Glühwein trinken!
Ich begrüße den Dezember, den zwölften und letzten Monat dieses Jahres. Ein ausgehendes Jahr erweckt die Illusion, dass bald etwas neues beginnt, dass mit dem Kalenderjahr mehr wechselt als nur die Jahreszahl. Und davor die Weihnachtszeit, die auch zum Wünschen und einem versöhnlichen Jahresende einlädt - ja, ich verstehe gut den Wunsch nach Erneuerung, nach Hoffnung und Geborgenheit. Oft kommt mir das Leben wie ein Sumpf vor, in dem ich unwiederbringlich feststecke.
Jede Bewegung ist mühsam, Nebel verschleiert die Sicht; ich taste mich von Tag zu Tag, von Woche zu Woche, von Monat zu Monat.
Ich begrüße den Dezember, den zwölften und letzten Monat dieses Jahres - der Monat meiner Geburt.
Mein Gott, plötzlich war ich da und sah an einem Dezembertag zum ersten Mal das Angesicht der Welt. Ich sah, ohne zu wissen. Ich wusste nicht, in was ich hineingeboren war. Mein Herz schlug für das Leben, es schlug für Neugier und Liebe. Ich war da und brauchte einen Platz. Die Welt hatte gezaubert. Welch furioses Zauberkunststück - meine Existenz! Alles war neu und spannend. Ich besaß alle Hoffnung der Welt. Der Anfang kann nicht an das Ende denken. Ich lernte, einen Platz in der Gesellschaft einzunehmen. Ich lernte Kultur. Ich hatte Milliarden Brüder und Schwestern.
Ich begrüße den Dezember, den zwölften und letzten Monat dieses Jahres. Ich wurde, was man Erwachsen nennt. Meine Neugier brannte nach wie vor. Aber ich fand keine Orientierung. Die Saat des Zweifels und des ewig Hinterfragenden war bereits aufgegangen. Die Welt wurde mir immer fremder. Ich fragte mich, warum die meisten meiner Mitmenschen so wenig hinterfragen. Ich fragte mich, warum Menschen einander bekriegen und umbringen, und warum das Wunder des Lebens von dem Menschen so wenig geachtet wird. Auf der anderen Seite betet der Mensch, ringt um Gerechtigkeit und Menschlichkeit - aber nichts davon wird wahr ..., es bleibt Makulatur. Die Schatten des Lebens kamen auch über mich. Das Leben wurde zum Labyrinth, für ein Weiterkommen musste man kämpfen, lügen und betrügen.
Ich begrüße den Dezember, den zwölften und letzten Monat dieses Jahres - meine Seele blutet. Habe ich eine Seele? Was sind 47 Jahre? Wer bin ich? Ich sehe meine Vergangenheit, als wäre sie ein Traum. Die Wirklichkeit selbst wird zum Traum. Das Leben ist die perfekte Illusion. Wir sind Zuschauer, Darsteller und Magier zugleich. Alles dreht sich. Dieser Jahrmarkt ist anarchistisch. Gott ist darin auch nur eine Figur - in der Geisterbahn. Ich sitze mit einem Fischbrötchen vor dem Festzelt und betrachte die Szene. Wozu noch aufstehen? Für Weihnachten und Silvester bestimmt nicht. Da muss schon was wirklich neues kommen. Wie eine Geburt. Oder wie was Außerirdisches.
Ich begrüße den Dezember, den zwölften und letzten Monat dieses Jahres. Ich verstehe gut den Wunsch nach Erneuerung, nach Hoffnung, ... und Geborgenheit. Das ist das Kind in uns, und bedeutet gleichsam die Grausamkeit. Der Tod ist der finale Trick, der aber nur funktioniert, wenn wir nicht hinter die Kulissen blicken. Wahrscheinlich ist es nicht mal vorgesehen, sich darüber - wie ich - Gedanken zu machen. Und wenn doch? Wohin führen schon solche Gedanken? Doch nur in Schwermut, Verzweiflung und Selbstmord ...
Entschuldigt. Ich bin kein Selbstmörder. Ich bin ein Narr und Spiegelfechter.
Die Weihnachtsmärkte haben geöffnet. Die Tage sind kurz. Wir genießen die Gemütlichkeit der langen Abende, das Zusammenrücken und die kuscheligen Pullover. Ich erinnere mich gern an die wärmenden Umarmungen im Winter. Die Seelen glühen, sie wollen glühen ...
Ich begrüße den Dezember, den zwölften und letzten Monat dieses Jahres. Der Tag vergeht gleichmütig wie alle. Minuten sind Minuten, und ich liege in den Stunden, als triebe ich auf dem Toten Meer.
"Hi Baby!"
"Hi!"
"Glühwein trinken?"
"Klar."
"Ich liebe dich."
bonanzaMARGOT
- 01. Dez. 09, 14:26
- Die Arschwischmaschine hat frei
Ernüchterung
eine schöne Zusammenfassung eines Jahres und des Leben eines Menschen.
Ja...die Ernücherung ist ein schmerzvoller Prozeß und sie tritt immer dann ein, wenn man das Leben so sieht, wie es wirklich ist - umromantisch und herzlos. Das was als Lebensweg vorgezeichnet scheint, entpuppt sich als sumpfiger schmaler Pfad, den man noch mit vielen anderen teilen muß.
Engelhafte Wesen sind ohne Tarnung in Wirklichkeit kleine Monster, die sich durch Leben ohne Rücksicht auf Verluste beißen.
Die blühenden Gärten der Wirtschaft entpuppen sich als ein einziger großer Sumpf, in dem alles untergeht, dass bei drei nicht einen sicheren Pfad gefunden hat. Der Rest quält sich am Rand vorbei und hat dabei ein Bein immer im Morrast stecken und kaum hat er ein Bein aus dem Sumpf gezogen, ist das andere schon wieder im Morrast versunken.
Ich weiß nicht nicht, wie viele tote Seelen auf dem Weg des Lebens wandeln. Sie haben sich selbst verloren oder verkauft.
Wer am Ende seiner Tage auch seine neugierige Kinderseele noch im Leib hat, kann sich glücklich schätzen und hat es geschafft, trotz aller Widerstände und Fallen, die das Leben für jeden bereit hält, den Sumpf zu durchwaten und zu entrinnen.
Gruß LaWe
man zieht sich besser warm an.
Entwicklung
der Tier ist in sich volkommen - der Mensch ist es nicht. Er lernt dazu und das auf allen Gebieten und Bereichen. Das macht ihn unberechenbar und niemand weiß, wohin die Entwicklung uns noch führt.
Auch wenn der Mensch sich gegenüber seinen Vorfahren körperlich ausgerichtet hat, innerlich hat er es noch nicht in dem Maße.
Das Ego mit seinem Besitzdenken lenkt den Fluss seiner Entwicklung. Erst Katastrophen haben ihn klüger werden lassen
Gruß LaWe
du erinnerst dich an tschernobyl? ja, bestimmt. und wie viele menschen setzen heute schon wieder auf die kernkraft? die deutschen sind da ja im internationalen vergleich noch mit am skeptischsten.
nein, ich bin leider äußerst pessimistisch, was die lernfähigkeit der menschheit generationen übergreifend angeht. zu unterschiedlich sind die interessen, und zu egoistisch und eng sind die sichtweisen.
auch was das gegensteuern hinsichtlich des drohenden klimawandels angeht, sehe ich schwarz. es wäre in meinen augen ein wunder, wenn sich entscheidendes weltweit zum guten wandeln würde.
ich sage mir halt, dass es wohl unser schicksal ist, früher oder später wieder vom erdboden zu verschwinden. dumm ist halt, dass wir dies dann unserer eigenen blödheit zu verdanken haben.
so klug und gut der mensch sein kann, ist er doch letztendlich in vielen seiner handlungen unheimlich bescheuert und grausam.