Von der Schimäre des Erwachsen-Seins
In einem Abendtalk sagt eine junge Frau: „Ich fühle mich nicht so erwachsen, wie die anderen aussehen ...“ Die Runde lacht. Ich schaltete mittendrin ein. Interessante Gäste, u.a. Hannelore Hoger und Reinhold Messmer. Sie sagen der jungen Frau, dass es nicht nur ihr so gehe – man fühle sich wohl allgemein jünger, als man ist … Ich versinke über dieses Thema in Gedanken, während die Talkgäste über dies und das weiter plaudern.
Wie erwachsen bin ich? Ich hatte, seit ich denken kann, eine sehr kritische Wahrnehmung des Erwachsen-Seins. Als Kind und Jugendlicher kam es mir so vor, als ob man einfach durch das Alter zum Erwachsenen gekürt werde. Da war z.B. die 18-Jahre Schwelle, die es einem erlaubte, sich nicht nur gedanklich sondern auch real von den autoritären Eltern abzunabeln. Leider war das gar nicht so einfach, wie man es sich (damals) naiverweise ausdachte. Die Eltern nannten das „den Ernst des Lebens“. Damit war gemeint, dass sich nun die Freiheit der sorglosen Kindheit langsam dem Ende zuneige. (Die Kindheit war für mich alles andere als sorglos.) Dabei fieberten wir als Jugendliche unserem 18. Geburtstag geradezu entgegen, weil wir genau das Gegenteil für uns erhofften: nämlich endlich frei vom autoritären Duktus der Eltern und der Lehrer selbst nach Lust und Laune entscheiden zu dürfen ...
Eine Weile ging das auch gut. Ich meine damit die Kneipen- und Saufzeit. Wir ließen damals die Kuh fliegen, fuhren heimlich mit den Autos unserer Eltern durch die Gegend und plünderten deren Weinkeller. Die einen waren beim Bund, die anderen studierten bereits, und ich machte eine Lehre.
Es war mir wichtig, so schnell wie möglich wenigstens finanziell halbwegs unabhängig von meinen Eltern zu werden. Leider versoff ich alles.
Ich kürze diesen biografischen Teil besser ab, denn all zu viel ist mir davon sowieso nicht in Erinnerung. Es ist auch schon über 20 Jahre her. Darum geht`s mir gar nicht. Doch schon. Ich meinte dieses hehre Wort „Erwachsen“. Ich weiß ehrlich gesagt heute mit knapp Fünfzig noch nicht, was es bedeutet. Irgendwie wird immer nur die Welt um mich herum erwachsen, pflichtbewusst, verantwortungsvoll etc., während ich … während ich gar nicht weiß, wo ich stehe. Es ist mitunter lustig, dass mich jüngere Arbeitskollegen ehrfürchtig betrachten. Nun, ich bin schließlich im Alter ihrer Eltern.
Und ich erwische mich dann bei Gedanken wie: War ich auch mal so naiv?
Ich blättere in meinen alten Texten und Gedichten. Mit 16 fing ich mit dem Schreiben an. Und bei der Lektüre der alten Sachen ist es ein schönes Gefühl, mich darin noch entdecken zu können.
Wenn mich heute jemand fragte, ob ich erwachsen sei, würde ich antworten: „Ja, freilich, mindestens so wie alle erwachsenen Leute.“ Aber wenn ich gefragt würde, ob ich mich erwachsen fühle, würde ich sagen: „Schwachsinn, wie kann man sich erwachsen fühlen??“
Es gibt eine Menge Menschen, die dummerweise das Festhalten an Konventionen, Opportunismus und Heuchelei als die Tugenden des Erwachsen-Seins ansehen.
Ich kann mich in der Hauptsache an zwei Sorten Lehrer erinnern: Die einen strahlten aufgrund ihrer Persönlichkeit Autorität aus, und die anderen versuchten mittels Notenbuch und Mobbing ihre Autorität herzustellen. Logisch, welche Lehrer wir am liebsten hatten, und bei denen wir am meisten lernten. Ach ja, und es gab noch eine dritte Sorte – nämlich die, die relativ farblos dazwischen lagen. Aber an die erinnere ich mich kaum noch.
Noch heute meine ich: Die meisten, die ihr Erwachsen-Sein, ihre Manieren und ihr Verantwortungsgefühl besonders gegenüber ihren Mitmenschen hervorheben, - das sind meist die größten Arschlöcher!
Hoffentlich fühlt sich da jetzt niemand angesprochen.
bonanzaMARGOT
- 26. Nov. 11, 15:36
- Als Gebüsche noch Gebüsche waren