Drei Monate


So schnell. Der Urlaub ist vorbei. Der Nachtdienst steht vor der Tür. Schon heute Abend.
Es fällt mir sehr schwer, mich an den Gedanken zu gewöhnen, dass ich zurück ins Altenheim muss - nachdem ich den Auflösungsvertrag unterschrieb. Noch drei schwere Monate. Der Juli wartet gleich mit 15 Nächten auf. Natürlich weiß ich, dass ich die Beklemmungen schnell abschütteln werde, wenn sich die Schiebetür des Foyers hinter mir schließt, ich zu den Umkleideräumen marschiere. Alles wird vertraut sein, als wäre ich gar nicht weg gewesen. Auch die Kollegen und Kolleginnen, die sagen werden: „Ach, du bist schön braun geworden … Hattest du einen schönen Urlaub?“ Und ich werde kurz antworten, dass mein Urlaub schön war, und dass das Wetter schön war. Dann werde ich mich auf die Übergabe konzentrieren. Bestimmt sind neue Bewohner angekommen. Wer ist im Krankenhaus, wer verstorben?

Ich komme mir vor, als würde ich zwischen den Welten stehen. Wo gehöre ich hin? Fremde Leute schleichen an meinen Fenstern vorbei und begutachten das Haus. Hat mein Vermieter nun einen Käufer? Ich fühle mich unwohl in meiner Haut. Ich hätte einfach weg bleiben sollen! Aber allein?
Der Sommer ist schön. Und dazu Liebesgeflüster. Vielleicht bin ich wirklich erschöpft vor Glück - was sich anfühlt, als wäre ich gar nicht richtig glücklich.

Auf einem anderen Blog lese ich, wie sich eine Frau für ihre pflegebedürftige Mutter aufopfert, darüber schreibt. Ich habe kein Verständnis für ein solches Aufopfern, weder in der Familie noch im Beruf. Einige schreiben, wie sehr sie es bewundern. Ich nicht. Wer sich nicht alles aufopfert und dabei von Liebe redet. Alles Quatsch. Da sind sie, die Helden an der Front des Alltags, die sich krank schuften. Die noch darauf stolz sind. Die nach Bewunderung und Anerkennung lechzen. Pflichtbewusstsein und Aufopferung, damit lassen sich eine ganze Menge Menschen ködern. Gerade in sozialen Berufen. Oder in der Familie. Schnell lässt sich den Menschen ein schlechtes Gewissen machen. Wie kann man nur seine Mutter im Stich lassen? Als gäbe es da eine Schuld zu begleichen. Und bei mir auf Arbeit: wie kann man nur so unkollegial sein? Es ist unmöglich, gerade jetzt auszufallen. Das geht auf den Rücken der Kollegen.
Nein, ich fiel so gut wie nie aus. Aber jetzt ist Schluss. Sollen sie sich doch aufopfern. Vielleicht liegen dann mehr Blumenkränze auf ihren Gräbern.

Die fremden Leute sind wieder da. Sie begrüßen mich durchs offene Fenster. Ich denke, es sind die Käufer – und werden damit meine neuen Vermieter sein. Veränderungen stehen an. Eine ganze Menge. Man kann sich den Zeitpunkt nicht immer aussuchen. Im fernen Russland eine Frau, die ich liebe. Es ist ein Wunder. In drei Monaten können wir uns wiedersehen. Doch was weiter ist, steht in den Sternen.

Ich verharre an meinem Schreibtisch und blicke auf das grüne Pflanzengewühl vor meinem Fenster: Brennnesseln, Efeu, Gestrüpp, Wildkräuter mit leuchtend gelben Blüten, eine Hecke ...

katiza - 30. Jun. 14, 11:40

Lieber Herr BoMA,lechze ich nach Bewunderung und Anerkennung? Vielleicht, wahrscheinlich! Sie nicht? Arbeiten Sie nicht - noch - in einem sozialen Beruf? Schreiben Sie nicht einen Blog? Und Lyrik. Ich denke nach. Manchmal, wenn mir die Mutter gram ist, wirft sie mir das vor. Verstehe ich. Das nervt, wenn du einmal im Leben die Hauptrolle hast und stirbst und deine Tochter sahnz die ganze Bewunderung und Anerkennung auf. Ist so. Auch, aber das reicht nicht aus. Das hilft dir wenig im Nachtdienst und gegen den Pissegeruch. Im Spiel mit der Würde. Bewunderung und Anerkennung habe ich ander anderen Fronst - beruflich, gesucht und gefunden. Ich hatte 3.000 KindergärtnerInnen hinter mir auf der Ringstraße! Und kein Mensch hätte mir übel genommen, wenn ich die Mutter in ein Heim gesteckt hätte. Und privat? Da bekomme ich sie auch so oder anders - und um so wertvoller scheint sie mir, nein ist sie mir. Da lebe und liebe ich zwischen Skunk-Groupie und Pfarrersköchin in der Soulkitchen - gerade eben auf Heimaturlaub. Aber zurück zum Nachtdienst: Es hat auch was vom kategorischen Imperativ. Oder dem großen Abenteuer Tod. Ich glaube, ich brauch es auf die ganz harte Tour, es ist mein letztes Mal Familie so nahe, einfach der richtige Weg, kein Bedauern

bonanzaMARGOT - 30. Jun. 14, 13:29

Ich äußerte keine Kritik an Ihnen persönlich. Drum benannte ich Ihr Blog nicht im Beitrag. Was weiß ich schon von Ihnen? Allerdings kamen eben solche Gefühle beim Lesen auf Ihrem Blog bei mir hoch. Sie passen damit in ein Bild, dass ich von vielen Angehörigen nach nunmehr bald 30 Jahren Altenpflege (nicht nur Nachtdienst) habe. 
Letztlich ist es jedem seine persönliche Sache, wie er sich den Eltern verpflichtet fühlt. Ich  erlebte einige Angehörige, die nach jahrelanger aufopfernder Pflege eines Elternteils oder ihres Lebenspartners selbst zum Pflegefall wurden. 
Ich bin der Altenpflege inzwischen (unter den bestehenden Bedingungen) überdrüssig. Drum will ich unbedingt eine längere Pause einlegen - ein Urlaub reicht nicht aus. 
Letztes Jahr starben meine Eltern, und ich wollte sie nicht pflegen. Das hat aber auch noch persönliche Gründe. Der gesellschaftliche Druck war allerdings schon spürbar. Man hat sowieso ein schlechtes Gewissen ...
Ich kann die Angehörigen gut verstehen, die ihre Eltern "fremd" pflegen lassen. Wichtig wäre in jedem Fall, dass das Thema innerhalb der Familie rechtzeitig und ausreichend erörtert wird. 
Ich habe keine Kinder und bin unverheiratet. Aber auch, wenn ich eine Familie hätte, wollte ich ihr niemals zumuten, mich im Alter zu pflegen. Ich wollte den Menschen, die ich liebe, nicht zur Last fallen. Das ist meine Einstellung. Über Besuch im Altenheim würde ich mich aber schon freuen - lach!
Es kommt, wie's kommt. 

Katiza, Sie müssen Ihre Einstellung nicht verteidigen. 
Ich wünsch Ihnen, dass Sie weiterhin bei guter Gesundheit bleiben - dass Sie diese Bürde weiterhin gut meistern. 

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