Samstag, 12. Juli 2014

Im Gedenken


Meine Mutter ertrug die ganzen Grausamkeiten nicht mehr, die auf der Welt passieren. Sie konnte keine Filme mehr schauen, in denen es grausam oder gewalttätig zuging, und auch die schlimmen Nachrichten nicht mehr hören. Sie liebte ihren Garten, in dem sie sich an dem Wachstum und Gedeihen der Pflanzen erfreute. Sie wollte nicht mehr hin sehen auf Gewalt und Krieg und Elend. Die Ängste waren zu groß und marterten sie dann vor allem nachts. Ihre Seele war ein zartes Pflänzchen, das an der Rohheit des Lebens langsam zugrunde ging. So verstehe ich es zumindest heute. Meine Mutter starb im letzten Jahr, ohne das Frühjahr mit seinem unbedingten Lebenstrieb noch einmal in seiner Gänze zu erfahren. Sie starb, weil sie keine Kraft mehr hatte, weil sie es sinnlos fand, noch eine Runde zu drehen (nachdem ihr Mann schon gegangen war).
Es ist wohl ein Naturgesetz, dass die schwachen Pflanzen eingehen. Ich frage mich, wer diese scheiß Naturgesetze machte – was übrigens auch ein Grund ist, warum ich nicht an Gott glauben will. Ganz anders als meine Mutter, die still bis zuletzt an ihrem Glauben festhielt.
Ich weiß, dass ich ihr auch ganz schön Sorgen machte. Wie gesagt, ich kann nicht wegschauen. Darum stelle ich oft unsensible Fragen. Darum trinke ich mehr, als mir gut tut. Und darum fühle ich mich oft einsam und unglücklich ... Frühling, Sommer, Herbst und Winter – keine Jahreszeit existiert für sich. Wir drehen uns alle im Rad des Lebens. Ich liebe dich, Mutter, und gedenke deiner. Ich bin dein Sohn. Mama, hier bin ich, und wandle weiter über den Erdboden, ohne recht zu wissen wohin.




Vom nicht weg sehen können


Richtig dicke Tropfen fallen in Schnüren vom Himmel, trommeln auf das grüne Blätterdach. Binnen weniger Minuten wurde es düster. Der Himmel hängt wie ein schmutziges Laken über dem Land, schleift über die bewaldeten Berghänge. Mein Innerstes fühlt sich schwer und beladen an wie die Wolken. Im TV laufen Dokumentationen über das finstere Mittelalter. Es schnürt mir die Luft ab bei den Gedanken an die damaligen Grausamkeiten. Hexenverbrennungen und Folter, blutige Schlachten mit Hieb und Stichwaffen. Nicht dass Kriege heute nicht grausam wären, aber mit etwas Glück kriegt man eine bessere medizinische Versorgung. Seltsam, wie viele und gegensätzliche Gesichter die Menschen haben. Ich werde daraus nicht schlau. Körperliche Gewalt war mir schon immer zuwider, vor allem wenn sie bewusst als Aggression eingesetzt wird oder als Bestrafung.
Im Mittelalter war man da nicht zimperlich, und es gibt, glaube ich, Menschen, die gewissermaßen noch im Mittelalter leben oder es sich zurückwünschen. Zivilisation bedeutet in meinen Augen hauptsächlich eine Gesellschaft, in welcher Humanität und Gerechtigkeit vorherrschen, wo man sich einigermaßen sicher durch die Straßen bewegen kann. Die menschliche Zivilisation ist stellenweise noch weit von diesem Ideal entfernt. In den letzten Tagen häuften sich wieder Meldungen über die Gewalt zwischen Israelis und Palästinensern. Raketen löschen ganze Familien aus, während auf einem anderen Erdteil Fußballfeste gefeiert werden … in einem Land, das selbst ein Gewalt- und Gerechtigkeitsproblem hat. Die Welt wird vom Geld regiert. Den Armen bleiben zumeist nur Verzweiflung, Flucht in die Drogensucht und Kriminalität. Die wenigsten schaffen es hinaus aus dem Sumpf. Wie schmachvoll muss es für sie sein, wenn Millionen Dollars für Hotels, Straßen und Fußballstadien da sind, während sie bestenfalls ein Almosen bekommen.
Wenn man den Spaß an solchen Mega-Events wie die Fußballweltmeisterschaften nicht verlieren will, blendet man besser die Schattenseiten aus. Man darf sich doch nicht allen Spaß verderben lassen, bloß weil die Welt auch eine hässliche Grimasse besitzt - eine egoistische, machtbesessene und geldgierige. Soll man ein schlechtes Gewissen haben, weil man zufällig auf der Sonnenseite geboren wurde? Die Armen sind nicht per se die besseren Menschen, weil sie arm sind. Sie haben eben Pech bei der Aufteilung des Kuchens gehabt. Wenn jemand dafür verantwortlich ist, dann ist es … Gott! Ich jedenfalls nicht. Ich bin auch nur eine Ameise, die unter Milliarden über die Erde krabbelt, niedergehalten von der Schwerkraft und mitgerissen von den Massen und Strömen, von Moden und Trends, von Ideen, Religionen und ihren Verkündern, angetrieben von purem Überlebenswillen, von meinen Begierden und Süchten, Wünschen und Träumen … Ich kann die Welt nicht ändern, aber ich kann auch nicht wegsehen. Darüber schreibe ich: Vom nicht weg sehen können, von meiner Ohnmacht, von der Schwere in mir, von den eigenen Wünschen und meiner Einsamkeit.
Die meisten Fußballspieler bei der WM sind hochdotierte Stars. Sie verdienen an einem Tag mehr als ein einfacher Arbeiter in einem ganzen Jahr. Wie wäre es, wenn sie ihre ganzen Zusatzeinnahmen von der WM in einen Topf gäben und sie für die Ärmsten der Armen in Brasilien spendeten? Der Weltmeister, der morgen Abend ermittelt wird, könnte mit großzügiger Geste vorangehen. Das wäre wahrhaft weltmeisterlich.
Ich möchte ja so gerne an das Gute im Menschen glauben.

ein literarisches Tagebuch

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