Mittwochs-Mattheit

Da mir mit dem Älterwerden zunehmend vieles dumm und abgedroschen erscheint, entsteht die Herausforderung, einer geistigen Ermattung entgegenzuwirken. Ich beschloss: einmal nicht gegen den Weihnachtswahnsinn anreden, wo doch alles hinreichend gesagt ist - so auch bei anderen Themen, bevor man in dieselbe Leier wie immer verfällt.
Liebe Leute, ich kann euch gar nicht sagen, wie öde ich die ständigen Wiederholungen finde. Nicht die im TV, sondern die im Leben, in der Welt. Wie schön wäre es, eine unbeschriebene Seite aufzuschlagen, die verheißungsvoll neues verspräche…

david ramirer - 20. Dez. 17, 07:20

gegen weihnachten anzureden, habe ich schon vor jahren aufgegeben... und ich lebe inzwischen sehr angenehm abseits von weihnachten und auch vom ebenso debilen neujahrsblödsinn. ich sehe beide phänomene gleichsam von der seite und werde höchstens peripher davon tangiert, was bestenfalls einem kitzeln gleichkommt, wenn ich entsprechende dekorationen, märkte, raketen, glücksbringer und ähnlichen unsinn aus der ferne erblicke.
diese distanz ist sehr angenehm.

bonanzaMARGOT - 20. Dez. 17, 07:59

Auch ich sondere mich seit vielen Jahren von diesen Geschehnissen ab. Damit ist es für mich etwas erträglicher, obwohl der Blödsinn, den meine Artgenossen durchführen, bleibt.
Es wäre schön, wenn es nur Weihnachten und Silvester beträfe...
Der menschliche Blödsinn nimmt wesentlich weitgreifendere Dimensionen an. Schon immer. Und bei mittlerweile fast 8 Milliarden Erdenbürgern wird der schwachsinnfreie Raum langsam knapp...
Aber ich wollte den ganzen schon tausendmal durchgekauten Mist ja nicht mehr thematisieren. Haha!
david ramirer - 20. Dez. 17, 09:18

seit ich mich aus all dem ausgeklinkt habe, ist auch das "darüber reden" viel entspannter.

das ist ein bisserl so, als ob man sich über einen müllberg unterhält, der viele kilometer weit entfernt geruchlos im dunst verschwimmt, und kaum zu sehen ist.
... oder aber über ein ereignis, das derart weit in der vergangenheit angeblich passiert ist, so dass nur vage schatten in der erinnerung manchmal aufflackern und die gegenwart nicht einmal ansatzweise verändern können.
... oder wie die erinnerung an die idee von der skizze eines entwurfs über ein konzept irgendeines einfalles von jemandem, an den man sich nicht mehr erinnert... ungefähr so.

*mitlach*
bonanzaMARGOT - 20. Dez. 17, 16:16

Aber dieses "Elend" ist nicht wirklich sooooo weit entfernt... zeitlich wie räumlich. Und man gehört sogar zur selben Spezies.
david ramirer - 20. Dez. 17, 16:50

die "gläsernen wände" schaffen die verlässlichste distanz, selbst innerhalb der selben spezies.
- und das betrifft nicht nur das sogenannte fest der liebe, sondern sehr viele phänomene, das ganze jahr über, jeden tag, jede stunde... aus einzelnen metern werden dadurch rasch astronomische einheiten.
ich finde das ja großartig!
bonanzaMARGOT - 21. Dez. 17, 05:51

zum selbstschutz bauen wir solche wände automatisch auf. wir können nicht alles zu nah an uns ran lassen. psychisch könnten wir die "realität" nicht verarbeiten.
du ziehst da aber eigene gläserne wände zwischen dir und einem teil der wirklichkeit hoch, und das halte ich (unter umständen) für bedenklich. viele beamen sich in der öffentlichkeit durch musikbeschallung per kopfhörer in eine andere welt (oder zuhause an der spielekonsole) - auch das halte ich für bedenklich*... wenn da nur noch glaswände zwischen uns sind, bloß weil dem einen dies und dem anderen das auf den keks geht, oder weil er sich in einer parallel-realität wohler fühlt.
da rege ich mich doch lieber über den mist auf, den ich unmittelbar sehe.
was mich nervt, sind dieser sich ständig wiederholende einheitsbrei, das alltägliche blablabla und disputieren über die immerselben probleme (z.b. integration, migration, terror, krieg, drogen... pflegenotstand, gesundheit, wetter, weihnachten, geschenke, etc.), die abgedroschenen weisheiten und sprüche zu dem und jenen thema...
und umso älter ich werde, desto mehr kotzt mich die alljährlich stattfindende menschlische komödie an.


* auch manche drogen haben den effekt (prost!)
david ramirer - 21. Dez. 17, 07:28

bedenklich ist das ganz sicher... und für das einnehmen von den diversen drogen gibt es auch immer psychologische gründe (und auswirkungen).

in einer parallel-realität leben wir alle auf unsere weise, auch wenn das viele verleugnen.
bonanzaMARGOT - 21. Dez. 17, 08:26

Klar, auch Religion und Ideologie können für eigene Lebensrealitäten sorgen. Und dann die Wissenschaften - sie sind ebenso nicht der Weisheit letzter Schluss.
Durch unsere sehr ähnliche "Bauweise" glauben wir freilich an die eine unsere Welt, welche wir alle faktisch relativ gleich wahrnehmen.
Das bewusste Subjekt besitzt sowieso das Potential der geistigen Abkapselung.... die Frage ist nur, wie viel davon uns gut tut.
rosenherz - 20. Dez. 17, 17:18

Was kann die Welt dafür, wenn du dich langweilst?

bonanzaMARGOT - 20. Dez. 17, 19:40

Nichts. Es sind nur gewisse Aspekte... gähn.
bonanzaMARGOT - 21. Dez. 17, 06:18

auf der anderen seite: was kann ich dafür, wenn die welt (zumindest die der menschlichen gesellschaft) so langweilig ist?
du meinst, dann soll ich mich doch von menschlicher gesellschaft fernhalten... ja, ich bin wirklich nicht der geselligste... und doch brauche ich ab und zu menschen - das wird wohl im genetischen bauplan so angelegt sein. ich spüre sogar sowas wie menschenliebe... also, um es kurz zu machen: meine beziehung zu meinen mitmenschen ist ambivalent.
rosenherz - 21. Dez. 17, 19:59

Ich meine, die Welt selbst ist weder langweilig, noch interessant. Sie ist. Nie zuvor in der Geschichte war der mitteleuropäische Mensch so mobil wie jetzt, nie zuvor hat der mitteleuropäische Mensch sich derart von den Jahreszeiten abkapseln können und wird trotzdem mit Lebensmitteln versorgt, ohne selbst anbauen und ernten und lagern zu müssen, nie zuvor war die Schulmedizin auf einem derartig hohen Stand der Möglichkeiten an "Reperatur", nie zuvor in der Geschichte gab es derart viele technische Möglichkeiten in allen Lebensbereichen, nie zuvor hatten wir europäische Menschen soviel "Freizeit", die wir fürs persönliche Vergnügen nutzen können. Trotzdem langweilst du dich in dieser Welt voller Möglichkeiten. Was fehlt dir?

Manchmal denke ich an meinen Großvater. Etwa wenn ich von deiner geistigen Ermattung lese. Er war sieben Jahre alt, als er an Kinderlähmung erkrankte. Er überlebte, doch sein rechtes Bein blieb gelähmt. Seine Eltern trugen ihn mit dem Buckelkorb jeden Tag ins Dorf, drei Kilometer, damit er die Schule besuchen konnte. Mittags trugen sie ihn wieder heim. Später lernte er, mit einem Stock zu gehen (besser gesagt, zu humpeln) und er lernte als junger Mann das Handwerk eines Maurers, damit er sich sein Überleben sichern konnte. Moderne Errungenschaften wie Traktor oder Auto blieben ihm verwehrt, da er diese Fahrzeuge nicht bedienen konnte mit seinem gelähmten Bein. Wie hat er sich wohl das Getreide anbauen können fürs Brot, wenn er nur am Stock humpeln konnte? Wie das Korn dreschen? Wie das Futter für die Tiere mähen, wenn er mit der Sense zwei freie Hände brauchte zum Führen?
bonanzaMARGOT - 22. Dez. 17, 08:05

bei dem begriff "welt" kann man sich leicht verheddern in diskussionen. was meint derjenige, wenn er von der welt spricht? da kommt es leicht zu mißverständnissen.
in diesem kontext meinte ich mit "welt" die welt, in die ich hineingeboren wurde, die welt, die von menschen gesteuert und geprägt wird: die welt der schule und des studiums, die welt der arbeit, die welt der familie, die städtische welt, die welt der familie, die welt des verkehrs, die welt der religionen, sitten und gebräuche, die welt der bürokratie und politik, die welt von krieg und gewalt...
nicht alles langweilt mich. aber es gibt doch viele aspekte (und themen) aus dieser welt, die mich anöden.
selbstverständlich liegt es auch an mir und meiner sichtweise auf die dinge. drum schrieb ich im beitrag, dass ich gern eine neue leere seite aufschlagen würde..., um mich nicht in die ständigen wiederholungen einzureihen.
es gibt heutezutage wirklich eine ungeheure vielzahl an dingen und gestaltungsmöglichkeiten. ich halte es aber für trügerisch, wenn man glaubt, dass man dieses potential einfach so für seine eigene entfaltung nutzen kann. möglicherweise ist das gegenteil der fall, dass eben diese vielfalt und komplexität der dinge (der welt) die entfaltung des geistes hemmt und überfordert. schön, wenn es menschen schaffen, sich in diesem sud der vielfalt zu assimilieren, ich hadere damit. so bin ich eben. bloß weil ich eine sache machen muss, werde ich sie nicht irgendwann akzeptieren oder gar mögen. mein geist ist ein (kleiner) renegade.
kompromisse ringt mir das leben genügend ab. ich kämpfe gegen windmühlen..., und das ermattet mich.
ich weiß nicht, was du mir mit der geschichte deines großvaters sagen willst. er hat sicher viel geleistet. das ist bewundernswert.
ich möchte und kann mit solchen besonderen menschen gar nicht konkurrieren.
rosenherz - 21. Dez. 17, 21:18

Im Roman "Fuchserde" lässt der Autor Thomas Sauter dem Großvater zu seinem kleinen Enkel, den er kleiner Fuchs nennt, sagen: "Denn merke dir, mein kleiner Fuchs. Alles, was du im Leben tust, hat Konsequenzen. Für dich und für deine Umwelt. Mag es dir noch so klein und nichtig erscheinen ' mit allem, was du tust, bist du Quell für Neues."

Demnach kann das Neue, das du suchts, nur aus dir selbst kommen.

bonanzaMARGOT - 22. Dez. 17, 08:18

auch so eine nette weisheit, die aber in der wirklichkeit kaum relevanz zeitigt.
ich sehe mich eher mit meinen gedanken, meinungen, gefühlen und meiner kreativität in der masse der menschen untergehen.
von den meisten menschen bleibt nach ihrem tod buchstäblich nichts übrig (von der fortpflanzung abgesehen).

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