Im Sog


Die weiße Pracht taut langsam wieder ab. Der Himmel hellt sich auf. Im TV läuft die Schlichtungsrunde mit Heiner Geißler zum Bahnprojekt Stuttgart 21. Samstagvormittag - die Lebhaftigkeit der Familie im Stock unter mir dringt gedämpft an meine Ohren wie das Verkehrsrauschen auf dem nassen Straßenbelag der stark befahrenen Talstraße. Mal gespannt, wann der Tunnel Wirklichkeit wird, um endlich Entlastung für die Anwohner zu bringen. Da wird wohl vorher noch Stuttgart 21 fertig gestellt.
Ich stöbere in meinen Annalen aus den Neunzigern. Ein altes Notizbuch liegt aufgeschlagen vor mir. Damals hatte ich noch keinen Computer und schrieb tausende Seiten von Hand. Fasziniert lese ich aus den Zeugnissen meiner Vergangenheit. Schemenhaft tauchen Bilder aus dieser Zeit vor meinem geistigen Auge auf. Was habe ich mir in den vielen Jahren nicht alles von der Seele geschrieben. Fühle ich mich darum leichter? Ich weiß es nicht. Der Wortsalat drang aus mir heraus wie Lava - aus dem Refugium meines Geistes. Nun sehe ich sie erkaltet und zu seltsamen Formen erstarrt vor mir.
Minuten wurden zu Stunden zu Tagen zu Jahren, Jahrzehnten. Langsam verstehe ich den Wert von Wissenschaften, die nach unserer Vergangenheit forschen. Es ist mehr als ein Nachvollziehen vergangener Vorgänge. Wir graben dabei nach uns selbst.
Ich bin in der vorwärts drängenden Gegenwart gefangen. Noch immer labern sie in der Schlichtungsrunde. Viele gescheite Leute diskutieren unter der Aufsichtshoheit Heiner Geißlers um den heißen Brei. Interessant. Ich lasse mich ablenken. Der Schnee liegt wie Zuckerguss auf den Dächern und Gärten. Selbst wenn ich völlig erstarre, geht alles weiter. Es gibt keinen Halt. Die Liebe zu einer Frau verschwindet langsam - ohne mein Zutun. Doch bevor sie sich ganz verabschiedet, leide ich, fluche ich, kotze ich …
Alles wird kalt. Das Leben ist wie ein gewachsener Berg - aus der eigenen Schlacke. Und oben am Schlot brodelt es unaufhörlich.

Lange-Weile - 01. Dez. 10, 23:29

Irrungen

Hallo Bo.,

wirklich schön geschrieben - ein wunderschön malersiches Bild, in dem wilde Pinselstricke die Harmonie immer wieder aufreißen.

In meinem Schrank liegen Ordner und Hefte., gefüllt mit beschriebenen Seiten von mir. Werf ich ab und zu mal einen BLick hinein, dann wundere ich mich, woher ich diese geistigen Strömungen nahm. Ich hatte das Gefühl, dass ich von Raum zu Raum ging und ich jedem Raum gab des zahlreiche Türen, von denen ich eine weiter wählte um sie zu öffnen. Und wieder stand in einem Raum mit zahlreichen Türen, von der ich am liebsten alle geöffnet hätte, jedoch nur eine öffnen konnte. So verirrte ich mich in meinen eigenen Gedankengängen und es brauchte Zeit, bis ich den richtigen Gang fand, den ich eine Weile folgen konnte.

Ich bewundere Menschen, die sich lange auf einen einzigen Gedankengang konzentrieren können. Mich müsste man tagelang in ein Zimmer einsperren und nur mit dem nötigen Essen versorgen. Ein Zimmer ohne Türen - nur eine, die nach außen verschlossen ist und ein Gedankengang, der in meinem Hirn eingeschlossen ist.

Gruß LaWe

bonanzaMARGOT - 02. Dez. 10, 10:36

danke lawe.
wenn ich anfange zu schreiben, weiß ich nicht, wo mich meine gedanken hintreiben. ausgangspunkt sind eine stimmung, gedanken, eine idee, oder können träume sein ..., merkwürdigkeiten des alltags, erlebnisse etc.
immer wieder fasziniert mich dabei der diskurs zwischen außen- und innenwelt - überhaupt die vielzahl der welten und wirklichkeitsebenen, wie sie parallel existieren und durch mich hindurch gehen.

ein literarisches Tagebuch

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