Donnerstag, 2. Juli 2015

Sommer-Blues


Beim Bergmannstraßenfest am Wochenende kündigte sich das Sommerhoch „Yasmine“ bereits an.Wir schoben uns durch das Gedränge von Bühne zu Bühne. Nach einer Darbietung der Blues-Legende „Guitar Crusher“ machten wir uns am frühen Abend auf den Nachhauseweg.
Ich war müde vom Bier, der Sonne und dem ganzen Trubel. O. ist härter im Nehmen, obwohl sie, wenn ich sie frage, was ich für sie zu Trinken bestellen soll, fast immer sagt: „Dasselbe – natürlich.“ O. ist von zierlicher Statur, und ich machte mir Anfangs Sorgen wegen des Alkohols, ob sie so viel verträgt.
Wir kamen an einem Eiscafé vorbei, vor dem sich auf dem Gehsteig eine Schlange gebildet hatte. „Ein Kult-Eiscafé“, witzelte ich trocken. Ich kann über solche Phänomene immer wieder staunen. Mir müsste man Geld bezahlen, damit ich mich in eine solche Schlange stelle.

Vorm Einschlafen gewöhnte ich mir an zu lesen - falls O. mich lässt. Sie schenkte mir letzten Herbst „Mister Aufziehvogel“, ein Roman von Haruki Murakami – ein ganz schöner Wälzer, aber die ersten hundert Seiten ließen sich ganz gut an.
Seltsam, wie sich das Klima zwischen zwei Menschen ändern kann, von Tag zu Tag oder gar von einem Moment auf den nächsten. Es ist regelrecht physisch spürbar, wenn Verstimmungen auftreten. Man kann sich freilich auch alles nur einbilden, und der andere reagiert dann überrascht mit den Worten „Was ist denn los?“ (- was natürlich auch eine Mache von ihm sein kann).
Das Hoch „Yasmine“ nahm von Sonntag an kräftig Anlauf. Jeder Wochentag wurde heißer.
Die Hitze drückt auf Kopf und Brust. Ich bin gereizt und sage oft, dass ich meine Ruhe will. Es tut mir jedes Mal leid, wenn ich O. abweise.

Am Montag fiel der Strom in zwei Räumen aus. Ich kontrollierte die Sicherungen, konnte aber nichts entdecken. Schließlich fanden wir heraus, dass beim Aufdrehen des Warmwassers der Strom unerwartet wieder da war. Ich rief die Hausverwaltung an und beschrieb den Sachverhalt.
Der Handwerker, der am Nachmittag vorbeikam, machte große Augen, als ich ihm den Effekt vorführte.
Schließlich musste eine Sicherung ausgetauscht werden. Er radebrechte in Deutsch, ich verstand ihn kaum. Für den Effekt beim Aufdrehen des Warmwassers hatte er keine Erklärung.
Ich holte O. am Abend von der Sprachschule am Gesundbrunnen ab. Sie hat immer eine Menge von den Kursteilnehmern zu berichten. „Du glaubst nicht, wie schlecht manche sind*...“ Während sie erzählt, versuche ich mir die Figuren bildhaft vorzustellen, junge Leute aus Bulgarien, Afghanistan, der Türkei, Polen… jeder mit seiner Geschichte und seinen persönlichen Eigenarten.
Wir gingen essen. O. nahm ein Rinderhüftsteak und ich Kalbsleber.
Danach versackten wir im "Bierbrunnen". Nein, versacken ist zu drastisch ausgedrückt. Es waren einfach ein oder zwei Bier zu viel in der Tagesbilanz. Wir fühlten uns wohl bei dem Barkeeper, einem knuffigen Sechzigjährigen, der sich auf seine alten Tage eine Harley gekauft hatte. Sein Traum wäre, einmal die Route 66 entlang zu touren, sagte er.

Die S-Bahn klaute mir eine meiner Birkenstocksandalen, als ich einsteigen wollte, aber O. mich zurückhielt. Die Türen schlossen sich, als ich meinen Fuß zurückzog, und der Schuh blieb drin. Wütend schüttelte ich auch den anderen vom Fuß und schmiss ihn in einen der Abfallbehälter auf dem Bahnsteig. Der Rückweg vom Gesundbrunnen gestaltete sich etwas umständlich. Da war sie wieder, diese Verstimmung, die wie schlechtes Wetter auftaucht – dabei waren Hüftsteak und Leber gut gewesen, und wir hatten einen schönen Abend. Es ist wie etwas, das in Balance erscheint und durch eine leichte Erschütterung oder Irritation, ins Chaos überwechselt. Plötzlich steht man im Nebel und blickt nicht mehr durch. Die Gespenster der Ungewissheit, der Angst und Lähmung zogen mich in ihren Bann. Warum? Ich wurde in meine Kindheit zurückgeworfen, als ich mich beim Spaziergang mit den Eltern trotzig immer weiter zurückfallen ließ. Die Welt war hässlich und ungerecht! Sah denn niemand, wie sehr ich litt!?!

O. zeigt bewundernswert viel Geduld mit mir. Vielleicht kann nur ich mich auf Dauer ertragen.
Samstag unternehmen wir einen Ausflug nach Binz. Und für Ende Juli buchten wir eine Pauschalreise nach Kreta. Die Aussichten für den Juli sind verdammt gut!
Es ist Mittag - wir hören Internet-Radio, einen Blues-Sender. Die Sonne knallt auf die parkenden Autos und das graue Pflaster. O. sitzt auf der Couch, während ich versuche, ein paar brauchbare Sätze aus mir herauszukitzeln. „Störe ich dich?“ fragt sie. Ich schaue gedankenversunken zu ihr rüber.


(*O. verbesserte mich, die Schlechten seien die Ausnahme.)





"Guitar Crusher" auf dem Bergmannnstraßenfest

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