Donnerstag, 26. Oktober 2017

Der Handwerker


Das Leben hält sich an keinen Fahrplan, zumindest was unsere Gefühle angeht. Ich sitze so rum und mache mir Gedanken. Zwischendurch schaue ich aus dem Fenster auf die Straße. Ich finde es bemerkenswert, wie das Leben jeden Tag abläuft: mit Menschen und ihren Hunden, die auf dem Gehsteig vorbeilaufen, Menschen auf Fahrrädern und Fußgänger, Mütter mit ihren Kindern, Autos, die fortwährend übers Kopfsteinpflaster rauschen, Menschen aus dem Wohnblock gegenüber, die wie ich aus dem Fenster schauen…
Ich beobachte einen Handwerker, der seinen Wagen vorm Haus parkt. Er packt seine Siebensachen zusammen. Ziemlich lange braucht er dazu. Immer wieder fällt ihm noch was ein, und er geht zurück zum Wagen. Zuletzt kehrt er um, weil er die Wasserwaage vergaß. Nach einer viertel Stunde verschwindet er schließlich aus meinem Blickfeld zu einem der Hauseingänge. Wenn er dort in derselben Manier und im selben Tempo seine Arbeit fortsetzt… Aber gut, ich bin nicht sein Kunde. Es war nur lustig, ihm bei dem seltsamen Procedere zuzugucken. Womöglich ist er ein echter Profi, - wollte einfach Zeit schinden. Was weiß ich. Ich denke an meinen Vater, der ein sehr guter Handwerker war. Er ging die Dinge auch immer langsam an. Was gut werden soll, braucht Weile.
Ich denke an meine Büro-Kolleginnen, die eine Menge Zeit mit Begrüßungen, Schwätzchen halten und Kaffee kochen verbraten, bis sie ihre Computer hochfahren…
Manchmal überkommt mich das Gefühl, dass meine Kolleginnen in einer anderen Welt leben als ich. Nicht nur meine Kolleginnen, überhaupt alle Menschen. Sogar meine Partnerin. Gut – möglicherweise denken die anderen dasselbe von mir. Dabei bemühe ich mich ehrlich, mich anzupassen. Wenn ich morgens auf der Arbeit erscheine, gehe ich zuerst alle Büros ab und begrüße meine Kollegen und Kolleginnen. Ich rede mit ihnen übers Wetter und anderen Unsinn, soweit mir etwas einfällt. Nach acht Monaten gewöhnte ich mich an meine Arbeitsstätte, aber die Menschen dort erscheinen mir immer noch fremdartig.

Eine Woche Urlaub seit heute. Das ist fast nichts. Ich sitze an meinem Schreibtisch und schreibe an diesem Beitrag. Ich bemühe mich um einen Kontakt zu mir selbst, zu meinen aufrichtigen Gefühlen. Wenn ich mich nach rechts drehe, ist da der Blick aus dem Fenster zur Straße. Unverändert, - mit anderen Statisten. Alles geht seinen Gang. Unaufhörlich. Mein Herz schlägt, das Blut zirkuliert durch meinen Körper. Der Stoffwechsel passiert. Die Nerven sind angespannt. Im Kopf flunkern mir Milliarden von Neuronen ein Selbst vor. Ich denke, ich werde den Tag langsam angehen lassen…

Mittwoch, 25. Oktober 2017

Mittwochs-Bild



Mittagspause, wo ich so rumhänge

Sonntag, 22. Oktober 2017

Es kam der Tag

...ich saß auf der Toilette vornübergebeugt und schaute auf meine Füße. Ich zählte meine Fußzehen und kam auf Sechs. Wieso sechs, fragte ich mich, und warum war mir das vorher nie aufgefallen?

Fuckwort zum Sonntag


Politik soll für die Menschen da sein. Nicht zum Selbstzweck werden. Zum Schaden von Idealen wie Humanität und Demokratie passiert aber genau das: Wir haben eine Riege von Berufspolitikern, denen es nicht primär um das Wohl des Volkes geht, sondern um ihre Karriere.
Jeder weiß das. Es ist darum keine neue Erkenntnis. Trotzdem schauen wir noch ehrfürchtig zu den Staatsdienern auf, die unser Land führen. Die Geschichte fickte uns. Wir haben eine Demokratie, aber unbewusst wünschen wir uns immer noch den Monarchen oder Diktator, der alles für uns regelt. Der Kampf um Gerechtigkeit und Humanität ist noch lange nicht gewonnen.
Die Welt wurde selten von Idealisten bestimmt (lediglich initialisiert). Die Politik wird von Vertretern gemacht, die ein Produkt verkaufen wollen. Sie lügen wie einst die Kirche. Sie sagen einem: Am besten fährst du mit unseren Lügen, und nicht mit denen der anderen. Die Wahrheit wird als gefährlich deklariert (siehe z.B. die sozialistische Mischpoke der ehemaligen DDR... oder die Verbrecherbanden des Kapitalismus). Wer weiß schon, was wahr ist? Willst du dich etwa für die Wahrheit ans Kreuz nageln lassen? Wozu?
Für deinen Gott? Wer ist das?!?
Politik und Glauben kann man nicht trennen. Die Technokraten werden stets nur Handlanger sein. Letztlich geht es um das, was die Herzen der Menschen bewegt. Es gewinnen die Machthaber, welche am besten die Sprache des Herzens sprechen. Dumm nur, dass sie dabei oft verlogen sind…
Oder es sind Arschlöcher, die den Schwachsinn, den sie proklamieren, selbst glauben.
Ich sehe Raubtierkäfige vor mir. Die unterschiedlichsten gefährlichen Kreaturen sind darin gefangen. Wir leben heute in einer Welt, in welcher die Käfigtüren offenstehen…

Che lebt



in Kreuzberg

Samstag, 21. Oktober 2017

TV-Tipp

"Der Postmann", 0 Uhr 35, Servus TV

Zur Inspektion


Die Woche fiel mir schwer. Trotz der schönen Herbsttage. Vor dem Computer brannten mir die Augen vor Müdigkeit und Überanstrengung. Meine Kollegin ging in ihren wohlverdienten Urlaub. Ich muss nun die PDFs, an denen sie saß, weiter abarbeiten. 233 Histologien bleiben noch, und es warten bereits die nächsten CDs voller pathologischer Diagnosemeldungen. Anders als bei Papiermeldungen starre ich nun nur noch auf die Bildschirme.

Privat ist inzwischen die Atmosphäre distanziert und kühl. Unter der Woche sehen wir uns lediglich beim Kommen und Gehen. Es gab doch Tage, an denen es anders war. Ich kriege nicht zusammen, was mit uns los ist. Vielleicht längst der Anfang vom Ende. In mir nagen Unmut und Eifersucht. In einem Anflug von Sehnsucht fragte ich sie, ob sie Lust auf einen Wochenendtrip habe. Ich erinnere mich an die schönen Ausflüge, die wir zusammen unternahmen: nach Stettin, Hamburg, Rostock, Magdeburg, Lübeck…

Es ist Samstagmorgen. Sie liegt noch im Bett, - kam erst spät von der Arbeit zurück. Die morgendliche Ruhe wirkt auf mich wie eine zärtliche Umarmung von Innen. Im Hintergrund dudelt Musik aus dem polnischen Lieblingsbluessender. Die Stadt wacht langsam auf. Ich blicke in das erste Tageslicht. Über den Dächern grauer Himmel. Der Gehsteig übersät mit braunen Herbstblättern.
Sie wird mit einem alten Bekannten dessen Eltern in Köthen besuchen und über Nacht bleiben. Ich weiß noch nicht, was ich mit dem Wochenende anstelle, - werde nachher in die Oranienstraße fahren und endlich das neue Fahrrad zur ersten Inspektion abgeben (die ist gratis).
Für Liebesbeziehungen sollte es auch Inspektionen geben. Vielleicht ließe sich dann noch was retten.

Mittwoch, 18. Oktober 2017

TV-Tipp

"Der Wert des Menschen", 22 Uhr 40, Arte

Mittwochs-Zitat

„Amerikaner reden gern über Demokratie, empfinden sie aber – vor allem, wenn’s drauf ankommt — eher als „Unbequemlichkeit“. Wir haben stattdessen ein autoritäres System aufgebaut, das lediglich wie eine Demokratie aussieht. Wir zahlen Wucherpreise für einen Riesenwitz von Regierung, lassen uns von ihr herumschubsen und wundern uns, wie all die Arschlöcher an die Macht gekommen sind.“
Frank Zappa

Montag, 16. Oktober 2017

TV-Tipp

"Irrtum im Jenseits", 20 Uhr 15, Arte

Sonntag, 15. Oktober 2017

TV-Tipp

"Germinal", 20 Uhr 15, Arte

Gedankenkrebs


Endlich der versprochene Goldene Oktober! Die Sonne bringt die bereits herbstbunten Blätter zum flirren. Ich sitze am Schreibtisch und blinzele immer wieder nach draußen. So ein Wochenende ist viel zu kurz, denke ich, der Samstag gestern war für die Tonne. Ich fühle mich fett und bewegungsfaul. Mir fehlt es an Antrieb und Ideen. Nach fünf Tagen Dokumentation träume ich von Tumoren. Der Stahlschrank, in dem die Tumormeldungen lagern, platzt aus allen Nähten. Wir kommen in der Abarbeitung der Flut von Meldungen nicht nach. Die Registerleiterin steht unter Druck. Es stehen mehr Fragen als Antworten im Raum. In den Büroräumen betretene Stimmung. Mehr als dokumentieren können wir nicht. Und das ist schwer genug bei der komplexen Materie. Die Abbildungsmöglichkeiten des Dokumentationssystems sind beschränkt. An manchen Fällen könnte man verzweifeln. Ich fühle mich an meine Zeit in der Altenpflege erinnert: Was wissen die da oben von den Schwierigkeiten unserer Arbeit? Sie entwerfen auf dem Reißbrett, wie es laufen soll. Wenn es nicht nach ihren Vorstellungen klappt, suchen sie die Fehler nicht bei sich, also bei ihrer Planung, sondern zuerst bei den unteren Ebenen…
Scheiß Politik – überall! Aber okay, ich will mich trotzdem nicht beklagen. Dank der Tumordokumentation habe ich einen neuen Job. Vielleicht wird aus dem Projekt ja noch was.
Vielleicht wird aus diesem Sonntag noch was.

Mittwoch, 18. Oktober 2017

Mittwochs-Statement

Ich vermisse mein Alleinsein.

Die Berliner Krankheit


Alles fing mit Anomalien an, welche man einer schlechten Verarbeitung der Werkstoffe zuschrieb. Dinge verformten sich, bekamen Beulen oder zerfielen in ihre Bestandteile. Diese Erscheinungen wurden bei nahezu allen Gebrauchsgegenständen beobachtet. Nach einiger Zeit waren selbst größere Objekte wie Autos, Bahnen und schließlich ganze Häuser und Straßen betroffen. Eine Art Virus schien die Dinge anzugreifen und zu beschädigen. Wissenschaftliche Untersuchungen ergaben, dass sich die Struktur der Materie auf molekularer Ebene veränderte. Die werkstoffspezifische Differenzierung ging verloren. Die Materie verwandelte sich nach und nach zu einem sich ausbreitenden amorphen Brei. Das Phänomen erinnere stark an das Verhalten von Krebszellen, sagten einige Forscher. Doch die meisten hielten solche Vergleiche für an den Haaren herbeigezogenen Blödsinn, ein Bioorganismus sei etwas völlig anderes als eine Stadt…
Seltsamerweise waren diese Veränderungen bis dato nur in Berlin beobachtet worden. Jenseits des sogenannten Speckgürtels wurden sie nicht gesichtet.
Inzwischen mussten ganze Häuserzüge evakuiert und Straßen gesperrt werden. Der Nahverkehr brach fast vollständig zusammen. In einer außerordentlichen Krisensitzung des Senats wurde beschlossen, die Stadt unter eine Art Quarantäne zu stellen, bis die Ursache des Zerfalls geklärt sei. Wer Berlin verlassen wollte, musste sich nackig machen. Es durften absolut keine Dinge mitgenommen werden, nicht mal die Kreditkarte, geschweige denn Geld. Da man das Herausschmuggeln von Wertsachen befürchtete, wurden die Menschen an den eingerichteten Grenzstellen akribisch untersucht. Viele fühlten sich an DDR-Zeiten erinnert, aber nun sei es noch viel schlimmer. Die stolze Hauptstadt verwandelte sich zusehends in ein Trümmerfeld. Auch dieses Bild kannte man aus der Geschichte.
Die Wissenschaftler standen vor einem Rätsel: So etwas hätte es noch nie gegeben – nicht im ganzen Universum; die Materie mache, was sie wolle, als wären Atome und Moleküle nicht mehr von dieser Welt. Gott sei Dank betraf es nur von Menschenhand produzierte Dinge. Im Zuge der schrecklichen Ereignisse stellten sich viele Fragen: Wo nahmen die Veränderungen ihren Anfang? Waren künstliche, wie auch immer geartete Viren aus einem geheimen Forschungslabor entwichen? Handelte es sich dabei um einen neuentwickelten Kampfstoff, der nur tote Materie angriff? War das Ganze ein heimtückischer Anschlag? Wurde der Bevölkerung mal wieder etwas vorenthalten? Lässt sich diese „Epidemie“ aufhalten? Ist Berlin noch zu retten?
Im Internet kursierten jede Menge Theorien. Da wurde von Materie-Krebs gesprochen, von einem Unfall in einem Geheimlabor, von einem Terrorakt, von der Berliner Krankheit (was auch immer das heißen mag), von einem Angriff Außerirdischer… Der Phantasie waren keine Grenzen gesetzt.
Obwohl man alles zurücklassen musste, verließen immer mehr Berliner ihre geliebte Stadt. Ein normales Leben war unter diesen Umständen nicht mehr möglich. Es grenzte an ein Wunder, dass überhaupt noch was ging. Früher oder später würde sicher auch das Stromnetz zusammenbrechen. Niemand wollte in einer Ruinenstadt leben. Selbst die Gauner hatten keinen Spaß mehr. Die Sachen, die sie klauten, waren nur noch in Berlin von Wert, und das auch nur, solange sie heil blieben. Einige hofften freilich, dass der Spuk einfach eines Tages aufhörte, wie er begonnen hatte, und harrten aus.
Möglicherweise wachte man eines Morgens auf und registrierte erleichtert: …nur ein böser Traum! Der Blick aus dem Fenster zeigte das vertraute, funktionierende Berlin. Alles stand an seinem Platz, kein Ding war absonderlich, der Verkehr staute sich wie üblich in den Straßen, Waschbecken und Klo unverformt, und die Wände hatten keine Beulen… Es herrschte wieder der ganz normale Wahnsinn – ungeheuer beruhigend!

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