Montag, 30. Januar 2017

Plan B


„Briefzusteller gesucht“. Täglich sehe ich die Zusteller an unserer Wohnung in ihren gelben oder grünen Uniformen vorbeiradeln. Noch wäre ich fit genug für diesen Job. Neugierig googelte ich heute nach diesbezüglichen Jobangeboten. Immerhin verdient man als Briefzusteller bis zu 11 Euro 50 die Stunde. Klar, das ist zum Leben zu wenig und zum Sterben zu viel, zumal ich den Job nicht 100% machen wollte. Aber als Zwischenlösung sollte ich diese Option ins Auge fassen. Ob ich nämlich in der Tumordokumentation landen werde, ist nach wie vor ungewiss. Die Anforderungen sind hoch und die Verdienstmöglichkeiten (wie eigentlich überall im Gesundheitssystem) mager. Immer wieder komme ich ins Grübeln: Will ich das überhaupt? Will ich in einem Büro zusammen mit lauter Hühnern (die Dokumentarinnen sind fast alle weiblich) über Krankenakten von Krebspatienten brüten? Fahrradfahren an der frischen Luft erscheint mir dagegen wesentlich gesünder. Umso mehr ich drüber nachdenke, desto reizvoller erscheint mir diese Alternative. Man sollte immer einen Plan B in petto haben.

In zehn Tagen ist Abschlussprüfung. Auch meine Mitschülerinnen atmen auf, wenn es rum ist. Zu viel ist einfach zu viel. Immerhin haben sie schon einen Job – die Fortbildung war als berufsbegleitende Maßnahme für die Dokumentarinnen angedacht. Ich dagegen kam als Neueinsteiger hinzu, der zwar eine Fortbildung zum MDA vorzuweisen hatte doch ohne Berufspraxis. Von der Tumordokumentation wusste ich nur so viel, dass sie notwendig ist und im Zuge des Aufbaus der Klinischen Krebsregister immer mehr an Bedeutung gewinnen sollte. So meine Überlegungen, die mich zu dieser Fortbildung brachten. Die Schulleiterin blies ins selbe Horn – ich fühlte mich in meinem Ansinnen bestätigt. Sie machte mir Mut. Schließlich war noch nicht klar, ob die Rentenversicherung die Kursgebühren tragen würde. Immer wieder wiederholte sie ihr bestes und einziges Argument: Tumordokumentare werden gesucht. Nebenbei ging es ihr natürlich darum, mich als Schüler für den Kurs zu gewinnen. Sie hatte erst vier Teilnehmer(innen).

Heute denke ich: wenn ich gewusst hätte, auf was ich mich da einlasse… Diese ganze fuckin` medizinische tumorspezifische Terminologie gestaltete sich zu einem Horrortrip für mein Hirn.
Aber gut, ich ziehe es durch, zumal die Rentenversicherung nach einigem Hin und Her nun tatsächlich zahlt. Vor ein paar Tagen bekam ich den Anruf von der Hauptgeschäftsstelle. „ ...damit sollte Ihr Widerspruch vom Tisch sein“, sagte die Dame vom Amt säuerlich.

Zehn Tage verbleiben noch zum Büffeln. Ich sollte besser über den Unterlagen sitzen, als jetzt an diesem Beitrag schreiben. Ab und zu schaue ich aus dem Fenster, auf Gehweg und Straße, auf die Hausfassade gegenüber, die Autos und die Menschen. Der Briefzusteller war noch nicht da. Ich warte auf den schriftlichen Bescheid von der Rentenversicherung. Ich warte auf einen Motivationsschub am Wochenanfang.

Sonntag, 29. Januar 2017

Graffiti


s-bahn-collage-3

S-Bahn Station Oranienburger Straße

Donnerstag, 26. Januar 2017

Chump Change


… Seine Träume waren nicht mehr da. Die ungelesenen Geschichten und Bücher, die er geschrieben hatte und die ihm das Leben bedeutet hatten, würden niemals veröffentlicht werden. Er würde niemals mehr Anerkennung finden. Die Schönheit und Klarheit seiner Worte und Träume waren tief in ihm verloschen. Sein Aufbegehren gegen Gott und das Leben war vorüber. Er war ein wirklicher Künstler gewesen, ein einzigartiger Mensch. Niemand würde je davon erfahren.
Es löste in mir das Bedürfnis aus, für ihn zu schreiben. Etwas zu Papier zu bringen, das sich so gut verkaufen würde, dass ein paar Leute es wahrnähmen und ich ihnen sagen könnte, sie sollten meinen Vater lesen, einen echten Schriftsteller, einen wirklichen Dichter, vergessen und großartig und wunderschön.


Dan Fante in „Chump Change“ nach dem Tod seines Vaters John Fante

Mittwoch, 25. Januar 2017

TV-Tipp:

"Darjeeling Limited", 20 Uhr 15, Arte

Mittwochs-Weisheit

Das Leben ist eine Komödie für den Denkenden und eine Tragödie für die, welche fühlen.
Hippokrates

Dienstag, 24. Januar 2017

Im Spinnennetz der Wahrheit


Man könnte sagen, ich bin vom Typ „Was ich nicht weiß, macht mich nicht heiß“. Doch diese Strategie lässt sich nicht ein Leben lang durchhalten. Wenn ich dann was weiß, kann ich es nur noch schwer ignorieren. Ich dachte immer, allen Menschen ginge es so oder ähnlich. (Wir schließen zu gern von uns auf andere.) Sehr wahrscheinlich ist es aber so, dass meine Mitmenschen unterschiedliche Strategien im Umgang mit ihrer Wahrnehmung, ihrem Wissen und ihrem Leben benutzen. Häufig treffe ich auf den Typen, der das, was er weiß, je nach Lebenslage ignoriert oder sich die Fakten passend schustert. Keine so üble Vorgehensweise in einer Welt, die fürs Überleben und Weiterkommen von uns eine große Anpassungsfähigkeit verlangt. Ich dagegen hänge verzweifelt in dem Spinnennetz der Fakten und sich daraus ergebenden Fragen fest. Ich glaube tatsächlich an sowas wie die Wahrheit – auch wenn sie alles andere als gut aussieht. Genau genommen ist die Wahrheit die Spinne, die mich einwickelt und langsam auffrisst. Der Pragmatiker und Opportunist schüttelt angesichts meiner Sturheit nur den Kopf: „Siehst du nicht, was du dir damit antust? Du manövrierst dich hoffnungslos ins Aus. Das Leben ist kein Spiel, aus dem man einfach aussteigen kann. Du akzeptierst die Regeln oder verlierst. Gefällst du dir als Loser?“
Der Pragmatiker und Opportunist, ich werde ihn der Kürze wegen Realo nennen, hat immer Recht. Er beherrscht das Spiel und ist der geborene Gewinner. Er beruft sich auf das Recht des Stärkeren. Was soll man ihm entgegnen? Ich stemme mich aus purem Trotz gegen seine Dogmatik: „Kann schon sein“, sage ich, „du hast verdammt recht – aber das Leben ist kein scheiß Spiel! Ich will nicht so sein wie du…, wie alle! Eure Welt kotzt mich an!“
Der Realo grinst breit, aber in seinen Augen erkenne ich aufrichtige Traurigkeit: „Schade. Du bist kein übler Typ. Ich mag dich. Es ist doch gar nicht so schwer, wie du denkst. Die Welt wartet auf dich. Du kannst noch so viel erleben! Schmeiße nicht alles weg! Verwende lieber deine Energie, um wirklich etwas zu bewegen, und renne nicht gegen Windmühlen an.“
Ich spüre, dass er mich argumentativ an die Wand gefahren hat. Was soll ich erwidern? In meinem Kopf nur Nebel. Mein Standpunkt löst sich in Wohlgefallen auf. Ich schnappe mir ein Bier aus dem Kühlschrank, öffne die Flasche und feuere den Kronenkorken wütend in den Müll.
„Lass mich doch in Ruhe!“ rufe ich in übler Trinklaune, „was wollt ihr eigentlich von mir?!? Darf ich nicht einfach sein, wie ich bin?!“
In meinem Kopf hallt der Satz nach: Darf ich nicht einfach sein, wie ich bin?! - Darf ich nicht einfach sein, wie ich bin? - Darf ich nicht einfach sein, wie ich bin?!… Der Gerstensaft zwitschert aus dem Flaschenhals in meine Kehle. In der Welt gibt es keinen Platz für Träumer, nur für Realos und ihre dunklen Gesellen. So ist es nun mal. Entweder man verkauft seine Seele dem Teufel oder versäuft sie.

Sonntag, 22. Januar 2017

Blues im Glas


Das Leben ist eine Kette. Ein Glied fügt sich zum anderen. Wir schlucken es. Den billigen und den teuren Fusel. Wir kultivieren selbst die verkorkstesten Geschichten. Die Gier treibt uns in den Wahnsinn. Langsam aber sicher. Der Teufel ist die Putzfrau unserer verlorenen Seelen. Jeder einzelne trägt den Mist aller in sich. Wir bezahlen den Gefängniswärter dafür, dass er die Türen auch gut abschließt. Die Freiheit wäre unser größter Albtraum. Eine perfekte Inszenierung das Ganze.
Ich habe das Herz eines bellenden, geifernden Hundes mit einem toten Schwanz. Die Farben des Tages verhöhnen mich. Und wieder macht es Klick – das nächste Kettenglied dockte an. Ein Sonntag in Berlin. Ich überlasse mich dem Blues im Glas. Nur einige Tausend Kilometer unter meinen Füßen schwitzt der metallische Erdkern mit unendlicher Hitze…
Stoisch hänge ich die Wäsche auf und blicke dabei in einen Ausschnitt blauen Himmels über der Stadt. Wir wissen einfach viel zu viel, denke ich und ärgere mich schließlich (wie jedes Mal) über die vielen fummeligen Unterwäschestücke meiner Partnerin.

Freitag, 20. Januar 2017

It`s a fact


Ein denkwürdiger Tag. Kurz vor 18:00 MEZ wird Donald Trump seinen Amtseid ablegen und damit Präsident des mächtigsten Landes der Welt. Das vor einem Jahr noch Undenkbare ist heute Realität. Für viele Amerikaner eine bittere Pille. Und auch international verbreitet die Präsidentschaft Donald Trumps einiges Unbehagen. Wie dem auch sei: die Mühlräder der Weltgeschichte drehen sich unaufhaltsam weiter. Ich frage mich, wie wir in ein paar Jahren auf dieses Ereignis zurückblicken werden. Im besten Fall werden wir sagen: War doch halb so schlimm. Na ja, und im schlimmsten Fall: Das hätte nie passieren dürfen! Eine Katastrophe! Wie konnten die Amerikaner einen solchen Präsidenten zulassen?! Schon jetzt lässt sich konstatieren: Noch nie gab es auf der politischen Weltbühne ein solch mieses Possenspiel. Ich bin hin- und hergerissen zwischen Neugier und abgrundtiefer Abscheu. Das Monster ist los.
Angst habe ich nicht – zu weit entfernt scheint mir dieses Geschehen. Es ist eher wie ein schlechter Film, der aber auf gruselige Weise unterhaltsam ist. Wir erlebten was Ähnliches schon mal bei einem Führer namens… Verdammt, wie hieß der nochmal? Nein, ich möchte hier keinen Vergleich mit dem Führer anstrengen. Damals blickten die Amis über den Atlantik auf uns und konnten nicht recht glauben, was stattfand. Irgendwie witzig das Ganze. Oder: nichts ist unmöglich.
Aber nun ernsthaft: Sollten wir Angst vor Donald Trump haben? Muss sich Abraham Lincoln im Grabe umdrehen?

Mittwoch, 18. Januar 2017

Mittwochs-Tipp

Man kann sagen, Rettiche regen das Denken an. – Und man braucht gar nicht selber sehr tätig zu sein im Denken; da kommen die Gedanken, wenn man Rettich ißt, so starke Gedanken, daß sie sogar noch ganz mächtige Träume machen.
(Rudolf Steiner)

ein literarisches Tagebuch

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