Lethargie oder sonstwas
Feierabend – prima! Es ist Mittag, und ich radle zum nahen Italiener für ein kühles Blondes. Schöner schattiger Biergarten, alte Kastanienbäume, italienisches Kauderwelsch der Bedienungen. Der Chef drückt mir zur Begrüßung die Hand. „Buon giorno! Das Berliner ist bereits in Arbeit.“
Ich setze mich und strecke die Beine aus. Der Chef rennt zwischen den Tischen umher. „Das ist mein Sport!“ sagt er lachend. Das schöne Wetter, und außerdem Freitag – die Menschen bevölkern die Biergärten…
Seit Tagen drücken und brennen meine Augen, und ich fühle mich schwer wie ein Sack. Anscheinend sehe ich aber nicht so schlimm aus, wie ich mich fühle, - wenn ich meiner Partnerin glauben soll.
Wir wollen den Nachmittag am Wandlitz See verbringen, und ich habe noch Zeit für ein Bier, bis wir uns treffen. Richtig entspannen kann ich nicht. Na ja, mal sehen. Ich bestelle ein zweites Bier…
Mit der Heidekrautbahn fahren wir eine halbe Stunde bis Wandlitz See. Als wir in Karow einsteigen, bereue ich es, dass ich den Vorschlag dazu gemacht hatte. Die Regionalbahn ist brechend voll. Verdammte hundert Fahrrad-Ausflügler drängen sich in den Zug. Alle sind genervt. Ich stehe, zwischen den Drahteseln eingequetscht, und versuche mich so dünn wie möglich zu machen…
Erstmal ins Fontana Restaurant. Auch ein Italiener (türkischer Inhaber). Das Restaurant hat eine schöne Seeterrasse. Außenherum das Wandlitz Seebad. Da wollen wir eigentlich hin, aber vom Bad kommt man nicht ins Restaurant. Berliner Pils gibt`s nicht. Die männliche Bedienung grinst und betatscht meine Schulter. Ich bestelle zwei Köstritzer…
Das ist er also, Berlins Speckgürtel, oder verständlicher gesagt: das Umland.
Das Schwimmen im See erfrischt und vertreibt für ein paar Momente meine miese Laune. Bewundernswert, wie mich meine Partnerin aushält. Ich schäme mich dafür. Die Luft wird zum Abend zunehmend schwül. Ich blicke auf den See und die Badegäste, doch nichts von alldem berührt mich besonders…
Zum Abschluss gehen wir im Restaurant essen. Zander und Seezunge. Gar nicht übel. Müde werde ich, - wenn ich es nicht schon den ganzen Tag über war. Die Augen brennen immer noch.
Die Heidekrautbahn zurück nach Karow ist dann entgegen meiner Befürchtung nicht voll. Gott sei Dank! In der Nachrichten App meines Handys lese ich, dass in München die Hölle los ist…
Zuhause, inzwischen dämmert es, lege ich mich vors TV und ziehe mir die Sondersendungen zum Chaos in München rein. Dazu ein Bier und ein paar Salzstängel…
bonanzaMARGOT
- 23. Jul. 16, 14:29
- Berlin
Heute überwiegt eher die Gefühlslage, die du schilderst. Die Zukunft wird immer knapper. Womit diese Zeit noch ausfüllen? Irgendwie seltsam das Ganze...
am besten schraubt man seine ansprüche herunter. ich bin schon zufrieden, wenn ich gemütlich ein bier trinken und den guten tag lang vor mich hinträumen kann (nicht im büro). es ist schon (sehr) gut, wenn man von krankheit und unglück weitgehend verschont bleibt.
die lebenszeit läuft langsam aber unweigerlich ab. mein größter traum wäre, finanziell total unabhängig vor mich hinleben zu können und durch die welt zu reisen. aber, wie`s aussieht, ist das utopisch.
freiheit ist das hauptthema meines lebens...
"zeit mit liebe ausfüllen"
ich denke ..
die liebe sollte angenommen werden - dabei geht es auf keinen fall um hochgeschraubte ansprüche. es ergibt sich "einfach" so.
freiheit zählt zu grundlegenden bedürfnissen jedes selbstständig denkenden menschen. genauso wie liebe ist sie sehr komplex - freiheit von was oder von wem etc. absolut frei kann man doch gar nicht sein. oder doch - wenn man erleuchtet ist und gar nichts mehr braucht. nicht mal freiheit. tz
das hamsterrad ist in unserer gesellschaft sehr ausgeprägt. viel freiheit bleibt da nicht. es ist nicht nur der job, es ist auch die bürokratie mit ihren pflichtversicherungen, finanzamt, ausweispflicht, girokonto etc.
wenn man aus dem allen aussteigt, hat man mehr probleme am hals, als einem lieb ist. besäße man freilich ein sieben-achtstelliges vermögen würden diese einengungen nicht mehr so sehr ins gewicht fallen.
schöne plätzchen zum wohnen gibt`s viele auf der welt. ich würde mich da nicht festlegen.
die freiheit liegt auf der straße - das bleibt für mich eine abenteuerliche und traumhafte vorstellung, und darum mag ich jack londons romane oder auch "on the road".
einen hauch dieser freiheit erlebte ich auf meinen fahrradreisen, die ich deshalb vermisse...
auch liebe ist in meinen augen ohne freiheit nicht denkbar.