Sonntag, 16. Juli 2017

TV-Tipp

"Radio Rock Revolution", 20 Uhr 15, Arte

Von Baum zu Mensch


Der Sonntagvormittag zog sich. Menschen strömten in den Park. Das Wetter war eher bescheiden, aber es regnete wenigstens nicht. Durchs gekippte Fenster drang Kindergeschrei vom nahen Spielplatz an meine Ohren, unterbrochen von den vorbeirollenden Blechmonstern. Wenn ich rausschaute, guckte ich nicht nur auf die Straße und die Hausfassade gegenüber, sondern auch auf die in mein Blickfeld ragenden Äste zweier Bäume, welche mit sommerlichem Grün die Kulisse einrahmten.
Ich hing in meinem Zimmer relativ leblos ab und schaute immer wieder hinaus. Meine Gedanken malten mit eintönigem Pinselstrich die vorgegebenen Minuten und Stunden aus. Spaßhalber fragte ich den Baum rechterseits vom Fenster: „Wie geht`s denn so, Old Boy?“ Ich fand diesen Baum, an dem ich fast täglich vorbeikam, wenn ich das Haus verließ, sehr sympathisch. Sein Gleichmut und seine Unaufdringlichkeit beeindruckten mich. Er strahlte in gewisser Weise eine ungeheure Abgeklärtheit den Dingen und der Welt gegenüber aus. Und das auch noch vollkommen authentisch.

„Bullshit!“
„What?“
„Ja, Mensch, ich bin`s, der Baum, an den du gerade dachtest.“
„Na klar“, sagte ich ungläubig und erhob mich von meinem Schreibtischplatz, um nachzuschauen, ob mir vielleicht ein Idiot auf dem Gehweg einen Streich spielte. Aber dort war im Moment niemand.
„Du kannst mir ruhig glauben. Ich höre oft den Gedanken der Menschen zu. Ganz selten mische ich mich ein. Deinen Gedanken lausche ich bereits eine ganze Weile, Mensch. Und heute konnte ich nicht anders…“
„Na dann“, meinte ich leicht trotzig. Ich glaubte immer noch nicht recht daran, dass ich gerade mit einem Baum sprach.
„Also erstens bin ich aus Baumsicht kein Old Boy, und zweitens gar nicht so abgeklärt, wie du meinst.“
„Entschuldige. Natürlich habe ich keine Ahnung, was einen Baum am Straßenrand so umtreibt. Ich finde es einfach schön, dass du da bist. Ich bezeichne mich inzwischen selbst als einen Old Boy. Ich meinte das nicht abschätzig. Im Gegenteil.“
„Schon gut. Das war Baum-Humor.“
„Haha!“
Straßenrand war übrigens ein gutes Stichwort, Mensch. Würdest du gern wie ich Tag für Tag an meinem Platz stehen? Ich habe keine Beine wie du, um wegzulaufen. Meinst du, dass es mir hier besonders gefällt?“
„Weiß nicht. Woher soll ich das wissen, Baum?“
„Du kannst mich ruhig weiter Old Boy nennen – haha – denn ich fühle mich gar nicht als Baum…, also in dem Sinne, in welchem die Menschen von Bäumen reden.“
„Okay. Dann nenne mich bitte auch nicht Mensch, sondern…“
„Ich werde dich Grübler nennen“, fiel mir der Baum ins Wort.
„Von mir aus. Ich wollte sagen, dass ich mich auch nicht unbedingt als Mensch fühle - also, wenn ich so das Treiben meiner Mitmenschen betrachte. Verstehst du das?“
„Ja, wie gesagt, ich lausche deinen Gedanken schon lange. Du fühlst dich wie ich am falschen Platz. Du kannst wie ich nicht weglaufen. Du bist wie ich dazu verdammt auszuharren…“

Plötzlich mischte sich eine andere Stimme ein, etwas heller als die von Old Boy:
„Höre nicht auf diesen Miesepeter! Dieser alte Sack zieht alles und jeden runter! Er sieht überall nur das Schlechte…“
Offenbar hatte sich der Baum links von meinem Fenster zu Wort gemeldet. Ich ging zum Kühlschrank und goss mir Weißwein ins Glas nach. Unglaublich, diese Bäume. Ich wusste gar nicht, dass sie so gesprächig sind.

Samstag, 15. Juli 2017

Wundgescheuert


Ich tanze den Blues, nicht glücklich sein zu müssen. Die Gedanken amorph. Jeder Tag ein Abziehbild. Ich sehe einen Film mit mir als Nebenrolle. Ich verschwinde ganz in mir. Ich liege so rum in meinem Bauch und starre die Wände an oder durchs Fenster. Wurde ich überhaupt geboren?

Aus dem Nebenraum erreichen mich seltsame Geräusche meiner Mitbewohnerin. Wahrscheinlich wird sie gerade wach. Wahrscheinlich wird sie gleich aufstehen.
Es tut sich was. Es kommt auf mich zu…

Ich stelle mir vor, dass ich abstürze, aber da es keinen Boden gibt, schlage ich nicht auf, - und so gewöhne ich mich ans Abstürzen. Ich stürze kopfüber, und aus meinen Taschen fallen alle Gedanken und Gefühle. Sie purzeln vor meinen Augen herum. Ich kann sie nicht greifen und zurück in meine Taschen stopfen. Ich kann nicht.

Meine Mitbewohnerin erzählt mir, wo sie am Vorabend war. Es interessiert mich nicht. Mein Brustkorb ist eine Kühlschranktür. Meine Mitbewohnerin fragt nach den Tagestemperaturen. Ich sage: „Keine Ahnung.“ Sie schaut auf der Wetter-App ihres Smartphones nach und berichtet über die Aussichten für die nächsten Tage. Ich blicke aus dem Fenster: die Sonne scheint. Mehr muss ich nicht wissen.

Bukowski sprach vom Frozen-Man-Syndrom, Hemingway hatte den Black Dog. Keine Ahnung, was es bei mir ist. Ich werde einen Namen finden. Währenddessen tanze ich den Blues, nicht glücklich sein zu müssen. Alles ist gut, solange ich meine Ruhe habe – in der Placenta meines Selbst.
Es fühlt sich an, als wäre meine Seele total wundgescheuert. Wovon nur?

Mittwoch, 12. Juli 2017

Mittwochs-Zitat

„Also, mit dem Blues ist es so: wenn sich jemand Sorgen über irgendetwas macht, dann hat er den Blues - auch wenn er ihn nicht singen kann. Wenn deine Frau dich verlässt, hast du den Blues, auch wenn du nicht in der Lage bist, ihn zu singen. Wenn du ihn aber singen kannst, bekommst du ihn auf diese Weise aus deinem Kopf heraus. Und darum geht es beim Blues."
Pinetop Perkins

Montag, 10. Juli 2017

TV-Tipp

"Rammbock", 23 Uhr 50, ZDF

Sonntag, 9. Juli 2017

C' est la vie


Der Sonntag ist der traurigste Tag der Woche, weil die Tür zur nächsten Arbeitswoche bereits einen Spalt offensteht. Ich will nicht hingucken, will mich ablenken…, was aber nur bedingt klappt.

O. geht (wiedermal) ins Museum, ins ägyptische, wo eine neue Ausstellung stattfindet, sagt sie.

Ich starre auf einen Fleck auf der weißen Wand. Die Spur eines Mordes per Fliegenklatsche.

Ich starre auf die Buchstaben, Wörter, Sätze…, während ich sie schreibe. Irgendwer (in meinem Kopf?) diktiert sie mir.

Die an den Straßenseiten geparkten Autos stehen Spalier - als Ausdruck dafür, wie viel Blech in unseren Köpfen ist. Ich denke: Wie schön wäre eine Welt mit viel weniger Autos. Ich werde mich nie an die Verunstaltung der Umwelt durch den Straßenverkehr gewöhnen.

Mein Blick rutscht über die Dinge um mich herum. Ich bin auf der Suche nach Impulsen.
Überall sehe ich Kunst… wie sich die Dinge zueinander willkürlich positionieren, ihre Gebrauchsspuren…
Ich gebe mir die Zeit, die Dinge auf mich wirken zu lassen. Der Künstler taucht in diese dingliche Atmosphäre ein. Mehr macht er gar nicht. Er übersetzt das Leben, die Welt, die er vor sich sieht…

Es geht dabei nicht ums Gefallen.

O. schreibt mir eine SMS aus der U-Bahn über eine Touristengruppe lautstarker, (eher unangenehm) lebhafter Italiener (bereits am Vormittag) … Ich antworte, dass man in einer idiotischen Welt auf Idioten gefasst sein sollte.

Es geht wirklich nicht ums Gefallen, auch wenn`s in den Medien und überall so rüberkommt.

Ich mag Sonntage nicht. Dabei wurde ich an einem geboren.

TV-Tipp

"Life of Pi", 20 Uhr 15, SAT 1

Samstag, 8. Juli 2017

Durchhalten


Seit ich mich mit dem Tod auseinandersetze, stoße ich zwangsläufig auf die Unsinnigkeit des Lebens… (als bewusst denkende, fühlende Kreatur*). „Was soll das?“ frage ich mich immer und immer wieder.

Die Masse der Menschen folgt weitgehend zwei Wegen, um diese Verzweiflung über die eigene Sterblichkeit abzumildern: indem sie den Tod leugnet und in einem materialistischen Größenwahn** lebt, oder indem sie sich einen Ausweg über „Gott“ oder andere spirituelle Konstrukte erhofft.
Möglicherweise gibt es Menschen, die es schaffen, ihr gesamtes Leben so gut wie gedankenlos zu verbringen…
Auch für den absoluten Irrsinn gibt es Kandidaten unter uns – ich meine Menschen, deren Geisteshaltung beim besten Willen nicht nachvollziehbar ist.

Meine Haltung ist, dass ich alles in Frage stelle***. Die Verzweiflung sitzt mir wie ein Raubtier im Nacken. Unzähmbar. Durchhalten ist die einzige Devise, die ich habe. Wenigstens gehe ich dabei keinem Scheiß auf den Leim.



* versteht sich von selbst - schließlich sind wir alle bewusst denkende, fühlende Kreaturen, oder?
** oder Sumpf
*** denn nichts scheint mir plausibel


Donnerstag, 6. Juli 2017

Das plötzliche Auftreten des Todes


Es sei für sie ein schrecklicher Gedanke, tot in ihrer Wohnung aufgefunden zu werden, sagte meine Arbeitskollegin, ansonsten habe sie sich ganz gut an das alleine Leben gewöhnt. Betroffenheit wabert durch den Büroraum. Anlass ist der plötzliche Tod des Ex-Mannes einer anderen Kollegin, der wohl zuhause verstarb und erst nach einigen Tagen von seinem Sohn gefunden wurde. Näheres wissen wir (noch) nicht. Diese Kollegin hatte ein gutes Verhältnis zu ihrem Ex, der der Vater ihrer zwei Söhne ist…
So schnell kann`s gehen, dachte ich bei mir und kratzte mich am Hinterkopf. Vielleicht war`s ein Schlaganfall – nicht selten bei nicht mehr ganz jungen Männern. Ich will gar nicht dran denken.
Der Bürotag hatte gerade erst angefangen. Wir plauderten noch ein Wenig über das plötzliche Auftreten des Todes und die möglichen Umstände. Da war z.B. der Mann ihrer Freundin, erzählte meine Arbeitskollegin, der nach einem „Tatort“ auf der Fernsehcouch das Zeitliche segnete. Ihre Freundin war bereits zu Bett gegangen. Irgendwann wunderte sie sich, dass er nicht nachkam und entdeckte ihn.
„Woran starb er?“ fragte ich.
„Herzmuskelentzündung - eine verschleppte Infektion. Typisch Mann war er trotz Beschwerden nicht zum Arzt gegangen.“
„Ja, so kann`s gehen. Was sind denn die Symptome?“
„Allgemeine Niedergeschlagenheit, Antriebsschwäche, Müdigkeit…“
„Oje. Nach diesen Symptomen…“, ich beendete den Satz nicht, blickte auf den Stapel Tumorfälle vor mir und nahm mir den ersten vor.

Mittwoch, 5. Juli 2017

TV-Tipp

"Harry meint es gut mit dir", 20 Uhr 15, Arte

Mittwochs-Spruch

Jeder Tag ist eine Schaufel Erde in das Grab unseres Lebens.

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