Mindestens indirekt


Gestern hatte ich meinen zweiten Termin beim Arbeitsamt. Ein junger Türke, vollkommen integriert, ist mein Arbeitsberater – ein sympathischer junger Mann und Familienvater. Ich blickte immer wieder auf das gerahmte Bild seiner kleinen Tochter, das auf seinem Schreibtisch stand.
Er befragte mich nochmal zu meinen beruflichen Fähigkeiten, ob ich über Grundkenntnisse oder Expertenwissen verfüge. Ein Aspekt lautete „indirekte Pflege“. „Noch nie gehört“, lachte ich, „indirekte Pflege? Was soll das sein?“ Er wisse es auch nicht, sagte er.
Wir besprachen die weitere Vorgehensweise. Ein Termin beim Amtsarzt wird das Nächste sein.
Eine Stunde saßen wir zusammen. Unter anderem ging es um meinen Urlaub, den ich für Oktober und November brauche, und die Krankenversicherung. Es ist noch nicht raus, ob ich eine dreimonatige Sperre kriege, aber es ist anzunehmen. Ich rechnete damit, erst mal ohne Arbeitslosengeld über die Runden zu kommen. Wichtig ist mir, dass mir das Arbeitsamt nicht zu sehr auf die Pelle rückt.

Das Arbeitszeugnis meines Arbeitgebers erhielt ich auch schon. Hier ein Ausschnitt:

„Herr Bonanzamargot hat die ihm übertragenen Arbeiten stets zuverlässig und verantwortungsbewusst erledigt. Mit seiner ruhigen und ausgeglichenen Art, mit Umsicht und Einfühlungsvermögen versorgte Herr Bonanzamargot die ihm anvertrauten Heimbewohner und Heimbewohnerinnen. Gegenüber seinen Kolleginnen und Kollegen sowie den Vorgesetzten verhielt er sich stets höflich, korrekt und zuvorkommend. Des Weiteren zeichnete er sich durch Pünktlichkeit, Engagement, durch Einsatzbereitschaft aus. Er war bei Mitarbeitern und Bewohnern beliebt.“

„Wenn dir was missfällt, streiche es an, und ich ändere es“, sagte der Pflegedienstleiter. Wer kennt sich mit diesen Formulierungen aus? Stecken darin versteckte Botschaften, die mich schlecht aussehen lassen? Oder soll ich meiner PDL vertrauen?
Scheiß drauf. Es wird schon stimmen. Mindestens indirekt.

Noch zwei Nachtwachen am folgenden Wochenende, und ich bin ein „freier Mann“. Nach 20 Jahren. Wenn man aus dem Knast kommt, muss es so ähnlich sein. Da ist keine echte Freude, obschon ich Erleichterung spüre. Das Altenheim wurde zu einer Art Zuhause in dieser langen Zeit. Die Gefühle sind zwiespältig. Ich erinnere mich an mein Abi, als ich der ungeliebten Schule ade sagte und mich trotzdem nicht wirklich freuen konnte. Wir soffen uns halt die Köppe zu. Das war`s. Abhaken. Den Paukern den blanken Arsch raus strecken.
- Und jetzt? Erstmal Urlaub machen. Den Kopf frei kriegen. Das Leben lieben, und die neue Freiheit genießen!

Camina (Gast) - 23. Sep. 14, 19:13

da ich im Personalbereich arbeite schreibe ich unter anderem auch Zeugnisse und würde sagen: keine versteckte Botschaften, aber eine 08/15 Formulierung.

Freu dich auf die Zeit die vor dir liegt das Leben findet jetzt statt genieße deine Urlaub alles andere wird sich weisen.

Liebe Grüße
Camina

bonanzaMARGOT - 23. Sep. 14, 19:58

ich werde es genießen - auf meine weise, und so weit man mich lässt.

was für eine 0815 formulierung?
(das sind doch alles 0815 formulierungen.)
C. Araxe - 23. Sep. 14, 21:04

Herr Bonanzamargot hat die ihm übertragenen Arbeiten stets zuverlässig und verantwortungsbewusst erledigt.
Das wäre nach Schulnoten eine 3.

Mit seiner ruhigen und ausgeglichenen Art, mit Umsicht und Einfühlungsvermögen versorgte Herr Bonanzamargot die ihm anvertrauten Heimbewohner und Heimbewohnerinnen.
Zuerst kommen immer weibliche Personen. Falls das nur Schludrigkeit ist, so kann die auch gewollt sein. (Mangelnde Wertschätzung.)

Gegenüber seinen Kolleginnen und Kollegen sowie den Vorgesetzten verhielt er sich stets höflich, korrekt und zuvorkommend.
Zuerst kommen die Vorgesetzten. Abweichungen deuten hier stets auf Fehlverhalten hin.

Des Weiteren zeichnete er sich durch Pünktlichkeit, Engagement, durch Einsatzbereitschaft aus. Er war bei Mitarbeitern und Bewohnern beliebt.
Auf Pünktlichkeit wird normalerweise nicht extra hingewiesen, da sie als selbstverständlich vorausgesetzt wird. Also ist genau das Gegenteil gemeint.

Die meisten Personaler kennen sich bei so etwas allerdings selbst nicht richtig aus. Von daher kommt vieles auch durch Zufall zustande.

iGing - 23. Sep. 14, 21:45

Ich hab's mir irgendwann mal so gemerkt: Damit es wirklich sehr gut ist, muss immer ein "stets", "sehr" bzw. ein Superlativ dastehen. Ergibt also:
stets zu unserer vollsten Zufriedenheit - 1
zu unserer vollsten Zufriedenheit - 2
zu unserer vollen Zufriedenheit - 3
zu unserer Zufriedenheit - 4
So gesehen klingt der Satz "Er war bei Mitarbeitern und Bewohnern beliebt" eher negativ (nur meine Meinung).
Schreib dir ein Zeugnis in den höchsten Superlativen, so dass du es selber schon fast peinlich findest, und lasse ihn das unterschreiben!

C. Araxe - 24. Sep. 14, 07:51

Das mit dem „stets” ist inzwischen bekannt, daher ist die Kombination wichtiger („vollsten”, „vollen” etc.).

Er war bei Mitarbeitern und Bewohnern beliebt" eher negativ. „eher negativ”
Stimmt.
bonanzaMARGOT - 24. Sep. 14, 10:23

vielen dank für eure hinweise.
und wie sollte ich also diesen satz "war bei mitarbeitern und bewohnern beliebt" am besten formulieren?
"sehr beliebt"?
und sollte ich vielleicht die "pünktlichkeit" streichen?
fakt ist, dass ich nie krank und tatsächlich auch sehr pünktlich war.
fakt ist auch, dass ich bei den heimbewohnern beliebt war - was die mitarbeiter angeht, weiß ich es nicht. na ja, und mit wenigstens einem vorgesetzten hatte ich stunk; und der schrieb das zeugnis.
iGing (Gast) - 24. Sep. 14, 12:56

Vor dem "Einfühlungsvermögen" noch ein GROßEM einfügen!
bonanzaMARGOT - 24. Sep. 14, 12:16

ich schrieb es ein wenig um:

"Herr BM hat die ihm übertragenen Arbeiten stets zuverlässig, verantwortungsbewusst und zu unserer vollsten Zufriedenheit erledigt. Mit seiner ruhigen und ausgeglichenen Art, mit Umsicht und Einfühlungsvermögen versorgte Herr BM die ihm anvertrauten Heimbewohnerinnen und Heimbewohner. Gegenüber seinen Vorgesetzten sowie seinen Kolleginnen und Kollegen verhielt er sich stets höflich, korrekt und zuvorkommend. Des Weiteren zeichnete er sich durch Zuverlässigkeit, Engagement und Einsatzbereitschaft aus. Er war bei Mitarbeitern und Bewohnern sehr beliebt.“

was meint ihr? besser?

Zeugnis (Gast) - 24. Sep. 14, 12:40

JA!

bonanzaMARGOT - 24. Sep. 14, 12:44

meinst du?
ich tüftelte nun noch ein wenig herum.
im ersten satz ließ ich das "zuverlässig" weg, da "zuverlässigkeit" unten sowieso auftaucht. ausserdem änderte ich noch um:
"des weiteren zeichnete er sich durch äußerste zuverlässigkeit, engagement und einsatzbereitschaft aus."
iGing (Gast) - 24. Sep. 14, 12:54

Ja, schon besser (finde ich). Falls du nicht zweimal "zuverlässig(keit)" erwähnen willst, würde ich im zweiten Fall (unten) "Verlässlichkeit" vorschlagen.
Aber du musst immer bedenken: Was wegstreichen kann der Boss immer noch, wenn er will. Gib ihm was, was er wegstreichen kann, ohne dass dein Zeugnis darunter leidet! Etwa so (nur mein Vorschlag in Großbuchstaben, ohne Gewähr für Besserheit oder Richtigkeit):

"Herr BM hat die ihm übertragenen Arbeiten stets ÄUßERST zuverlässig UND verantwortungsbewusst [wenn zuvor "und" eingefügt, dann hier streichen!] zu unserer vollsten Zufriedenheit erledigt. Mit seiner ruhigen und ausgeglichenen Art, mit SEHR VIEL Umsicht und Einfühlungsvermögen versorgte Herr BM die ihm anvertrauten Heimbewohnerinnen und Heimbewohner. Gegenüber seinen Vorgesetzten sowie seinen Kolleginnen und Kollegen verhielt er sich stets höflich, korrekt und zuvorkommend. Des Weiteren zeichnete er sich durch Zuverlässigkeit, Engagement und Einsatzbereitschaft aus. Er war bei Mitarbeitern und Bewohnern sehr beliebt.“

Da Beliebtheit halt doch was von negativ an sich hat (wird oft mit Sprücheklopfen gleichgesetzt; wenn einer bei Kollegen allzu beliebt ist, wird das von Vorgesetzten oft nicht so gern gesehen, weil es die Leute von der Arbeit abhält), würde ich den letzten Satz so formulieren:
"Seine Hilfsbereitschaft wurde von Mitarbeitern und Bewohnern sehr geschätzt."
iGing (Gast) - 24. Sep. 14, 12:57

Vor dem "Einfühlungsvermögen" sollte noch GROßEM eingefügt werden!
bonanzaMARGOT - 24. Sep. 14, 13:17

puh

„Herr BM hat die ihm übertragenen Arbeiten stets äußerst zuverlässig und verantwortungsbewusst zu unserer vollsten Zufriedenheit erledigt. Mit seiner ruhigen und ausgeglichenen Art, mit sehr viel Umsicht und großem Einfühlungsvermögen versorgte Herr BM die ihm anvertrauten Heimbewohnerinnen und Heimbewohner. Gegenüber seinen Vorgesetzten sowie seinen Kolleginnen und Kollegen verhielt er sich stets höflich, korrekt und zuvorkommend. Des Weiteren zeichnete er sich durch Verlässlichkeit, Engagement und Einsatzbereitschaft aus. Seine Hilfsbereitschaft wurde von Mitarbeitern und Bewohnern sehr geschätzt.

Herr BM hat auf eigenen Wunsch unser Haus verlassen. Wir bedauern dies sehr und wünschen ihm für seinen beruflichen und privaten Lebensweg alles Gute und viel Erfolg.“


den letzten abschnitt hatte ich oben gar nicht erwähnt. da stand ursprünglich nur:

"Wir wünschen Herrn BM, der auf eigenen Wunsch unser Haus verlassen hat, für seinen beruflichen und privaten Lebensweg alles Gute und viel Erfolg."
iGing - 24. Sep. 14, 13:27

Deine Änderung im letzten Absatz finde ich sehr gut.

Wenn ihm das nun zu dick aufgetragen vorkommt, kann er ja was wegstreichen, ohne dass dir was verlorengeht. So sehe ich das.
bonanzaMARGOT - 24. Sep. 14, 13:31

also, ich finde es gar nicht so dick aufgetragen, wenn ich bedenke, wie viele jahre ich aufopferungsvoll in der nachtwache schuftete und oft auf verlorenem posten stand.

danke, iging, für die tipps. wieso hast du davon ahnung?
iGing (Gast) - 24. Sep. 14, 20:41

Naja, ich hab ja auch mal Zeugnisse gesammelt. Da kriegt man so manches mit im Lauf der Zeit.

Der Arbeitsberater hat dich ja ganz schön eingelullt. Wenn du drei Monate Sperrzeit vor dir hast, fällt ihm das wahrscheinlich leicht, denn dann hat er ja keine Arbeit mit dir.
bonanzaMARGOT - 25. Sep. 14, 10:07

wieso eingelullt?
ob ich eine sperrfrist kriege, entscheidet er, glaube ich, nicht.
sowieso kommt die untersuchung durch den amtsarzt, bevor ich dem arbeitsmarkt wieder zur verfügung stehe.
iGing (Gast) - 25. Sep. 14, 11:06

Man könnte auch sagen: Der Arbeitsberater hat ja einen ganz schön positiven Eindruck bei dir hinterlassen. Das kann m.E. nur daher kommen, dass er mit dir nicht viel Arbeit haben wird. Du musst dich aber nicht wundern, wenn du eines Tages an eine deutsche Gefängniswärterin (so nenne ich diesen Typ Frau) weitergereicht wirst.
Amtsarzt? Wieso? Hab ich nie gesehen.
bonanzaMARGOT - 25. Sep. 14, 11:16

na, die arbeitsagentur fragte doch nach den gründen für die kündigung bzw. die auflösung des arbeitsverhältnisses, und da gab ich u.a. gesundheitliche gründe an, dass ich erstmal nicht mehr in meinem beruf arbeiten kann/will.
den typ "gefängniswärterin" hatte ich beim ersten termin, als ich meine unterlagen abgab.
bonanzaMARGOT - 25. Sep. 14, 16:04

und was den arbeitsberater angeht: er sah beinahe aus wie mein frisör. könnte sein bruder sein. vielleicht etwas spießig für einen türken. aber na ja. eben eingedeutscht.

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