Mir reicht`s
Der Auflösungsvertrag ist unterschrieben. Eine halbe Stunde mit viel Blabla von Seiten der Leitung, welche Schwierigkeiten sie nun habe, meine Stelle zu besetzen. Zu meinem Wunschtermin klappte es nicht - was mir fast klar war. Ich werde noch ein paar Monate im Nachtdienst ausharren müssen.
Der Morgen hatte mit Regen begonnen. Als ich vom Altenheim mit dem Auflösungsvertrag im Sack Richtung Bushaltestelle schritt, kam die Sonne durch die Wolken. Ich fühlte mich etwas leichter. Nun musste ich nur noch im Lotto gewinnen. Symbolisch hatte ich vorgestern einen Schein ausgefüllt und auch abgegeben. Man weiß ja nie. Wahrscheinlich verhält es sich beim Lotto wie bei der Liebe: Das Wunder passiert, wenn man nicht damit rechnet oder nicht dran denkt. Insofern ist es taktisch unklug, was ich gerade mache.
In dem Landgasthof gegenüber der Bushaltestelle trank ich ein Bier und starrte in Gedanken vor mich hin. Mein Bus ging erst in einer halben Stunde. Die Kollegen, die von meiner Entscheidung wussten, reagierten verständnisvoll – natürlich mit der schmalzigen Einleitung, wie sehr sie meinen Schritt bedauerten. Ich will nicht ungerecht sein, das ein oder andere Bedauern ist sicher ehrlich. Auch mir fällt es nicht ganz leicht, Abschied zu nehmen. Schließlich war das Altenheim in den letzten neunzehn Jahren fast so was wie mein zweites Zuhause. Dort hatte ich zeitweise die meisten menschlichen Kontakte. Nein, ich werde das Altenheim nicht wirklich vermissen. Wirklich nicht. Pflegenotstand war für mich nicht nur ein Schlagwort sondern berufliche Realität. Und das ist alles andere als spaßig. Seit insgesamt achtundzwanzig Jahren arbeite ich in der Pflege, und es reicht … Mir reicht`s! Es passt auf keine Kuhhaut, was ich alles erlebte. Man macht sich automatisch mitschuldig an den Missständen. Seit ich die öffentlichen Diskussionen darüber verfolge, wird alles unter den Teppich gekehrt. In gewisser Weise wurde die Pflege mit den Jahren sogar unmenschlicher, weil das Drumherum - die Dokumentation, das Qualitätsmanagement, die tausenden Dienstbesprechungen, das Schönreden – mehr zählen als die Zeit, die man mit den Alten verbringt. Man kann es verkürzt auf die Formel bringen „Mehr Schein als Sein“. Nun ist das allgemein nichts ungewöhnliches. In allen möglichen Bereichen von Politik und Wirtschaft und auch im privaten Leben lügt man sich in die Tasche. Aber in der Pflege ist die Diskrepanz zwischen Theorie und Praxis, zwischen Anspruch und Realität, schon seit vielen Jahren unerhört groß … unerträglich groß, möchte ich monieren.
Mir reicht`s!
Ich trank mein Bier aus und ging über die Straße zur Bushaltestelle. Ich blinzelte in die Sonne. Etwas Wehmut war doch dabei. Wer weiß, was die Zukunft bringt. Ohne Risiko geschehen keine Veränderungen. Der innere Kampf muss ausgehalten werden. Einmal keine Marionette sein sondern selbstbewusst handeln! Die Sicherheit für die Freiheit aufgeben!
Und dann ist da ja noch der Lottoschein ...
bonanzaMARGOT
- 24. Mai. 14, 11:33
- Nach der Nachtwache ist vor der Nachtwache
den Rücken kehren
ich denke nach so vielen Jahren kannst du der Altenpflege den Rücken kehren und anderen das Feld überlassen. Wenn man so lange in einem Beruf arbeitet, hat man sich auch selber etwas aufgebraucht, sicher selber ausgeschöpft. Neue Impulse , auch arbeitsmäßig, von außen müssen her, damit man sich wieder neu spürt, erfährt und kennen lernt.
Mein letzte Lottoschein brachte mir einen Vierer..nicht schlecht für den Anfang, aber zu wenig um der Arbeitswelt den Rücke zu kehren ;-( knapp ein Fufziger ..das war´s dann auch schon. Aber wer weiß, vielleicht hält Fortuna doch noch in Füllhorn bereit. Die Hoffnung stirbt zuletzt. ;-)
Ich wünsche dir noch ein schönes WE
LaWe
hallo lawe!
das war im märz. ich spiele nur vereinzelt.
vielleicht ein mal im monat. wenn überhaupt.
ich denke auch, dass ich mir diese auszeit ruhigen gewissens gönnen kann. die altenpflege ist ein sehr nervenaufreibender beruf. leider kann man - bei mir ist es jedenfalls so - die nervliche belastung im alter nicht mehr so leicht kompensieren wie in jungen jahren.
auch heutezutage ist die psyche leider von seiten der arbeitgeber eher ein tabu-thema. kaum ein mitarbeiter traut sich zu sagen, dass er die arbeit nervlich oder psychisch nicht mehr aushält. körperliche defizite und erkrankungen werden vorgeschoben - unter umständen solange, bis sich wirklich diese körperlichen erkrankungen einstellen. wunderbare beispiele sind dafür bluthochdruck und rückenbeschwerden.
oder man wirft mit schlagworten wie "burn-out" um sich.
ich bin nicht burn-out. noch nicht. oder ich war es schon immer - lach!
ich bin es einfach leid, in diesem system weiterhin an der basis zu arbeiten und die verlogenheit mit meiner arbeit zu decken.
Hallo Bo,
viele Fakroren
das ausgebrannt sein kommt heut wohl zum Teil auch daher, dass sie Menschen zum einen nicht mehr abschalten könne, die Erreichbarkeit auch über die Arbeitszeit hinaus zu Teil zulassen und der Druck auf Arbeit, der durch den möglichen Verlust des Arbeitsplatzes, bzw. der Mehrarbeit wegen vorheriger Stellenstreichungen, wohl auch seinen Teil dazu beiträgt.
In deinem Job ist spielt sicher auch die Überlastung eine Rolle. Dort, wo meine Schwägerin schon seid vielen Jahren nur in der Nachtschicht als Altenpflegerin sind immer 2 Mitarbeiter nachts auf Station. Ich denke Nachts zu zweit ist alles halb so schwer.
Eine frühere Kollegin arbeitet nur Zeit nur in der Nachtschicht mit ähnlichen Aufgaben - keine alten sondern geistig Behinderte - für 2,50 € die Stunden. Weil es ihr Zuverdienst ist, reicht es ihr. jetzt plant man, diese Stelle auch einzusparen. "Es gibt Stationen mit Demenzkranken, die Nachts ohne Aufsicht auskommen" sagte man ihr.
In welche Richtung soll das Geschäft mit den Alten und Kranken noch laufen?
LG LaWe
PS: ich hatte vorhin eine Kombitaste gedrückt und schon war die erste Zeile online gestellt ;-)))