Auf das Leben


Da läuft man in sich zusammen wie ein zu heiß gewaschenes Wäschestück - bei den Zukunftsaussichten. Kann es denn kein Jahr ohne eine irgendwie geartete Misere geben? Warum drückt es einen immer wieder die Luft ab? Sich die Leichtigkeit ins Herz zu holen - muss ich dazu erst senil werden?
Die Unbeschwertheit des Kindes erscheint mir kaum noch wirklich in Erinnerung zu sein. Zwischendurch erfasst mich die Abenteuerlust wie ein frischer Wind von der See. Ich beginne von Reisen und Unternehmungen zu träumen, von Freiheit und einem neuen Leben. Ich sehne mich nach Menschen, die diese Freiheit leben, die mir etwas zu sagen haben, an die ich mich anlehnen kann ...
Doch die Wirklichkeit ist ein Käfig in einem Zirkuszelt. Allein tröstlich zu sehen, dass man einer von unzähligen dressierten Affen ist. Es gibt wenige, die sich verweigern. Was bringt es auch als Ärger und Existenzprobleme. Mit Schaudern denke ich an die mir noch verbleibenden Jahre. Sie schmelzen dahin wie Schnee im Frühling, und ich sitze dabei auf meinen Träumen, meiner Sprache und einem Leben, das sich im Kreise dreht.
Die Tragik lässt sich nicht aus dem Leben verbannen. Sie ist eine Gesetzmäßigkeit. Wenn man jung ist, glaubt man, dass sie stets von außen kommt; aber mit dem Alter erhärtet sich die Erkenntnis, dass die Tragik in die Seele eingewoben ist. Manchmal ist es gar zum Lachen - als hätte man Dope geraucht. Alles ist urplötzlich komisch, sich selbst eingenommen. Würde man mich fragen, warum ich lache, ich könnte es nicht sagen. Vielleicht tut sich plötzlich ein Spalt auf, der mich das Skurrile der Welt erblicken lässt; oder ich entdecke, dass der Lebensernst lediglich ein Anstrich ist, der abblättert. Das Leben als Tragikkomödie. Der Sterbende hat gut Lachen - er hat es geschafft!

Heute trinke ich auf das Leben! Heute ist heute. Zwar nicht das beste, aber was weiß ich vom morgigen?
Der heutige Tag ist ein Spundloch - finster und öde. Der Wein schwer wie meine Gedanken. Ich brauche keine Schwerkraft - ich würde auch im Weltall senkrecht stehen. Richtung Urknall. Es gibt sowieso nur eine Richtung. Ist das nicht witzig?

Und was kann ich über die Liebe stöhnen. Wenn das alles hörbar wäre, was die Menschen über die Liebe stöhnen, es würde den "Verkehr "übertönen. Da bin ich mir fast sicher. Ein Gejaule wäre das wie von einer hungrigen Hundemeute, oder wie wenn der Wind durch ein Gewölbe fährt - gespenstisch ...
Ach, die Liebe - manche morden für sie, und andere spielen mit ihr.
Heben wir das Glas auf die Liebe! Sie schmeckt köstlich, hat aber leider
eine Menge Nebenwirkungen.
(Und es gibt keinen Beipackzettel.)

Man könnte meinen, dass es sich ohne Erwartungshaltung leichter leben ließe. Aber komisch, ich bin trotzdem enttäuscht. Es ist einfach unangenehm, wenn es schlecht läuft. Man krankt am Leben. Wie oft krankte ich schon am Leben? Es kennt nur eine Richtung, und im Kopf herrscht Kreisverkehr.
Ich muss kein Prophet sein, um mich älter werden zu sehen ... bis zum Tod. Eigentlich sollte mich diese Sicherheit beruhigen, doch tut sie es nicht. Wohl eher sehe ich darin einen Fluch.
Aber scheiß drauf! Auf das Leben! Auf heute!

Auf das Ableben, haha!
romeomikezulu - 15. Aug. 10, 12:48

Groß-artiger Text. Ich applaudiere, besser hätten es weder ich noch Oscar Wilde ausdrücken können (man beachte die Reihenfolge).

Nur an einem Punkt habe ich mich gerieben wie die Wildsau an der alten Eiche, es betrifft die Rolle der "Erwartungshaltung" im eigenen Leben:

So geht das nicht, lieber Abendglück. Wer "trotzdem enttäuscht" ist, stellt immer noch zu hohe Erwartungshaltungen (altdeutsch: Wünsche) an sich, das Leben in welchem er Protagonist (!) ist, an die Menschen um ihn herum.

Sie hatten doch schon ganz recht:
Es LEBT sich leichter ohne ebenjene Ketten, die das tatsächlich Erlebte immer nur zum Massstabserfüller der eigenen Erwartungen degradiert.

Erwartungshaltungen sind Seelendiebe.
Mit Ihnen richtig umzugehen (einsperren, wegschliessen) ist der zentrale Schlüssel zum eigenen Glück.

Amen. :-)

bonanzaMARGOT - 15. Aug. 10, 13:24

romeomikezulu, ich glaube, einen menschen ganz ohne erwartungshaltung gibt es nicht. kaum hat man ein paar (erwartungshaltungen) erledigt, wachsen neue nach, oder alte kommen wieder hoch.
vielleicht glaubt man manchmal, man hätte sie ganz gut reduziert und im griff, aber das funktioniert nur so lange, wie man realtiv glücklich ist. wer unglücklich oder krank ist, scheißt auf so was wie erwartungshaltungen. der will einfach wieder glücklicher sein oder gesund werden.
wer schmerzen hat, will wieder schmerzfrei sein.
nicht immer läßt sich unglück und schmerz mit den eigenen erwartungshaltungen in kausalen zusammenhang bringen. da müsste man ja schon tot sein.

es fällt mir leicht, gegenüber materiellen dingen meine erwartungshaltung herunter zu schrauben. mit meiner seelischen zufriedenheit verhält es sich schwieriger.
viel schwieriger.
Thiara - 16. Aug. 10, 11:44

Ich stimme Herrn Romeo zu: Wirklich großartiger Text! Du sprichst mir aus der Seele.

In mir formt sich gerade auch wieder ein ähnlicher Text, aber noch will er nicht so recht raus... :-)

Bis dahin verbleibe ich mit dem Gedanken, daß wir doch nicht so alleine sind, wie wir manchmal denken. Denn es gibt doch immer noch jemanden, der ähnlich denkt und fühlt wie wir.

bonanzaMARGOT - 16. Aug. 10, 13:10

danke, thiara, es wäre nicht zu ertragen, wenn alles um einen öd und leer wäre - bezogen auf unser lebensgefühl und unsere gedanken.
lange zeit halfen mir schriftsteller und dichter, mich nicht allein zu fühlen. viel schöner ist es allerdings, wenn sich real ein solcher gedankenkonsens ergibt.

ich wünsche dir viel erfolg bei dem text, der noch nicht so richtig will. ist er dann auf deinem blog zu lesen?
Thiara - 16. Aug. 10, 16:35

Ich denke sehr oft, daß ich mit meinen Gedanken und Ansichten alleine dastehe... Ich habe einfach eine sehr spezielle Sichtweise auf die Welt, ich sage was ich denke und stehe auch dazu. Damit kommen aber viele Leute nicht zurecht. Und wenn ich jemanden frage, wie es ihm geht, dann möchte ich es wirklich wissen und nehme diesen Satz nicht als Floskel. (Nur als Beispiel.) Und mitunter komme ich mir damit wie ein Alien vor. Hatte ich auch mal irgendwann auf meinem Blog geschrieben.
Bei mir sind es nicht unbedingt Schriftsteller und Dichter, sondern bei mir sind es Liedtexte und die damit verbundene Musik.

Aber ab und zu findet man doch noch einen Menschen, der ähnliche Ansichten hat. Und das ist immer wieder schön. Auch wenn es manchmal nur virtuell ist.

Den Text stelle ich dann sicher auf mein Blog, aber irgendwie hab ich das Gefühl, er läßt sich noch ziemlich Zeit... ;-)
bonanzaMARGOT - 16. Aug. 10, 17:19

Ich erinnere mich an dein "Aliengefühl".
Dieses Fremdheitsgefühl habe ich inzwischen verinnerlicht. Ich rebelliere nicht mehr so sehr wie früher dagegen. Es würde sonst in die Selbstzerstörung führen. Ich hänge doch am Leben ...
Mit den Jahren verlor ich viele Freunde. Heute weiß ich schmerzlich, wie es ist, einsam zu sein.

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