Mein diesjähriges Weihnachtsgedicht
Ausgelöscht
Herr L. packte es vor Weihnachten
wir hatten ihm gewünscht, dass
er nicht lange leiden muss
wie man halt so redet unter Kollegen
ich erschrecke allerdings davor
wie schnell ein Mensch im Altenheim spurlos verschwindet
mit Sack und Pack
wenige Tage später liegt in dem Zimmer
ein neuer Bewohner
wir sagen dann noch eine Zeit lang:
"die neue Frau im L.-Zimmer"
ich spürte, dass es mit ihm zu Ende ging
er spürte es auch
schon eine Weile
er war sehr tapfer
ein stolzer Mann
aber er konnte nicht mehr
bis zuletzt versuchte er seine Runden mit dem Rollator
über die Station zu drehen
sich alleine auf den Toilettenstuhl zu hieven
und zurück ins Bett
wir sammelten ihn ein paar Mal vom Boden auf
er wurde immer hagerer
sein Blick am Schluss stechend und wirr
ich wusste so gut wie nichts von Herrn L.
wir kamen erst während der letzten Monate ein paar Mal
ins Gespräch
über die Härten des Lebens
er war mir sympathisch
einer der Wenigen, mit denen man nicht nur oberflächlich Worte
wechseln konnte
er sah es kommen
er wollte sich seine Würde bis zuletzt nicht nehmen lassen
ich kam Heiligabend in den Nachtdienst
ging am Computer die Namen der Bewohner
durch
und fand Herrn L. nicht mehr
er war ausgelöscht
das Zimmer ausgeräumt
zwei Abfallsäcke mit seinen Habseligkeiten standen noch
herum
(29.12.08, boma)
bonanzaMARGOT
- 29. Dez. 08, 17:19
- boMAs Gedichte und Texte