Sonntag, 27. Dezember 2015

TV-Tipp:

"Das finstere Tal", 22 Uhr, ZDF

Weihnachten und kein Ende


Träumend schaue ich in den Himmel über Berlin. Graue Wolken ziehen eilig vorbei. Die Sonne leuchtet stellenweise wie durch einen Lampenschirm. Ein mildes Lüftchen weht, es soll bis 14 Grad warm werden am Zweiten Weihnachtsfeiertag. Die ersten Leute begeben sich zum Mittagessen in die Restaurants. Ich mache eine Bierpause im Georgbräu. Als wir die ersten Male zusammen in Berlin unterwegs waren, führtest du mich sehr oft ins Nikolaiviertel. Das Glück schwingt nach wie vor in mir. Ich wandle auf unseren Wegen…
Vorbei an der Nikolaikirche spaziere ich zum Weihnachtsmarkt rund um den Neptunbrunnen am Roten Rathaus. Schlittschuhläufer laufen auf einer installierten Eisbahn um den Brunnen. Versonnen blicke ich auf die Kulisse. Teilweise steht das Wasser zentimeterhoch auf der Eisfläche. Wenn Eisläufer stürzen, haben sie gleich einen nassen Hosenboden.
Weiter führt mich mein Weg zum Alexanderplatz. Immer mehr Menschen strömen auf die Plätze und Weihnachtsmärkte. Sie bewegen sich wie Panzer – als wäre ich Luft. Fremde Sprachen um mich herum. Die Berliner bleiben wohl größtenteils über die Feiertage zuhause. In der aufgebauten Festhalle (in Hüttenambiente) nehme ich Platz. Es ist früher Nachmittag. Ich spüre, wie ich mich mehr und mehr unwohl unter den ganzen Menschen fühle. Als ich lange warten muss und zudem unfreundlich bedient werde, verliere ich beinah die Nerven. Der junge Mann hält mir die Getränkekarte vor die Nase, als ich „ein großes Helles“ bestelle. „Mein Gott!“ sage ich verärgert, und deute mit dem Finger auf das Bier, das ich wünsche.
Zum Abschluss meines Ausflugs fahre ich zum Hauptbahnhof, um eine Kleinigkeit einzukaufen. Auf der Rolltreppe rennt mich eine junge Frau fast über den Haufen. Sie will noch die S-Bahn erreichen, die oben gerade wartet. „Mensch, da will ich doch auch hin!“ rufe ich ihr erschrocken hinterher. Sie schlüpft im letzten Moment in den Zug, während ich kopfschüttelnd auf dem Bahnsteig verbleibe.
In der S-Bahn geht es mit den Unhöflichkeiten weiter. Ein junger Russe, der sich im Gefolge seiner Verwandtschaft befindet, fläzt sich auf den freien Platz neben mir, wobei ihm der Körperkontakt gar nichts ausmacht, und unterhält sich lautstark über meinen Kopf hinweg mit seinen Leuten. „Nun gut“, denke ich, „das ist alles ganz normal in einer Großstadt“, angestrengt gleichgültig aus dem Zugfenster starrend.
Im Gewirr des Betriebs und der Etagen des Hauptbahnhofs suche ich erstmal ein Lokal auf. Ich erinnere mich daran, weil O. und ich hier saßen, als sie mich 2014 nach einem meiner Berlinbesuche zum Bahnhof brachte. Wie viel passierte seitdem! Ich kann es immer noch nicht fassen.
Es gibt viele freie Plätze, und ich werde freundlich bedient. Versunken sitze ich im schummrigen Licht, wechsele mit O. Mails. Zwischen den Jahren ist sie in Russland bei ihren Kindern.
Hinter mir unterhalten sich zwei ältere Männer, jenseits der Sechzig, angeregt. Unwillkürlich lausche ich. „Dass Du mir sagst, ich sei weltfremd! Nach 35 Jahren!“ „Ich meine in der Praxis! Du sonderst Dich mehr und mehr ab.“ Die Beiden sind offensichtlich Freunde und resümieren über ihre gemeinsam unternommene Reise. „Nach 35 Jahren – eigentlich sollte ich wütend sein, aber ich bin es nicht.“ „Du kannst dich nicht zur Gruppe setzen und erwarten, dass Du angesprochen wirst; Du musst selber etwas dazu tun und nicht einfach beleidigt gehen. Die anderen fragten mich schon: Was ist denn das für einer?!“ „Aber die Studienrätin neben mir bedankte sich dafür, dass ich ihr Gesellschaft leistete“ „Davon weiß ich nichts.“ …
Ich finde die „beleidigte Leberwurst“ sympathischer, dessen Gesicht mir zugewandt ist, wenn ich mich umdrehe. Von dem anderen, offenbar ein geselligerer Typ als sein Reisepartner, sehe ich nur die Glatze.
Ich bezahle mein Bier und gehe zum Supermarkt drei Etagen tiefer. Als ich drin bin, bereue ich es schon wieder. „Die Schlange fängt da hinten an!“ herrscht mich ein Anstehender an.





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