Sonntag, 11. Oktober 2015

Steine find` ich gut, aber Menschen sind scheiße!


Zehn nach Sieben gehe ich aus dem Haus. Beim Queren des Parks zur U-Bahnstation spekuliere ich darüber, ob mir die U-Bahn vor der Nase wegfährt und ich auf die nächste warten muss. Es ist noch morgendliches Dämmerlicht, mir begegnen Jogger und andere Frühaufsteher. Einige Gesichter kenne ich schon. Ich lege einen Zahn zu – dabei ist es absolute Glückssache, ob ich rechtzeitig auf dem Bahnsteig bin. So kann ich mir aber wenigstens nicht vorwerfen, getrödelt zu haben. Ein kaltes Lüftchen weht. Inzwischen trage ich Halbschuhe und Socken. Noch vor Kurzem zog mich eine Mitschülerin damit auf, dass ich barfuß und mit Birkenstocks unterwegs war. Ich brauche gut fünf Minuten durch den Park und habe Glück: Auf der Anzeige lese ich, dass meine Bahn in einer Minute fährt. Ich haste die letzten Stufen hoch. Die Untergrundbahn ist eine Strecke lang als Hochbahn unterwegs. Wie ein gelber, metallener Wurm rauscht sie in den Bahnhof ein…
Die Fahrgäste sind in der Hauptsache Schüler und Berufstätige. Mein Blick huscht über ihre Gesichter, und ich stelle Vermutungen an. Die Vielfalt an unterschiedlichen Figuren ist riesengroß. Ich bin derart in Gedanken verloren, dass ich aufpassen muss, nicht zu weit mitzufahren. Außerdem bin ich noch tranig von der Nacht. Die meisten Fahrgäste sitzen (oder stehen) stumm auf ihren Plätzen. Viele tragen Kopfhörer oder spielen mit dem Smartphone.
Der Zugwind erwischt mich, als ich zur Rolltreppe gehe, die mich zurück ans Tageslicht transportiert. Der Verkehr auf der Karl-Marx-Straße ist bereits kräftig am Rollen. Bis zur Schule sind es etwa zehn Minuten Fußweg. Ich marschiere Richtung Sonnenallee, vorbei an einer Obdachlosen, die ihr Nachtlager in einer Mauernische hatte und nun gebückt auf dem Gehsteig steht, eine Zigarette rauchend. Ich schaue auf die Uhr und stelle beruhigt fest, dass ich genügend Zeit habe. An der Ecke zur Sonnenallee verschwinde ich unauffällig in einer Kiezkneipe für ein schnelles Bier. Sie hat rund um die Uhr offen. Manchmal ist dort morgens noch (oder schon – je nach Betrachtungsweise) Halligalli. Aber diesmal bin ich, von einer Gruppe junger Ausländer abgesehen, der einzige Gast – was mir ganz recht ist. Jeanette, die Bedienung, steht gelangweilt hinter der Theke. Sie reicht mir die kalte Flasche, ohne dass ich etwas sagen muss. Die Gruppe von Ausländern ist offensichtlich übernächtigt. Jeanette ermahnt sie mit ihrer Berliner Schnauze, dass sie schlafende Kundschaft nicht duldet. Die Ausländer räumen das Feld. Als sie weg sind, meint sie zu ihrer Kollegin, die die ganze Zeit stoisch an einem Spielautomaten saß: „Ich hasse die Menschen – Steine find` ich gut, aber Menschen sind scheiße!“ Ich trinke die Flasche aus und lege ein Zweieuro-Stück auf die Theke. „Tschüss!“ „Tschüss, mein Süßer!“ ruft mir Jeanette hinterher. Da stehe ich schon auf der Sonnenallee und warte auf eine Lücke im Verkehr, um über die Fahrbahn zu kommen. Es ist kurz vor Acht. Vier Doppelstunden EDV stehen mir bevor – von dem Hühnerstall ganz abgesehen...

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