in ihre Gespräche einmische. Ich sitze ein paar Meter weg an der Bar und grinse in mein Bier. Wir saßen also an der Bar, und es lief, wie es jeden Freitag läuft, als so ein paar Heinis vom Fernsehen hereinschneiten. Sie wollten ein Interview mit dem Wirt. Der sagte nicht nein. Die Kamera zielte direkt in den schmalen, düsteren Schankraum. Ich griff mir mein Bier und drehte mich weg. So ein Scheiß! Dürfen die das einfach so – einen filmen, ohne zu fragen?!? Es ging, wie ich am Rande mitkriegte, um die Veränderungen in der Potsdamer Straße. Das Pub ist eines der wenigen Relikte, welches über die Jahrzehnte überdauerte. Der Wirt war bereits ganz schön angeschickert. Zu viele Korn, die er seinen Gästen ausgab und immer mittrank. Aber er fand sich wohl geehrt durch die Anwesenheit des Fernsehens. Wer denn so bei ihm reinkomme, fragte der Heini vom TV. Die Besoffenen hinter mir grölten und lachten. Lass den Kelch an mir vorübergehen, dachte ich. Außerdem war mein Bier leer. Ich weiß nicht, was die TV-Leute dachten, aber sie waren plötzlich so schnell verschwunden, wie sie gekommen waren. Uff! Ich hasse nichts mehr, als in irgendeiner Form abgelichtet zu werden. War schon schlimm genug, beim Frisör vorm Spiegel zu sitzen… Man hat halt so seine Macken.
Kurz nach 17 Uhr löste Ramona den Wirt ab. Ich hatte mich warmgetrunken und genoss ihren Anblick. Allzu viele Frauen bekam man hier sonst nicht zu Gesicht. Ramona ist eine schwarze Schönheit, jedenfalls aus Trinkerperspektive. Sie nennt mich immer Tomas. „Wie kommst du auf Tomas?“ fragte ich sie. Sie zeigte mit dem Finger auf den Wirt. „Na gut, dann nenne mich eben Tomas“, lachte ich. Auch Ramona gab einen Korn aus, und ich bestellte mir noch ein Bier…
(Nein, ich versackte nicht. Bekanntlich geht man am besten dann, wenn es am Schönsten ist.)

Samstag, 9. März 2019

Die Dienstreise


Die Dienstreise führte mich in die Gneisenaustraße. Als betrieblicher Ersthelfer benötigte ich einen Erste Hilfe Grundlehrgang, 9-stündig. Ich wählte eine Ausbildungsstätte des Arbeitersamariterbundes in Kreuzberg. Mit dem Fahrrad ein Katzensprung. Vorbildlich war ich wie verlangt bereits eine Viertelstunde vor Beginn vor Ort. Der Kursraum lag im Erdgeschoss direkt an der Straße. Peu à peu trudelten die anderen ein, 13 an der Zahl, wenn ich mich nicht verzählte. Ich hätte noch genug Zeit für einen Drink gehabt, ärgerte ich mich. Die Tische waren in U-Form angeordnet. In der Mitte sollten die praktischen Übungen stattfinden. Zwei junge Rettungssanitäter, geschätzt Mitte Zwanzig, wechselten sich im Vortrag ab. Sie machten ihre Sache gar nicht schlecht, auch wenn ich mir eine erfahrenere Kursleitung gewünscht hätte. Nun gut, ich betrachtete den Lehrgang wie wohl die meisten als notwendige Pflichtübung. Natürlich ist`s auch nicht schlecht, wenn das ein oder andere wiederaufgefrischt wird. Gefühlt befand ich mich bereits im Urlaubsmodus. Am meisten nervten mich die praktischen Übungen – da musste man sich dann auch noch nahekommen. Mein Sitznachbar war ein bärtiger Türke, Mitte Vierzig – schwer zu schätzen. Er war mir angenehm in seiner ruhigen Art. Jedenfalls besser als der fette Typ im Jogginganzug, der auch zur Auswahl stand.
Was man nicht alles macht, dachte ich, als ich mich auf die silbern glänzende Rettungsdecke niederließ… Ob das alles noch so klappt, wenn man dann wirklich an einem Unfallort auf einen Bewusstlosen oder Verletzten trifft? Wie war das verflixt nochmal in dem Kurs vor zehn Jahren? Nein, halt! falls ich in der Pflicht des betrieblichen Ersthelfers bleibe, muss ich den Kurs alle zwei Jahre wiederholen. Das Zertifikat ist zeitlich begrenzt, was freilich Sinn macht. So weit im Voraus denke ich aber nicht. Was weiß ich, was in zwei Jahren ist? 2021 liegt unfassbar weit vor mir. Bis dahin muss ich erstmal überleben…
Okay, solche Lehrgänge zeigen einem nur, wie es am besten ablaufen sollte in einer Notfallsituation. Ich finde, man könnte das Ganze mehr aufs Wesentliche komprimieren. In neun Stunden wird niemand zum Rettungssanitäter. Man merkte, wie die zwei Jungs in ihrem Fach leben, und darauf können sie auch wirklich stolz sein. Als ich in ihrem Alter war, hing ich den ganzen Tag in meiner Stammkneipe ab, spielte Billard, zockte an der Theke und soff mich ins Delirium. Die Jungs waren fit, und sie hatten Eier in der Hose. Wer schon mal vor einer Gruppe wildfremder Menschen stehen und zu einem Thema referieren musste, weiß, was ich meine. Absolut nicht mein Ding. Angeblich kann man das üben. Aber warum soll ich was üben, wogegen sich alles in mir sträubt?
Gegen 16 Uhr hatten wir`s hinter uns, eine Stunde früher als veranschlagt. Schön, das habe ich dann auch abgehakt. Ich schwang mich aufs Fahrrad und fuhr über den Bergmannkiez zurück. Die Luft roch gut. Endlich! Der lange herbeigesehnte Urlaub war Gegenwart!

Dienstag, 5. März 2019

Die Stille nach dem Furz


Stundenlang könnte ich dem Surren lauschen. Ich hänge mit dem elektrischen Nasenhaarschneider am heimischen Schreibtisch ab, drehe den Kopf zur Seite und schaue auf das werktägliche Treiben vorm Fenster, aber mehr so indirekt, wie wenn man aufs Meer blickt. Die Stadt atmet. Der Verkehr pulsiert in den Adern. Die Stadt funktioniert wie ein Lebewesen. Alles Definitionssache. Das Universum zerfällt in fraktale Muster. Alles lebt gewissermaßen. Oder auch nicht…
Normalerweise würde ich jetzt im Büro sitzen und einen Stapel Tumorfälle abarbeiten. Stattdessen sitze ich zuhause wie in einer Parallelwelt und rasiere mir die Nasenhaare. Die Sonne kommt kurz raus. Gut. Gut. Heute und morgen noch zum Auskurieren. Schwach fühle ich mich. Vielleicht würde ich die Krankmeldung verlängern, wenn da nicht die Reise wäre. Ich muss mich berappeln!
Ganz schön windig draußen. Ich mag den Wind an der See. Ich setze die Segel in meinem Kopf und lasse mich treiben… Wolken und Wind, Licht und Schatten im regen Wechsel, der Blues des Lebens, die Elemente, aus denen alles besteht, explodierende Sterne, Supernovae, Sternennebel… sich in irrwitzigen Größen verlierend… Und wir diskutieren bei Plasberg, was Heimat ist.

Samstag, 2. März 2019

Jeden Tag eine gute Tat


Ich wusste es schon immer: Faulenzen ist meine Lieblingsbeschäftigung. Gemach, gemach. Nur keine Hektik. In einer Großstadt wie Berlin der Hektik zu entgehen, ist freilich unmöglich. Aber es gibt ein paar wenige Oasen wie z.B. die Arkaden am Potsdamer Platz. Ohne Probleme fand ich an der Bar im Obergeschoss einen Platz. Kein Menschengewusel und kein Lärm um mich. Auf ein paar TV-Bildschirmen lief Ski-Springen. Ich war zuvor im Reisebüro, um ein paar Sachen wegen meiner Gran Canaria-Reise abzuklären. Die Kinokarte für „Vice – Der zweite Mann“ hatte ich auch schon in der Tasche. War gratis. Eine ältere Dame, die hinter mir in der Reihe stand, hatte auf ihrem Abonnement noch einen Kinobesuch übrig. So richtig kapierte ich`s nicht – ich bedankte mich jedenfalls artig; und die Frau an der Kasse drückte ein Auge zu, weil man diese Karte eigentlich nicht auf jemand anders übertragen konnte. „Jeden Tag eine gute Tat“, meinte sie lächelnd. Langsam wurde mir das ganze peinlich – als ob ich eine gute Tat nötig hätte! Wirke ich inzwischen derart mitleiderregend? Vom Fleisch falle ich jedenfalls nicht. Wahrscheinlich aber hielt mich die ältere Dame einfach für einen netten Herrn, dem sie gern ihr noch offenes Kinoticket vermachte, bevor es verfiel. Dass ich auf meine Mitmenschen einen netten Eindruck mache (vor allem auf die Alten), erlebe ich immer wieder. Was soll ich sagen – gute Erziehung oder so.
Nach zwei Berliner Pils erhob ich mich von meinem Platz an der Bar und schlappte gemütlich Richtung Kino. Ist nicht weit. Ich konnte in aller Ruhe ein paar Getränke einkaufen und endlich das Antibiotikum, das mir der Arzt wegen des grippalen Infekts verschrieben hatte. Offenbar wollte er auf Nummer sicher gehen.
„Vice – Der zweite Mann“ war streckenweise eine hervorragende Satire auf den Scheißhaufen der US-amerikanischen Politikerklasse. Trotzdem blieb bei mir nicht viel hängen von dem Film. Neben mir saßen Popcorn fressende Aliens. Ich kam mir deplatziert vor. Am Ende hatte ich Kopfweh.

Freitag, 1. März 2019

Dead End


Krankheitsbedingt zuhause abhängen macht einen gefühlt noch kränker. Aber gestern stand mir gar nicht der Sinn danach rauszugehen, so fix und foxi fühlte ich mich. Nicht nur körperlich, sondern auch psychisch. Weltuntergangsstimmung trotz prallem Sonnenschein. Die ganze Welt schien in Frühlingsstimmung zu sein, während ich mir im Bett Filme und Serien aus der Mediathek reinzog, um mich von meinen trübsinnigen Gedanken abzulenken. Dabei stieß ich auf „Dead End“, sechs Folgen einer neuen Krimiserie, die in der beschaulich-öden Provinz Mittenwalde angesiedelt ist. Von Folge zu Folge gefiel sie mir besser. Es geht um eine junge Rechtsmedizinerin, die aus geheimnisvollen Gründen ihre FBI-Karriere in Amerika abbricht und zu ihrem alternden Pathologen-Papa zurückkehrt: Leicht skurril gestrickte Fälle, schwarzer Humor und sich entwickelnde Figuren (mit Luft nach oben). Traf ganz gut meinen Geschmack. Hoffentlich keine Eintagsfliege – ich freu mich auf eine 2. Staffel. Das Ende lässt zu viele Fragen offen.
Heute grinst die Sonne nochmal frech. Im März wird`s eher wieder mau – jahreszeitgemäß -, sagte der Wetterfrosch. Ich kann mir nicht vorstellen, noch einen ganzen Tag in der Bude zu verbringen. Also werde ich meinen Arsch irgendwann im Laufe des Tages hinaus vor die Tür bewegen. Wenigstens Wein muss ich nachkaufen. Vielleicht verbinde ich das ganze mit einem nachmittäglichen Kinobesuch. 16 Uhr läuft „Vice – Der zweite Mann“. Zum Zeittotschlagen sicher nicht schlecht.

Samstag, 15. Dezember 2018

Gefangen in der Öde


Mit dem Leben verhält es sich wie mit dem Weltall: Zwischen den Planeten, den Sonnensystemen und Galaxien liegt ein Haufen leerer Raum. Ich nenne es Öde oder „nichts los in der Hos“. Zurzeit befinde ich mich mal wieder in der Öde. Der Winter ist dazu prädestiniert, die Weihnachtszeit im Besonderen. Gestern hatten wir Weihnachtsfeier, Betriebsversammlung, Jahresabschlussbericht und Fortbildung in einem. Ganz schön öde, und man darf sich von seiner schlechten Laune und Langeweile nichts anmerken lassen. Ist immer blöde, wenn man gefragt wird: „Alles gut bei Dir?“
„Ja, haha, alles top, ich schlief nur schlecht.“
„Ich schlief auch nicht gut.“
„Ach so.“
„Und wie findest Du das Essen?“
„Geht so. Der Fisch ist nicht übel.“
Und Blablabla.
Gut, dieses alljährliche von der Geschäftsleitung zum Wohle der Mitarbeiter(innen) organisierte Schmankerl ging auch vorüber. Es gibt Schlimmeres. Aber müde war ich – verflucht, war ich müde von dem vielen unbequemen Herumsitzen und blöde grinsen!
Als ich im Pub ankam, war es bereits dunkel. Ich wollte nicht gleich zurück in die Bude. Zu früh noch. Ich setzte mich an die Bar und nickte der Bedienung zu. Neben mir ging es hoch her. Einige waren bereits ganz gut angetrunken (abgesehen von den üblichen Idioten). Laute Reggae-Musik tönte aus den Boxen. Der Zigarettenqualm hing in Schwaden im Raum. Der Bedienung gefiel es. Die alten Säcke neben mir glotzten ihr auf den Arsch. Ihre Hose hing auf Halbmast und gab den Blick frei auf Schlüpfer und einen Streifen nacktes Fleisch. Mein Bier kam, und ich griff mir zur Ablenkung eine Zeitschrift. Wenn meine Kolleginnen wüssten, in was für Spelunken ich abhänge, dachte ich beim Durchblättern. Nach außen hin mache ich eher einen anderen Eindruck. Ich würde wirklich gern mal wissen, was die Menschen, denen ich so im Alltag begegne, von mir denken. Na ja. Egal. Gut, dass ich mich nicht selbst von außen betrachten kann. Die Innenperspektive reicht mir völlig.
Mittlerweile habe ich ein Pub-Pensum: drei Pils, was neun Euro macht, und die ich dann großzügig mit einem Zehner bezahle. Meistens kehre ich dort nach dem Einkaufen im Supermarkt oder zum Feierabend ein. Alles liegt wunderbar in der Nähe – ich mag`s praktisch. Ich entwickle mich zu einem typischen Kiezbewohner. Im Umkreis von ein bis zwei Kilometern finde ich alles Notwendige. Ich genieße das Leben in der Komfortzone.
Das dritte Bier trank ich etwas schneller. Ich hatte genug von der lauten Musik, dem besoffenen Gelächter und dem Zigarettenqualm. Alles war gut. Draußen das übliche Getöse der Potsdamer Straße. Passanten huschten durch die weihnachtlich illuminierte Dunkelheit. Die Öde spie sie aus und schluckte sie wieder. Unerreichbar wie die Sterne am Himmel.

Samstag, 3. November 2018

Gute Nacht Saigon


In der letzten Woche bemühte ich mal wieder den Lieferdienst für Lebensmittel. Nicht dass ich eine Lieferung unbedingt gebraucht hätte. Bier war noch genug da. Aber irgendwie war mir öde. Wenn ich sage, dass mir öde ist, meine ich nicht direkt langweilig. Es ist eher ein Gefühl von Öde – wie soll ich das beschreiben? Hm… Man kann sich das in etwa so vorstellen: Du fickst und fickst und fickst, aber kommst nie zum Orgasmus.
Die Bestellung von Lebensmitteln übers Internet hilft dabei im Großen und Ganzen gar nichts… Hm. Wahrscheinlich verstehen das nur Menschen, die das Gefühl der Öde original haben oder zumindest kennen. Jedenfalls erwartete am letzten Donnerstag eine Lieferung. Jemand klingelte endlich mal an meiner Tür, nicht aus Versehen, sondern weil er zu mir wollte! Nur zu mir zu mir zu mir! Wow!!
Ich wartete eine gute Stunde auf ihn. Es war später Nachmittag. Ich lag auf der Couch und zog mir eine Folge der Serie M.A.S.H rein. Köstlich! Ich vergaß den Lieferservice ganz.
Plötzlich war es soweit, und ich sprang wie von der Tarantel gestochen hoch. Alles hatte ich akribisch vorbereitet: Im Flur brannte Licht und das Portemonnaie lag im Schuhregal griffbereit. Ich will die Sache immer so schnell wie möglich abwickeln, weil ich weiß, wie sehr die Jungs in Eile sind.
Der Typ hatte es aber diesmal gar nicht so eilig. Nachdem ich die Rechnung (plus Trinkgeld) bezahlt hatte, fragte er mich, ob meine Miete sich auch schon erhöht hätte, er würde ganz in der Nähe wohnen. Nein, antwortete ich, – ich wusste, dass er auf die Gentrifizierung des Wohngebiets anspielte. Er nannte einige Horror-Mieten, von denen er gehört hatte. Nein, das könne ich mir auch nicht leisten, sagte ich. Warum er dann noch betonte, dass er Türke ist, weiß ich nicht. Hier ist schließlich jeder zweite oder dritte Türke. Ich lächelte freundlich und dachte: Baby, mach dich besser vom Acker, ein Türke fickt meine Ex… Natürlich bin ich weder nationalistisch noch rassistisch gesinnt, aber situationsbedingt ergeben sich bei mir gerade unangenehme Ressentiments.
Als ich die Tür hinter ihm schloss, kehrte ich zurück zu meiner Öde. Eines der Fertiggerichte in die Mikrowelle… und ein paar Minuten später futterte ich den Schweinefraß. Gute Nacht Saigon.
Okay, ich weiß, in M.A.S.H ging es um den Korea- und nicht um den Vietnamkrieg. Na und?

Freitag, 26. Oktober 2018

Verfluchter Blutdruck


„Warum haben Sie so einen hohen Blutdruck?“ fragte mich die Ärztin und schenkte mir ihr Koreanerinnen-Lächeln. Ich hatte Feierabend und wollte eigentlich nur ein neues Rezept für meine Medikamente. Nachdem ich eine gefühlte Ewigkeit hinter anderen Patienten angestanden war, hatte die Arzthelferin den glorreichen Einfall, mir ausserdem den Blutdruck zu messen. Dazu muss ich sagen, dass ich als Bluthochdruckpatient vor jeder Blutdruckmessung extrem angespannt bin. Ich weiß sowieso, dass er wieder zu hoch sein wird… Meine Hausärztin reichte mir die Rezepte. „Ich bin gestresst“, antwortete ich. Sie sagte noch etwas davon, dass ich dann nach Hause fahren solle und…, aber das ging bereits an mir vorbei. Ich grinste nur blöde. Das wäre erledigt, nun nur noch in die Apotheke, dachte ich. In der Apotheke hatten sie nur eines von den vier Medikamenten vorrätig, weshalb ich da heute noch mal hinmuss. Na gut. Ich schlappte um die Ecke zu einem Naturkostladen, weil die dort feines Brot und leckere Pizzastücke (aus Vollkorn) haben. Nichts im Regal. „Es sind Herbstferien“, sagte die Verkäuferin entschuldigend. „Ach so“, meinte ich und hörte bei ihren weiteren Ausführungen gar nicht mehr hin. Also weiter, rüber über die vor Verkehr brüllende Potsdamer Straße und zum Pub. Die Theke vollbesetzt. Ich nickte dem Barkeeper zu und setzte mich an einen Tisch. Das Bier kam ruckzuck. Mein Blutdruck normalisierte sich langsam…

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