Samstag, 19. März 2016

Meine erste elektrische


Sie drückte mir den Karton mit der elektrischen Zahnbürste in die Hand. „Es ist mir ein besonderes Anliegen“, sagte sie. Zuvor ertrug ich halbwegs tapfer eine gute Stunde Zahnreinigung. Ich hatte die Zahnarztbesuche einige Jahre schleifen lassen. Und nun folgte die Quittung: entzündetes Zahnfleisch, Taschenbildung… „Normal sind Taschentiefen von 3 mm, Sie haben 6 mm“, und sie erklärte mir die Folgen der Parodontose (Parodontitis) bis hin zum Zahnausfall.

Es war ein vorfrühlingshafter Tag, ich hatte den Termin am frühen Vormittag und verband ihn mit einem kleinen Spaziergang durch den Potse-Kiez, vorbei an den vielen ausländischen Imbissläden und Restaurants, den heruntergekommenen Kiezkneipen mit ihren ebenso heruntergekommenen Gästen. Das Sonnenlicht ergoss sich über alles gleichermaßen wie eine freundliche, wohlgesonnene Mutter. In meinem Mund noch das Wundheitsgefühl, fragte ich mich zum hunderttausendsten Mal in meinem Leben, welchen Sinn das alles machte. Ich blicke auf immer mehr und tiefere Falten in meinem Gesicht, die Haut verändert sich, ist nicht mehr straff und elastisch wie in jungen Jahren, die Flecken darauf mehren sich. „Altersgerecht“, sagte mein Hausarzt bei der Hautkrebsprophylaxe-Untersuchung, „nur die eine Stelle an Ihrem Rücken sollten Sie vom Hautarzt abklären lassen“. Die Überweisung zum Hautarzt liegt immer noch auf meinem Schreibtisch. Diese Arztbesuche ziehen mich runter.

Zuhause packte ich die elektrische Zahnbürste aus. Nach einer dreiviertel Stunde hatte ich sie zusammengesetzt und die Gebrauchsanweisung gelesen. Die Sonne kam um die Ecke und beleuchtete den Wohnraum. Eigentlich sollte ich in der Schule sitzen und mit zwei durchgedrehten Hühnern am Projekt arbeiten. Unmöglich, dachte ich, das Ganze ist doch ein Irrsinn. Wozu?
Ich schnappte meine Tasche und marschierte zum nahen Gleisdreieckpark. Auf den Wiesen sonnten sich die jungen Leute, spielten Frisbee, Kindergekreisch vom nahen Spielplatz; ich fühlte mich wie in einer verzauberten Welt. Hier triumphierte das Leben! Selbst das Morbide verzog seinen zahnlosen Mund zu einem Lächeln.

Bald hatte ich in der Sonne genug. Mein Schädel fing an zu brummen. Ich packte meine alten Knochen in die U-Bahn und fuhr eine Station weiter. Kurzentschlossen ging ich zum Frisör.
Frisör und Zahnarzt sollte man wieder zusammenlegen. Ich gehöre sicher nicht zu jenen, die immer wieder skandieren, dass früher alles besser war; aber ich stelle mir vor, dass das Leben simpler war. Auch gab es damals noch keine elektrischen Zahnbürsten.





am Gleisdreieck

Donnerstag, 17. März 2016

Projektwoche


Die Hühner fetzen sich. Tränen fließen. Ich als ausgleichender Part muss mir gut überlegen, was ich sage, damit ich mich nicht in die Nesseln setze. Wir sind die drei übriggebliebenen. Die anderen in der Klasse hatten sich für die Projektarbeit bereits im Vorfeld zu Gruppen zusammengefunden. Ehrlich gesagt stellte ich mir nicht vor, dass es derart schwierig werden würde. Ich bin der pragmatische Typ nach dem Motto: verteilen wir die Aufgaben, treffen uns ein paar Mal, um uns abzustimmen, und üben schließlich die Präsentation ein – fertig! Aber da machte ich die Rechnung offenbar ohne den Wirt. Von vorneherein gab es Abstimmungs- und Kommunikationsprobleme zwischen den Hühnern, jede Kritik wurde gleich persönlich genommen. Das schönste Zicken-Gezänke war die Folge. Die Arbeit blieb liegen, es wurde endlos über Kleinigkeiten debattiert, bis es schließlich fast zum Zerwürfnis kam. Das ganze zum Amüsement der anderen Hühner, die uns beobachteten.
Außerdem hatten wir uns ein nicht ganz einfaches Thema (klinische Studien) ausgesucht, in dem man sich wunderbar verzetteln kann. Ein äußerst trockener Stoff…

Die Sonne scheint, ein vorfrühlingshafter Tag. Mir ist ganz und gar nicht nach Projektarbeit, dabei ist noch einiges fertigzustellen. Und sowieso ist mir nicht nach den Hühnern und ihren Streitigkeiten.
Das Leben ist hart (das Leben ist kein Ponyhof): Zudem hatte ich am Morgen einen unangenehmen Zahnarzttermin und bin seit gestern (mal wieder) Strohwitwer.
Am liebsten würde ich mich einfach in die Sonne setzen und die Seele baumeln lassen.

Mittwoch, 16. März 2016

TV-Tipp:

"Fliegende Liebende", 20 Uhr 15, Arte

Samstag, 12. März 2016

Nur mal so


Bei Sprüchen wie „das Leben ist kein Ponyhof“ oder „das Leben ist kein Wunschkonzert“ oder „- ist kein Selbstbedienungsladen“ oder „- kein Freizeitpark“ geht mir das Messer in der Tasche auf. Was bemüßigt Menschen, solcherlei Weisheiten abzusondern?
Meine Assoziationen dazu sind: Frostbeulen an den Eiern, Asseln an der Unterseite eines modrigen Brettes, die Samstags-Autowäsche, glänzende Glatzen, das Arbeitsamt (respektive die Agentur für Arbeit), Schnabeltassen, abgestandenes Bier, Parteitagssitzungen, die Neujahrsansprache des Bundespräsidenten, Mundgeruch, Kaffeefahrten, Fußgängerampeln, Haarnetze, Roy Black, Staubsaugen, Zahnarztrechnungen, Reihenhaussiedlungen, Schnorrer in der U-Bahn, kratzende Wollpullover, Familienfeiern, die Wechseljahre, Achselschweiß, die Nationalhymne, Krampfadern, Hochzeiten, Hamster im Hamsterrad, Fußpilz, die Deutschlandfahne, Soldaten im Gleichschritt, Blümchendichter(innen), Katzenhaare, nichtexistierende Außerirdische, dämliche Grußkarten, Kaugummis, Mickey Mouse, Hamburger, Roland Kaiser, Weihnachten, Schönheitschirurgen, Hostessen, Operetten, Frauenzeitschriften, Selbstbedienungsläden, Waschmittelwerbung, Geschlechtskrankheiten …
Nur gut, dass mir niemand diese Sprüche an den Kopf drückt. Keine Ahnung, warum ich draufkam – Frau Doktor Känguru sagt: „Das Letzte lass weg! Du musst dich nicht rechtfertigen.“

Fazit: Man regt sich immer über denselben Scheiß auf, und manchmal weiß man nicht mal, warum.

Freitag, 11. März 2016

TV-Tipp:

"Der amerikanische Freund", 22 Uhr 45, 3sat

Mittwoch, 9. März 2016

Die Reinemachefrau


Die Barhocker standen auf dem Tresen und den Stehtischen Spalier, als ich reinkam. Die Reinemachefrau putzte bereits fleißig. Es roch nach Salmiakgeist, und der Boden vor dem Eingang glänzte. „Darf ich?“ fragte ich. „Klar“, antwortete sie lachend, „am besten schweben“. Zügig überwand ich die gewischte Fläche und setzte mich weiter hinten an einen der Tische. Cria, die Thailänderin, bediente; ein einzelner Gast saß zusammengesunken zwischen den hochgestellten Barhockern und schlief, neben sich ein halbvolles Bierglas. Zwei Handwerker tranken an einem Stehtisch Kaffee. Sie treffen sich vor ihrer Arbeit in der Bierbar, sowieso nach der Arbeit, und wahrscheinlich auch zwischendurch. Ich nahm von Cria mein Bier entgegen und legte mein Schal ab. Ich schaute durch die Fensterfront auf die Passanten und den Verkehr. Die Hausfassaden leuchteten in der Morgensonne.
Ich erwische meist die Zeit, wo die Reinemachefrau den Laden durchputzt. Sie macht es täglich zwischen Sieben und Acht. Die Übergabe von der Nacht- zur Frühschicht ist dann gerade gelaufen. Ich genieße mein Bier vor der Schule und schaue raus auf die Sonnenallee oder sitze an der Bar, je nachdem. Es gibt Gäste, denen ich lieber nicht nahekomme.
Diesmal war es angenehm ruhig, vom Schnarchen des an der Bar schlafenden Gastes abgesehen. Die Reinemachefrau hatte ihre Arbeit fast geschafft und fuhr sich mit dem Handrücken über die Stirn. Alle machten sich über die Schnarchnase lustig. Schließlich rüttelte die Reinemachefrau den Mann sanft an der Schulter. „Süßer, du solltest langsam aufwachen…!“ Offenbar war er ihr Partner, und sie wollte ihn mit nach Hause nehmen. Der Mann richtete langsam seinen Oberkörper auf. Ich sah ihn nur von hinten, aber ich stellte mir vor, dass er sein verschlafenes Gesicht zu einem breiten Grinsen verzog. Dann griff er sich das halbvolle Bierglas und trank es in einem Zuge leer. Der Mann wandte sich an Cria und ließ ein paar Anzüglichkeiten vom Stapel, u.a. dass Thailänderinnen gut im Bett seien. Die Reinemachefrau hatte inzwischen ihre Sachen gepackt und wartete geduldig. „Süßer, wenn du guten Sex haben willst, kommst du jetzt besser mit!“ Wir lachten.
Die Uhr zeigte kurz vor Acht. Für mich wurde es Zeit. Vorbei an der Reinemachefrau eilte ich hinaus auf die Sonnenallee. Der Tag war viel zu schön, um ihn in der Schule zu verbringen…

TV-Tipp:

"American Beauty", 20 Uhr 15, kabel eins

Montag, 7. März 2016

TV-Tipp:

"Boulevard der Dämmerung", 20 Uhr 15, ARTE

Sonntag, 6. März 2016

Der letzte Biss


Hundewetter heute. Der Sonntag tröpfelt vor sich hin bei Vocal Jazz aus dem Internetradio. Das Brummen der Waschmaschine dazu. Das Tageslicht dämmrig sanft, umkleidet mich wie ein leichter Pelz. Sehr smooth das Ganze, ein Schwebezustand zwischen Aktivität und Passivität. Ich könnte die Hunde zählen, die vorm Fenster vorbeilaufen…

Seltsamerweise geht es in dem Roman, den ich seit Monaten mit mir herumtrage, auch um einen Hund: „Westlich von Rom“ von John Fante. Ich mag John Fantes Schreibe, aber ich befinde mich zurzeit in einer lesefaulen Phase.
Ein kurzer Auszug:

„Er war ein Hund und kein Mann, aber ein Tier, und er würde mit der Zeit mein Freund werden, meinen Schädel mit Stolz und Spaß und Unsinn füllen. Er war Gott näher, als ich je sein würde, er konnte weder lesen noch schreiben, und auch das war gut. Er passte nicht hierher, genau wie ich. Ich würde kämpfen und verlieren, und er würde kämpfen und siegen. Die hochnäsigen dänischen Doggen, die stolzen deutschen Schäferhunde, er würde sie alle fix und fertig machen und dann auch noch bumsen, und ich würde meinen Spaß haben.“

Ich fühle mich weder als Gewinner noch Verlierer. Mein Standpunkt war schon immer: lieber ein guter Verlierer sein als ein schlechter Gewinner. Das „Glück“ als Gewinner ist flüchtig und macht außerdem süchtig. Nein, ich bin kein Gewinnertyp. Wenn ich siege, kann ich mich oft gar nicht richtig freuen. Wettkampfsituationen erlebte ich immer als unangenehm.
Ich spielte jahrelang sehr gern Billard, und das gar nicht mal schlecht. Freilich entwickelte ich dabei einen gewissen Ehrgeiz. Ich war über einen mißlungenen Stoß enttäuscht und freute mich, wenn für mich die Kugeln super liefen, so dass die anderen staunten. Am liebsten würde ich ohne letztes Ergebnis spielen: Man müsste nicht zwischen Gewinnern und Verlierern unterscheiden, und es ginge hauptsächlich um die Spielfreude, bzw. den Spaß an der Sache.

Es ist eine verdammte Schwäche, dass mir der letzte Biss fehlt. Auch als Hund würde ich sicher nicht zu den Gewinnern gehören.

ein literarisches Tagebuch

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