Kiez-Studie
Bei schönem Wetter setze ich mich vor die Kiezkneipe unter den Sonnenschirm. Ich mache eine halbe Stunde Mittagspause. Sie reicht genau für zwei Bierchen. Die Kneipe liegt in einer Seitenstraße etwas abseits von der starkbefahrenen Verkehrsader Potsdamerstraße. Im sogenannten Potse Kiez lag früher Kneipe an Kneipe, erzählen die Stammgäste, die fast allesamt älteren Semesters sind. Wenn man aus der einen Kneipe kam, konnte man direkt in die nächste hineinfallen. Aber die Zeiten änderten sich. Man sieht hier kaum noch Deutsche, und mit den Deutschen verschwand auch die Kneipenkultur.
Ich sitze im Halbschatten und blicke auf das Treiben der verkehrsberuhigten Straße, die von Wohnblöcken und Bäumen umsäumt ist. Gegenüber einer der vielen Kioske, wie man sie in Berlin fast an jeder Straßenecke sieht. Die Inhaber sind meist ausländischer Herkunft. Es ist hier eine Multikulti Gegend. Fremdländische Figuren beherrschen das Straßenbild. Früher waren fast alle türkischstämmig, aber heute ist`s nicht mehr so einfach, die Nationalitäten zu identifizieren.
Vor dem Kiosk tummeln sich regelmäßig junge arabisch aussehende Männer. Auf einer Bank im Schatten sitzen junge Frauen mit Kopftuch und plaudern miteinander. Von einem Balkon ruft ein Typ im Unterhemd seinem untenstehenden Kumpel in fremder Sprache etwas zu. Die Kinder der Frauen spielen an dem kleinen Brunnen, der gleich neben der Kneipe aus dem Pflaster ragt. Aus dem Hauseingang links von meinem Aussichtsplatz kommen fast immer zur gleichen Uhrzeit ein Zuhälter mit einer Nutte. Er ist einen Kopf kleiner als sie, von bulliger untersetzter Figur und trägt Jogginghosen, sie mit High Heels und neonfarbenen Leggins. Möglicherweise Osteuropäer oder Russen. Sie schlappen an mir vorbei zu ihrer parkenden Karosse, einem dicken weißen Audi. Sie rauchen und verziehen keine Miene. Aus demselben Hauseingang kommen auch Mitarbeiter eines deutsch-türkischen ambulanten Pflegedienstes. Nebenan ist eine Tagespflegestätte. Eine alte Frau mit Rollator kreuzt stoisch und gebeugt die Kulisse. Die arabisch aussehenden jungen Männer vor dem Kiosk könnte ich mir gut als Gotteskrieger vorstellen. Wahrscheinlich ihrer Bärte wegen. Wer weiß, woher sie genau kommen, und was sie hier machen. Inzwischen nuckele ich an meiner zweiten Flasche Bier. Was denken sie wohl von mir? Ich sitze in einer Art Blase. Ich will gar nicht, dass irgendwer irgendwas von mir denkt. Der Blick auf die Uhr zeigt mir an, dass ich gleich zurückmuss… in die Krebsdokumentation, wo ich auf Papier und Bildschirm in ganz andere Welten eintauche. Ich würde lieber hier sitzen bleiben.
bonanzaMARGOT
- 29. Jul. 17, 11:12
- Berlin
Das glaub ich dir gern, dass du lieber sitzen bleiben würdest in der angenehmen Athmosphäre des Biergartens, als zurück zur Arbeit zu gehen. Andererseits, das Geld das du mit der Arbeit verdienst und für deinen Lebensunterhalt nutzen kannst, wirst du mögen. Oder doch nicht? Naja, wer weiß, vielleicht hast du ja Lust, gänzlich ohne Geld zu leben bzw von Spenden und Geschenken. Dann erübrigt sich das Arbeit gehen zwecks Geldverdienen.
der biergarten ist eigentlich nur eine sitzecke vor der kiezkneipe. ja, man hat einen schönen blick auf das treiben der leute dort.
ohne geld leben? das ist eine kunst, die noch anstrengender als arbeiten ist.
primär wäre da das problem der versicherungspflicht, der miete, die monatlich fällig wird und des girokontos, das bedient werden muss.
spenden und geschenke? wieso sollte mir irgendwer was spenden? manche künstler haben mäzene, die sie unterstützen. dazu braucht man aber erstmal ein renommee. alles nicht so einfach.
oder leben wie dieser zuhälter? nein danke, nicht mein milieu.