Aller Anfang ist schwer (2)


Ein bisschen wie selbstauferlegter Frondienst. Schon immer empfand ich die Erwerbsarbeit als notwenige Mühsal. Menschen, die sich nicht auf den Feierabend freuen oder gar die Arbeit zu ihrem einzigen Lebensinhalt machen, sind mir suspekt. Oftmals ist das Verhältnis zur Beschäftigung auch ambivalent. Man sagt, dass man seine Arbeit liebt, aber sie einem durch Umstände wie Personalmangel, intrigante Kollegen, herrische Chefs, Überforderung und schlechte Bezahlung vermiest wird. Ich kann von mir sagen, dass ich noch nie einen bezahlten Job hatte, den ich liebte. Zwischenzeitlich war die Arbeitssituation wenigstens angenehm, so dass ich (fast) gern zur Arbeit ging. Aber ich erlebte auch Zeiten, in denen ich mich mit Magengrummeln auf den Weg machte, und mir sagte „was soll schon passieren? – einfach durchhalten“. In der Altenpflege halfen mir zuletzt die Routine und meine jahrelange Erfahrung. Man gewöhnt sich einfach dran und zieht seinen Stiefel durch. Als Resultat fühlt man sich als vollwertiges Mitglied der Gesellschaft – man hat was vorzuweisen, gehört zur arbeitenden Bevölkerung. Damit ergibt sich eine persönliche Aufwertung. Der süße Feierabend winkt – man kann auf ein Tagewerk zurückblicken, welches allgemein geachtet wird und bewegt sich unter seinen Mitmenschen selbstbewusster. Außerdem hat man die Agentur für Arbeit vom Hals…
Die ersten drei Tage im neuen Job als Tumordokumentar. Zehn Kolleginnen, ein IT-Fachmann. Alle zeigen sich bisher ganz nett und hilfsbereit. Es lässt sich nach so kurzer Zeit noch nicht viel über die einzelnen Charaktere und Kompetenzen sagen. Die Umstellung ist groß. Einen Achtstundentag hatte ich schon ewig nicht mehr. (Eine Teilzeitstelle (75%) wäre mir lieber gewesen). Nun muss ich erstmal in meine Arbeit hineinfinden. Vier Wochen Einarbeitungszeit sind vorgesehen. „Wer nicht fragt, macht sich verdächtig“, sagte die Registerstellenleiterin. Ich glaube, ich fragte die letzten Tage eine ganze Menge nach. Die Oberdokumentarin wirkte zwischendurch leicht genervt. Sie hat viel an der Backe. Alles ist erst im Aufbau, und es bestehen viele Unklarheiten. So richtig blicke ich an meinem Arbeitsplatz noch nicht durch – fühle mich in der „Krabbelphase“. Ich fiebere jedem Schritt entgegen, den ich (hoffentlich) bald selbstständig gehen kann.
Mein aktuelles Erfolgserlebnis beschränkt sich darauf, den Anfang gemeistert zu haben…, und das ist schon mal ganz gut.

rosenherz - 04. Mär. 17, 22:13

Oh, du hast heute Zeit gefunden, um um etwas davon zu erzählen, wie es dir mit dem neuen Job ergeht. Als Tomurdokumentar.
Mir liegen zwei Fragen auf der Zunge, nach dem Lesen deines heutigen Postings: Ich lese von einer Oberdokumentarin. Welche hirarchischen Ordnungen gibt es da in der Tumordokumentation?
Du arbeitest jetzt Vollzeit, was zugleich bedeutet, dass weniger freie Zeit pro Tag bleibt für dich. Andererseits: Was ermöglicht dir eine Vollarbeitsstelle, was dir als Arbeitsloser nicht möglich war?

bonanzaMARGOT - 05. Mär. 17, 08:03

so weit ich die hierarchie dort überblicke: es gibt die einfachen dokumentarinnen (+ich), die oberdokumentarin (wie z.b. ein obermonteur) und die registerstellenleiterin (eine ärztin).
deine zweite frage verstehe ich nicht: "Was ermöglicht dir eine Vollarbeitsstelle, was dir als Arbeitsloser nicht möglich war?" wie meinst du das?
steppenhund - 05. Mär. 17, 01:14

suspekt, suspekt, suspekt ... :)

Es schreibt ein Suspekter ...

1. Ich gratuliere, dass Du einen Job hast, der ja etwas mehr zu sein scheint als bloßer Hilfsarbeiterdienst.
2. "Ich kann von mir sagen, dass ich noch nie einen bezahlten Job hatte, den ich liebte." Ich kann das ein bisschen nachempfinden, was deinen letzten Job angeht. Was er bedeutet, kann ich ein bisschen ermessen, da ja meine Frau die letzten Jahre im Alterspflegeheim mit Krankenstation gearbeitet hat. Ich könnte das nicht machen, womit sie tagtäglich konfrontiert war.
3. "Zwischenzeitlich war die Arbeitssituation wenigstens angenehm, so dass ich (fast) gern zur Arbeit ging." Das ist ja schon etwas, oder?
-
Nachempfinden kann ich Punkt 3, obwohl - und das muss ich schon sagen - bei mir war der einzige Grund, nicht arbeiten zu wollen, meine angeborene Faulheit. Die brachte mich dazu, immer erst im letzten Moment mit einer Arbeit anzufangen.
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Doch gestern sagten mir zwei Teilnehmer des Workshops, dass ich vorgestern und gestern hielt, dass es sichtbar wäre, dass ich Spass an meiner Arbeit hätte. Und das stimmte auch.
Ich kann sagen, dass mir 95% meiner bezahlten Arbeit Spass gemacht hat. Was ich nicht mochte, war Reiseabrechnungen schreiben und Reports archivieren. Obwohl mich mein Chef selbst dazu motivieren konnte.
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Ich glaube, dass mir geholfen hat, dass ich mir in meiner Studentenzeit die "Hirt-Methode" geleistet habe. Hat mich ein Heidengeld gekostet. Nach Berücksichtigung der Inflation hätte ich heute vielleicht 10.000 €uro zahlen müssen. Jede Monatsrate, damals etwas weniger als 200 DM war für mich fürchterlich. Ich musste ziemlich viele Nachhilfestunden geben, um das zu finanzieren. Aber ich machte es, weil ich die Erfolge bei einem Studentenkollegen sah, der eigentlich nicht besonders intelligent schien. Bei ihm kamen natürlich die Eltern dafür auf.
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Durch die Hirt-Methode habe ich gelernt, wie man sich mit einer ungeliebten Arbeit identifizieren kann. Eine der wesentlichen Motivationsmöglichkeiten war der Wunsch, das was man zu tun hatte, möglichst gut zu tun. So kann man bei jeder Arbeit einmal das Ziel auf optimale Durchführung legen. Wenn einem das so gelingt, dass man überzeugt ist, das Beste herausgeholt zu haben, stellt sich eine Befriedigung ein, die einen vergessen lässt, dass man "die Scheiss-Hacken" eigentlich gar nicht machen will.
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Ich bin ein schlamperter Hund. Aber die Identifikationsmöglichkeit ist mir geblieben. Und die hat dazu geführt, dass ich Dinge erledigt habe, die manchmal als undurchführbar galten. So wollte mich einmal ein Chef abschießen, weil ich gleich alt wie er war und er befürchtete, dass ich nach seinem Job trachtete. Das war absolut nicht der Fall.
Er gab mir den Auftrag, etwas zu machen, wofür es zwei Expertisen gab. Sowohl die Firma als auch IBM hatten bereits schriftlich deponiert, dass die Aufgabe nicht lösbar war. War sie auch nicht. Doch ich war dann doch erfolgreich. Habe halt etwas erfunden, dass die Aufgabe auf lösbar brachte. In der Firma habe ich dann einen enormen Aufstieg erlebt. Aber deswegen hatte ich es nicht gemacht. Mich hat einfach die Herausforderung ausreichend gereizt.
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Das, was Du jetzt tun musst, hat bietet viele Möglichkeiten für so eine Motivation. Rationalisierung deiner eigenen Arbeit, Perfektionierung der Methoden und nicht zuletzt das Bewusstsein, dass Du im Bereich "ethical goods" arbeitest. In meinen Augen stehst Du mit deiner Arbeit besser da als z.B. ein Kreditsachbearbeiter oder so etwas Ähnliches.
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Also alles Gute. Es wäre doch schön, wenn Du die in deinem Posting geäußerten Aussagen selbst ad absurdum führen könntest. Und Bier gibt es ja trotzdem noch ...

bonanzaMARGOT - 05. Mär. 17, 08:07

danke für deine lange antwort, steppenhund.
unbewusst wende ich die "hirt-methode", glaube ich, schon an.
ich werde in den nächsten wochen sehen, wie ich mit der arbeit zurecht komme...

ja, ein feierabendbier ist ausserdem was besonderes!

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