Mit blauem Auge davongekommen


Der erste Schock hat sich gelegt. Man muss davon ausgehen, was alles nicht passiert ist, sagt O.. Ich bewunderte schon immer ihre Widerstandskraft, ihren Optimismus. Ich glaube, sie betrachtet solch ein Erlebnis mehr als Herausforderung und weniger als Niederschlag. In der Tat können wir froh sein, dass O. an Leib und Leben unversehrt blieb. Und ihre Psyche erholt sich, wie`s aussieht, auch recht schnell.

Als sie mir schilderte, wie sie stundenlang mehr oder weniger orientierungslos umherirrte, dachte ich unwillkürlich an meine Black Outs im tiefsten Alkoholsumpf. Auch da überwog hinterher erstmal das Gefühl, alles heil überstanden zu haben.
Man denkt immer wieder zurück und versucht die Abläufe der Nacht zu rekapitulieren, ist erstaunt über die Wege, die man zurücklegte, entdeckt blaue Flecken am Körper, die man sich nicht erklären kann, sucht verzweifelt nach der Jacke, dem Geldbeutel oder den Schlüsseln… und fragt sich, wo man die eventuell liegen ließ, klappert die Kneipen am nächsten Tag danach ab. Oder ich suchte mein Fahrrad – wo stellte ich das verdammt noch mal ab? Wie kam ich nach Hause?
Nochmal mit einem blauen Auge davongekommen – konnte ich in meinem Leben des Öfteren sagen. Wobei ich den meisten Mist selbstverschuldet hatte. O. dagegen geriet völlig unverschuldet in diese prekäre Lage. Sie war zum falschen Zeitpunkt am falschen Ort, eine willkommene Beute für die auf der Lauer liegenden Hyänen in Menschengestalt. Berlin hat`s in sich. Die Lehre daraus: man hält sich an manchen Orten zu nächtlichen Uhrzeiten besser nicht länger als notwendig auf.

O. ist auf der Botschaft, um schon mal wegen des gestohlenen Passes die Dinge in die Wege zu leiten. Ich halte zuhause die Stellung. Richtig wohl wird mir erst sein, wenn das Türschloss ausgetauscht ist.
Besonders ängstliche Menschen sind O. und ich nicht gerade, was uns vielleicht dann und wann leichtsinnig werden lässt. Das Leben ist ein Roulette. Verlust und Gewinn korrelieren miteinander. Wer nicht wagt, der nicht gewinnt. Und: Angst frißt Leben auf. Die Gefahren lauern überall.

Moonbrother - 05. Jun. 17, 10:45

Zur Nacht hat sich sich auch schon Yusuf Islam in einem Lied so seine Gedanken gemacht.

bonanzaMARGOT - 05. Jun. 17, 10:48

der gute alte cat stevens. ich höre seine songs gern. welchen meinst du?
rosenherz - 05. Jun. 17, 15:53

Deine Freundin ist überfallen worden, in meinen Leben habe ich heute Morgen in einer anderen Situation möglicherweise Schlimmeres verhindert.
Gestern hatte es hier geregnet, doch nur 2 Liter, was definitiv zu wenig ist, um die frisch gepflanzten Blumen am Grab der Schwiegermutter mit dem nötigen Wasser zu versorgen (bei diesen Sonnentagen). Ich wollt heute früh unbedingt um 6 Uhr ins Dorf zum Blumengießen, trotz des gestrigen Miniregens, mir ließe das einfach keine Ruhe. Seltsam, sowas hatte ich noch nie getan, dass ich morgens extra Gießen fahren will. Handy ließ ich daheim, wozu auch, das winzige Stück Fahrt?

Kurz bevor ich ins Dorf kam, spazierte ein ein junger Mann auf der Straße heimwärts. Ich erinnerte mich, Herr Rosenherz hatte mir nachts erzählt, er habe diesen jungen Mann auf dem Pfingsfest getroffen und mit ihm geplaudert. Mist, Trennung von der Freundin. Nicht gerade guter Dinge gewesen, emotional.
Da wankte er nun heimwärts in den frühen Morgenstunden, vermutlich ziemlich angeheitert, doch wie immer freundlich grüßend.
Ich machte meine Gießarbeit am Grab und fuhr wieder Richtung Zuhause, wollte wie gewohnt in die Seitenstraße abbiegen, da sah ich hundert Meter weiter vorne etwas auf der Straße liegen. Ein abgerissener Ast? Könnte sein, gestern Regen und Wind. Etwas irritierte mich daran. Es ließ mir keine Ruhe, ich änderte meine Fahrt, um mich zu vergewissern, was da vorne auf der Fahrbahn liege.

... der junge Mann, reglos, im Rausch eingeschlafen, nach einer unübersichtlichen Kurve, auf einem Streckenabschnitt der Straße, die als Raserstrecke bekannt ist. - Möglicherweise hat mein seltsamer Drang, heute früh unbedingt am Grab gießen zu wollen, hier Schlimmeres verhindert. Nicht auszudenken, wäre der junge Mann überfahren worden!

- Irgendwie ist er auch mit einem blauen Auge davon gekommen.

Dir und deiner Freundin alles Gute beim "Wiederaufbau" nach dem Überfall.

bonanzaMARGOT - 06. Jun. 17, 06:21

vielen dank rosenherz

da warst du an diesem morgen der schutzengel dieses jungen mannes. sehr schön - ein glücklicher zufall.

der alltag geht weiter. eine menge dinge müssen erledigt werden. der "wiederaufbau" ist in vollem gange.
steppenhund - 05. Jun. 17, 23:03

Meine Lieben!

Ich habe den ursprünglichen Beitrag nicht kommentiert. Es gibt nichts, was ich darüber schreiben könnte. Da steigt nur unendlicher Hass in mir auf. (Bin momentan sehr auf "extrem" aus, nachdem ein guter Bekannter von mir auf der polnischen Polizei einen Herzinfarkt erlitten hat, daran gestorben ist, weil die Polizisten dachten, dass er nur simuliert. Und dieser Mensch war ein Beamter, kultiviert und kaum als Revoluzzer vorstellbar.)
Generell war mein Gedanke, wie wird O. damit fertig. Als ich jetzt las, dass sie das Ganze irgendwie wegstecken kann, denke ich, dass muss ihre slawische Seele ermöglichen. Ich habe mich immer gefragt, wie Serben eine amerikanische Botschafterin beklatschen können, wenn amerikanische Flieger Serbien mit uraniumbewährten Bomben das Land niedergeknüppelt haben.
Aber Slawen haben diesbezüglich wohl ein wesentlich größeres Frustrationspotential- Und ich hoffe, dass O. nicht nur verdrängt und wegsteckt, sondern auch wirklich die Angelegenheit ad acta legen kann.
Meine Gedanken sind jedenfalls bei euch. Richtig gelassen könnte ich selber auf einen solchen Vorfall nicht reagieren.

bonanzaMARGOT - 06. Jun. 17, 06:27

danke steppenhund

für deinen kommentar. manches macht einen einfach sprachlos, und nur ohnmächtige wut bleibt.
jeder tag abstand zu dem erlebnis ist ein stück besserung, und auch das gemüt kühlt sich langsam ab.

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