Mittwoch, 3. April 2013

Außer in der Liebe


Mit Zwanzig denkt man noch nicht darüber nach, wenn die Richtige nicht dabei ist; mit Dreißig auch noch nicht wirklich. Man probiert herum und sammelt Erfahrungen. Mit Vierzig kommt man ins Grübeln. Da werden viele Ehen schon wieder geschieden, und man befindet sich immer noch im Versuchsstadium. Und mit Fünfzig ist man nahe dran, den Kopf in den Sand zu stecken – man denkt: die Richtige gibt es nicht für mich.
Er war Fünfzig und rekapitulierte sein Liebesleben. Er hatte einige große Lieben, vor allem in den ersten Jahren. Da waren langjährige Beziehungen darunter. Langjährig hieß in seinen Beziehungsmaßstäben mindestens zwei Jahre. Mit Anfang Dreißig kam eine Flaute. Er ging durch eine Lebenskrise, und es entstanden kaum feste Beziehungen. Mit Vierzig holte er einiges nach. Er fühlte sich im Aufwind. Seine Lebenssituation hatte sich wieder gefestigt, und wie durch ein Wunder lief es auch wieder in der Liebe besser.
Tja, nun war er Fünfzig - stand mal wieder mit leeren Händen da. Vor wenigen Monaten besaß er noch alle Perspektiven auf ein Zusammenleben mit einer Frau. Doch plötzlich zerplatzten alle dahingehenden Träume wie Seifenblasen. Vielleicht nicht ganz plötzlich. Es hatte nicht sein sollen, wie man so schön sagt. Die Liebe war nicht haltbar oder nicht groß genug, oder die Unzufriedenheit wurde zu groß, oder es gab zu viele Unterschiede in den Vorstellungen über das Leben, speziell über das Zusammenleben. Er fühlte sich schnell eingeengt. Wenn Intimität zur Gewohnheit wurde, verlor er die Lust daran. Er hasste den schnöden Alltag mit Familie und Pflichten, währenddessen für die Frauen die Familie an erster Stelle stand. Das beinhaltete den Wunsch nach einem verlässlichen Partner, der sich einbinden ließ. Er lernte schon seit Jahren fast nur noch geschiedene Frauen mit Kindern kennen. Die waren entweder nur auf ein Abenteuer aus, oder sie suchten einen Ersatzmann für den verlorengegangenen. Er kannte die Erwartungshaltungen der Frauen gut genug und versuchte Kompromisse einzugehen. Warum sollte er sich für eine Frau, die er liebte, nicht ändern können?
Doch er konnte seinen Freiheitsdrang nicht dämpfen. Nach einer Phase der Verliebtheit wuchs in ihm beständig der Wunsch auszubrechen. Er wollte es selbst nicht wahrhaben. Es musste doch möglich sein, einmal zur Ruhe zu kommen. Am Besten wäre eine Frau, die ähnlich wie er keinen Alltag in der Liebe wollte, aber wohl schon eine beständige Beziehung. Fernbeziehungen waren gar nicht so schlecht geeignet, wenn sie nicht zu fern waren. Ganz wichtig für ihn war, dass man sich nicht auf der Pelle hockte. Auf der anderen Seite durfte die Bindung auch nicht zu lose werden. Liebe und ein großes gegenseitiges Interesse waren natürlich Grundvoraussetzungen. Verspürte man keine Sehnsucht mehr auf den anderen, konnte man es getrost knicken.
Gab es überhaupt solche Beziehungen, wie er sie sich vorstellte? Und gab es dafür eine passende Partnerin? Oder befand er sich auf dem Holzweg? Wusste er denn sicher, was er wollte? Ohne Frau wollte er nicht leben – das wusste er. Und eine Sex-Beziehung war ihm zu wenig – wenn auch besser als nichts.
Er war Fünfzig. Langsam schwammen ihm die Felle davon. Das heißt: Vitalität und Gesundheit ließen nach, nicht eklatant, aber es ließ sich nicht mehr wegretuschieren bzw. leugnen oder wegdenken. Wahrscheinlich ging es anderen in dem Alter genauso. Er konnte keine große Ausnahme sein. Das dachte man zwar oft, aber man war viel normaler, als man es glauben wollte. Ohne ein weiteres Liebesglück wird gar nichts gehen, dachte er bei sich; dabei hatte er bisher Liebesglück gehabt, welches bequem für mehrere Leben reichen könnte. Und alles verspielt. Er gewann und verspielte es wieder. Eigentlich war er keine Spielernatur. Er dachte viel zu nüchtern. Außer in der Liebe.

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