Die Arschwischmaschine hat frei
Katerstimmung nach dem verlorenen Halbfinale. Die deutsche Mannschaft hat`s versiebt. Schon wieder gegen die Italiener – denen ich den Sieg gönne. Beim Fußball ist es manchmal wie verhext: Gegen England kriegten die Italiener in neunzig Minuten plus Verlängerung trotz andauerndem Sturmlauf kein Tor rein. Ich denke, dass bei zwei derart starken Mannschaften auch das Glück mit im Spiel ist, bzw. der Zufall. Gestern fehlte den Deutschen der glückliche Abschluss, während die Italiener zweimal ins Schwarze trafen. C`est la vie.
Noch habe ich leichtes Schädelbrummen. Dunkel erinnere ich mich an den Sportpub und die euphorische Stimmung, die bald durch die zwei Tore in der ersten Halbzeit gedämpft wurde. Da half auch der Alkohol nichts mehr. Vorher war ein heftiges Sommergewitter, die Luft wie aufgeladen. Der Regen, der wasserfallartig niederging, vertrieb mich aus dem Biergarten hinein in den schützenden Raum des Kaffeehauses. Die Bedienung, ein junger sympathischer Mann, beklagte sich bitter darüber, dass die Chefin keinen Fernseher aufgestellt hatte. „Gerade bei diesem Wetter“, sagte er, „wären dann wenigstens noch ein paar Gäste hier.“ Ich stimmte zu. Eine junge Frau kam herein und fragte, ob das hier fußballfreie Zone sei. Als wir nickten, suchte sie sich erleichtert einen Platz. „Tja“, meinte ich, „werde wohl ins Sportpub zum Gucken gehen.“
Ich erinnere mich an die freundliche Thai, die im Sportpub bediente. Die Frau vom Barbesitzer. Er saß zusammengekrümmt hinter der Theke und schaute wie ein doofer, trauriger (See)Hund aus der Wäsche. Manchmal frage ich mich, was die beiden für ein Liebesleben führen. Die Thai lächelte mich an und zapfte das nächste Bier. Die Deutschen verloren. Da auf dem Bildschirm. Alles schien irgendwie unwirklich.
Back.
Back in the USSR. Nein, das Lied schoss mir nur durch den Kopf. Ich bin zurück. Zurück. Also hier. Aber was heißt das heute noch? Ich meine, wo alles verdrahtet ist, wo die Menschen ständig von A nach B fahren – die Kinder meiner Freundin fliegen in Kürze mit ihren Großeltern nach Ägypten. Das ist normal. Ich meine, das ist heute so: Kreuzfahrten, tausende Kilometer auf einen anderen Kontinent fliegen … Ich will es gar nicht kritisieren. Ich weiß nicht. Ich bin ratlos. In was für einer Welt leben wir? Die Augen quellen mir schon über, wenn ich sehe, was für dicke Autos über die Straßen brausen, als wäre es selbstverständlich: so eben ins Auto setzen und da- und dorthin fahren - zu riesigen Einkaufszentren oder Vergnügungsparks … Ich fühle mich seltsam fremd, als würde ich mich selbst nicht mehr kennen. Ich fühle mich innerlich zerrissen wie in der Pubertät. Es geschieht etwas, was ich nicht begreife, weil es irre ist, und alle um mich herum machen so, als wäre es stinknormal. („Stinknormal“). Aber niemandem scheint es zu stinken.
Ich bin zurück. Drei Wochen Urlaub liegen hinter mir, und morgen geht es zurück ins Altenheim zum Nachtdienst. Ich war in Kärnten. Das ist auch ganz schön weit: acht Stunden Zugfahrt. Ich verreise eigentlich ganz gern. Aber umso mehr ich mich auf die Geschwindigkeit von Auto, Bus und Bahn einlasse, desto fremder fühle ich mich auf der Welt. Vom Fliegen ganz zu schweigen. Ich bin Fünfzig und flog noch nie. Nein, ich habe keine Angst vorm Fliegen. Glaube ich. Nein.
Back.
Back in the USSR. Vielleicht bin ich zu langsam für diese Welt. Oder auf eine andere Weise zu schnell? Nein, mein Urlaub war schön. Sehr schön. Ich erlebte sehr viel. Ich war in Venedig und an anderen schönen Orten. Immer wieder muss ich darüber nachdenken, wie unterschiedlich wir Menschen Dinge wahrnehmen …, obwohl wir genau dasselbe sehen. Das ist überall so. Überall. Morgen wieder im Altenheim. An manchen Orten scheint diese Wahrnehmungsdiskrepanz besonders groß zu sein. Ich weiß nicht. Ich bin ratlos. Vielleicht auch nervös, weil ich noch nicht richtig angekommen bin. Dabei waren es doch nur drei Wochen. Ich meine, was sind schon drei Wochen? Aber mir kommt es vor, als ob ich vor einem Jahr oder so in den Zug nach Klagenfurt stieg. Drei Wochen, die wie im Flug vergingen.
Wie fremd und vertraut mir die Welt gleichsam ist. Dasselbe gilt für die Liebe – ein Vexierbild, das ich mal als Gesicht oder als Vase erkenne, - mal als Glück (Erfüllung) aber ab und zu als Gefängnis. Alles ändert sich beständig. Gestern küsste ich dich noch auf den Mund. Gestern maltest du mir mit dem Finger ein Herz auf die staubige Scheibe des Zuges, als ich für die Rückfahrt meinen Sitzplatz einnahm. Heute bin ich hier, und du bist dort – achthundert Kilometer entfernt. Die Orte durchmischen sich – sie sind Bilder eines Kartenspiels in meinem Kopf. Die Gewohnheit wird die Karten wieder ordnen. Irgendwie. Was will ich überhaupt? Nur eine Zugscheibe ist zwischen uns. Ich liebe dich.
Ich kann es noch gar nicht glauben: Ab morgen habe ich Urlaub! Wieder ist ein Jahr vergangen. 2011 fuhr ich mit dem Fahrrad an die Ostsee. Ich wusste nichts von Kärnten und Olivia. Wie das Leben seine Wendungen nimmt! Ich konnte mir vor einem Jahr noch nichts von dem vorstellen, was ich heute erlebe.
Ich packe eifrig meine sieben Sachen zusammen. Es wird diesmal keine Fahrradreise. Dafür werde ich ein wenig durch Kärnten radeln, den Ossiacher See erkunden … und hin zum Wörthersee. Aber das Wichtigste ist, dass ich die drei Wochen bei und mit Olivia verbringe! Das nächste Wochenende fahren wir nach Venedig. Mein Gott, wie lange ist das her, dass ich die Lagunenstadt besuchte! Wie gesagt, ich kann es noch gar nicht glauben.
Das Wetter heute transportiert allerdings herzlich wenig Urlaubsstimmung. Es ist kühl. Regenschauer und Sonne wechseln sich ab. Der grüne Urwald vor meiner Haustür platzt aus allen Nähten. Ich bin total durcheinander. Eine Nacht im Altenheim habe ich noch vor mir. Wann freute ich mich das letzte Mal so sehr auf den nächsten Tag, dass ich es kaum abwarten konnte? Das war als Kind am Vortag meines Geburtstages …, als ich mein erstes Fahrrad geschenkt bekam. Und ich weiß noch, dass sie es mir ins Zimmer stellten, während ich schlief, und als ich am Morgen aufwachte, sah ich die Konturen des Fahrrades im Dämmerlicht … wie ein Wunder vor mir auftauchen.
Ich nehme heute Abend das Reisegepäck mit ins Altenheim, um gleich in der Früh von dort aus zum Bahnhof zu starten. Der EC nach Klagenfurt geht kurz nach 9 Uhr.
So, und nun packe ich weiter. Ich will nichts vergessen.
Allen Bloggern und Lesern wünsche ich einen schönen Juni!
Ich wollte nur meinen Ledersattel, der leicht durchgeritten ist, spannen lassen. Für den Brooks Sattel braucht man dazu ein spezielles Werkzeug. Der Fahrradhändler betrachtete sich meinen Sattel und runzelte bedenklich die Stirn. „Darf ich fragen, wie alt Sie sind? Haben Sie die Vierzig schon überschritten?“
„Längst“, antwortete ich. Und er wies mich ausführlich auf die Gefahren hin, die ein solch harter Sattel für die Prostata darstellte. „Wie viel fahren Sie denn so?“
„Auf meinen Fahrradreisen sind das in zwei Wochen schon mal tausend Kilometer.“
„Sie sollten unbedingt zum Urologen gehen“, meinte er mit ernster Miene, „ab einem gewissen Alter sollte man(n) sich untersuchen lassen.“
„Hm“, nickte ich zustimmend.
„Und auch den Darm“, fügte er ergänzend hinzu. Er hatte vergeblich an meinem Sattel mit dem Spezialwerkzeug herum geschraubt. Offenbar war das Gewinde der Einstellschraube kaputt.
Der Fahrradhändler wurde nicht müde zu betonen, wie wichtig es für mich sei, einen Urologen aufzusuchen, um meine Prostata checken zu lassen. Inzwischen stand eine Kundin bei uns, und mir war das Gespräch leicht peinlich. Ich bedankte mich und wand mich zum Gehen. „Ich fahre gleich mal zum Urologen“, verabschiedete ich mich grinsend. Wahrscheinlich wollte er mir nur einen neuen Sattel aufschwatzen. Ich radelte weiter zum Supermarkt.
Meine letzte Prostatauntersuchung fand 2006 in der Urologie statt, mittels eines Ultraschallstabes. Ich erinnere mich noch gut, wie ich mich über die Krankenliege bücken musste und der Arzt mir den Stab rektal einführte. Ein Assistenzarzt schaute interessiert zu … (hust!) Damals musste es sein. Ich hatte eine Epiditymitis und war froh, dass man mir half. Toll fand ich diese Untersuchung wirklich nicht. Obwohl angeblich die Prostata das Pendant zum weiblichen G-Punkt darstellt.
Wer weiß - vielleicht entdecke ich noch durch einen Urologen … neue Freuden.
Inzwischen googelte ich nach dem Zusammenhang Fahrradsattel und Prostata und konnte erfahren, dass der Fahrradhändler gar nicht so unrecht hatte. Radfahren auf einem harten Sattel kann tatsächlich unangenehme Auswirkungen haben: es kann Ursache einer Prostatitis sein, und es kann zu Erektionsstörungen und sogar zur Impotenz führen. (Schon mal was vom nervus pudendus gehört?) Meine Virilität will ich freilich nicht durch einen zu harten oder falschen Fahrradsattel gefährdet sehen. Das gibt mir dann doch zu denken.
Auch ohne den Fahrradhändler weiß ich, dass ich mal wieder zu meinem Hausarzt gehen sollte. Der wird mir sagen, welche Vorsorgeuntersuchungen für einen ins Alter gekommenen Jungen wie mich langsam fällig werden.
Am Brooks Sattel halte ich aber vorerst fest. Wir waren in den letzten Jahren ein gutes Team.
Die Erde sei nur eine Reality-Show für Ausserirdische. Es lief South Park, als ich in der Nacht aufwachte. Ganz schön abgefahren. Die Idee hätte von mir sein können. Ich träumte von einem Supermarkt, durch den man schwimmen konnte wie in einem Hallenbad. Zwei Schwule hatten sich Lutscher in ihre Hintern gesteckt; und nur die Stiele schauten aus dem Wasser, als sie durch die Regalreihen schwammen. Wir lachten uns kaputt. Im Traum.
Heute Morgen sagte ich Dir Guten Morgen. In vier Tagen komme ich. Mal sehen, was das wird mit uns. Eine Freundin von Dir lud Dich zum Essen ein in Annenheim am Ossiachersee. Sie ist es Dir noch von einer alten Wette schuldig. Ich denke an Dich. Manchmal hasten wir in Sekundenschnelle eine Treppe hoch, und ein andermal stehen wir vor zwei Stufen, die uns unüberwindbar scheinen.
Vielleicht sind die Sterne am Himmel nicht wirklich. Sie sind viel zu weit weg, um wirklich zu sein.
Ich spüre deine Hand, wie sie in der meinen liegt. Ich blicke in die Zukunft wie durch ein Fernrohr. Ich sehe uns nebeneinander im See schwimmen (ohne Lutscher in unseren Hintern) und lachen. Mein Herz klopft. Die Liebe ist ein Stern, den man sich vom Himmel holen muss. Nur manche Tage scheinen die Sterne viel zu weit weg.
Was war das eigentlich für eine Wette? Verrätst Du es mir?
Ich habe zwar ab und zu Probleme mit meinem Selbstwertgefühl, aber ich bin nicht plemplem.
Das ging mir spontan durch den Kopf, als ich vorhin auf dem Klo saß. Es verletzt mich, wenn man mir mangelndes Einfühlungsvermögen vorwirft. Ich weiß gut, dass ich nicht immer richtig liege mit meinen Einschätzungen. Drum lenke ich normalerweise ein, wenn verschiedene Ansichten aufeinanderprallen – nachdem ich meine Sichtweise (nochmal) in ruhigem Ton erklärte. Zum Kuschen bin ich nicht geboren. Auf der anderen Seite will ich nicht besserwisserisch auftreten. Ich weiß nicht, ob`s immer klappt. Sicher bin ich ein Dickkopf.
Also, ich weiß nicht, wie ich es erklären soll. Ich suche nach einem Bild. Ein Mensch macht mir zum Vorwurf, dass ich alles, was er sagt, ins Gegenteil verkehre. Dabei ist es nicht so. Ich schwöre! Ich bin doch nicht plemplem. Aber ich bin ziemlich verunsichert. Und als verunsicherter Mensch suche ich Schutz, ziehe mich zurück. Was bleibt in einer Diskussion noch zu sagen, wenn einem subargumentativ der Wind aus den Segeln genommen wird? Wir hören oder lesen halt oft nur das, was wir wollen.
Ich bewege mich im Nebel. Schritt für Schritt. Konturen erscheinen und verschwinden wieder. Ich finde eine Hand und sie löst sich wieder von der meinen. Ich rudere mit den Armen im Nebel herum. Es ist kein Spiel. Ich muss weitergehen. Immer weiter. Wo bist Du? Wo ist überhaupt irgendwas?
Wenn alles Schimären sind, kann ich mich genauso gut ins Bett legen und meinen Tod abwarten. Dazu höre ich Hard Rock – zum Beispiel die alten Deep Purple. Ich verliere die Orientierung und betäube mich. Es ist das Einzige, was ich kann. Ich sagte bereits, dass ich Probleme mit dem Selbstwertgefühl habe. Aber ich bin nicht plemplem.
Scheiße. Der Tag verdüstert sich. Der wuchtige alte Baum vor meinem Fenster raunt mir Dinge in seiner Sprache zu. Wir schauen uns einfach nur an. Was weiß ich schon vom Leben? Was weiß ich von den Gedanken anderer Menschen, von ihren Sehnsüchten? Der alte Baum weiß viel mehr als ich. Bestimmt wird sich der Himmel bald erleichtern, und ich muss auch wieder aufs Klo. Richtig düster ist es jetzt, am frühen Nachmittag. Und plötzlich ist es still ...
Muttertag, ich weiß, ich sollte meine Mutter anrufen. Vielleicht mache ich`s auch noch. Ich sollte sie so oder so anrufen. Aber ich drücke mich vor diesen Gesprächen, weil ich vor ihren Klagen Angst habe. In meiner Brust ist ein Knoten. Ich denke an die Aussagen meiner Kolleginnen, dass sie ihre Eltern niemals in ein Altenheim abschieben würden. Oft höre ich solche Aussagen, die in Richtung hingebungsvoller Pflichterfüllung und lebenslanger Dankbarkeit den Eltern gegenüber zielen. Kommt das wirklich aus dem Herzen, oder ist es der Druck der Gesellschaft und näheren sozialen Umgebung? „Ehre deine Eltern“ steht schon in der Bibel als Gebot. Ich sage ganz ehrlich, dass es mir lieber wäre, ich könnte das Thema Eltern einfach ausblenden. Warum müssen sie alt und krank werden? Wie soll ich ihnen helfen? Habe ich wirklich eine Schuld ihnen gegenüber zu begleichen? Die Antworten auf diese Fragen muss wohl jeder mit sich selbst ausmachen. Jedenfalls ist es eine ziemlich beschissene Bredouille. Ich habe Angst vor einer größeren Nähe zu meinen Eltern. Ich habe Angst davor, dass alte, lange vergangene Geschehnisse und Gefühle wieder hochkochen. Ich habe Angst vor den Klagen meiner Mutter und ihrer Leidensgeschichte. Mein Vater, obwohl kränker, erträgt es dagegen scheinbar stoisch und unaufgeregt. Ich habe Angst vor ihren Erwartungen an mich, die nie klar ausgesprochen wurden, aber die irgendwie im Raum stehen.
Als ob ich nicht genug eigene Probleme habe. Aber okay, das sind meine Probleme, mit denen ich meiner Umgebung nicht auf den Geist gehen will. Jedenfalls nicht in dem Sinne, als könne mir da jemand weiterhelfen. Seit 25 Jahren lebe ich alleine und kämpfte mich mehr oder weniger gut durchs Leben. Ich hatte nie große Ansprüche und Ziele. Ich lebte nach dem Grundsatz „Carpe Diem“ (genieße den Tag). Die Zukunft interessiert mich bestenfalls in der kurz- bis mittelfristigen Vorherschau. Wenn es mir schlecht geht, ziehe ich mich zurück. Da ich aber sowieso ziemlich zurückgezogen lebe, merkt das kein Schwein. Und nun sind meine Eltern alt und werden bald Hilfe brauchen, und ich bin der einzig verfügbare Angehörige.
Heute ist Muttertag. Ich sollte sie anrufen.
…
Ich hatte meine Eltern an der Strippe. Sie klangen einigermaßen gutgelaunt. Das Gespräch mit der Mutter drehte sich wie meist hauptsächlich um ihre Erkrankungen. Sie hatte die letzten Jahre Knieprobleme. Das Knie erholte sich wider Erwarten ... etwas. Gut. Ich sprach die Problematik meines Vaters mit seiner Demenz an. Aber ich merkte, dass sie das Thema nicht vertiefen wollte. Und ich wollte ihr den Tag nicht verderben. Sie fragte mich, wann ich wieder nach Kärnten (zu meiner Freundin) fahre. Nächste Woche, antwortete ich. Sie erfragte nichts näheres. Das Gespräch blieb oberflächlich, plattitüdenhaft.
Immerhin rief ich an. Gedanken kann ich keine lesen. Natürlich bin ich froh, dass es akut keine größeren Schwierigkeiten gibt. Wir verabschiedeten uns freundlich. Das Unausgesprochene blieb unausgesprochen. Womöglich sind sie doch ein wenig stinkig, dass ich mich so selten melde und vorbeischaue.
Es kommt, wie`s kommt. Wir hoffen, dass das Schicksal es gut mit uns meint.
Es bereitet mir leichtes Magengrummeln, wenn ich darüber nachdenke, wie vor einer meiner großen Radtouren. Die ersten Schritte gehe ich bereits, denn
diese Reise ist mehr als nur eine Reise. Sie bedeutet, an einem anderen Ort, bei anderen Menschen, in einer neuen Heimat anzukommen. Am Anfang sieht der Weg noch sehr weit aus mit all den Hürden, die man bewältigen muss. Zig Ungewissheiten liegen vor mir: die neue Arbeitsstelle, eine kleine Wohnung, der Umzug, die Reaktion der Eltern, das Kündigen des alten Arbeitsplatzes, das Zurechtfinden und Eingewöhnen am neuen Ort unter noch fremden Menschen … Inzwischen mache ich die ersten Schritte, indem ich
sie so oft wie möglich besuche, mich umschaue, mit ihr plane, mich mit ihr freue, ihre Kinder kennenlerne, auf gemeinsamen Unternehmungen Vertrautheit zu ihnen entwickele, auch einfach nur die Liebe genieße …, denn die Liebe ist es, die es mich wagen lässt. Ohne die Liebe würde ich nicht davon träumen. Wir wollen es. Ich fühle mich aufgenommen in ihrem Zuhause. Sie hilft mir. Auch für sie ist es ein Wagnis. Im März besuchte ich sie zum ersten Mal. Wir kennen uns noch nicht lange. Und doch ist das
Pflänzchen schon unglaublich gewachsen, - gleichsam mit der Natur im Frühling. Es füllt mich aus. Ich trage es in mir, auch wenn wir nicht zusammen sind. Wir fließen wie zwei Flüsse zusammen ... und suchen uns ein gemeinsames Bett.
Ich werde übersiedeln. Über die Alpen – in die Alpen. Ich kann es manchmal selbst nicht recht glauben. Alles erscheint noch unwirklich. Wie fernes Meeresrauschen. Ängste mischen sich in die Euphorie, aber ich kenne mich: wenn ich mal auf ein Ziel, das mir lieb ist, losgegangen bin, lasse ich mich so leicht nicht mehr beirren.
Vor uns liegen noch Monate der Planung und Vorbereitung, sowieso des gegenseitigen Abtastens und Kennenlernens. Der Alltag läuft parallel dazu. Die Sonne scheint zu mir herein, heute Vormittag, Anfang Mai. Aufbruchstimmung. Zum Wegträumen. Die Sehnsucht als Wegweiser.
Plötzlich fällt mir ein, dass ich im Traum sang. Ich hatte es sogar im Kopf aber einfach wieder nach mehrmaligem Aufwachen am Morgen und Hin- und Hergewälze vergessen. Leider kann ich mich nicht mehr an den Text erinnern. Ich weiß, dass ich ihn quasi beim Singen selbst dichtete, also improvisierte, ebenso die Melodie. Ich war selbst im Traum überrascht, dass ich singen kann, dass sich meine Stimme so melodisch anhörte. Ich hatte einen Zuhörer. Oder war es eine Zuhörerin? War es ein Kind?
Wem sang ich dieses Lied?
Eine Bande von Jugendlichen wütet im Haus meiner Eltern. Und ich bin dabei, muss alles mitansehen. (Keine Ahnung, was ich im Haus meiner Eltern mache. Meine Eltern sind nicht da.) Erst waren es nur zwei, drei, und nach und nach wurde es eine ganze Horde. Ich will die Burschen rausschmeißen, aber sie lachen mich nur aus, werden immer unverschämter: schlagen sich den Bauch voll, gebärden sich wie die Schweine und verwüsten die Wohnung. Ich renne ihnen hinterher, packe mir zwischendurch einen und zerre ihn zur Eingangstür. Große, kräftige Kerle sind dabei, gegen die ich kaum eine Chance habe. Auch sind es zu viele. Ohnmächtig schaue ich auf ihr schamloses Treiben und fühle mich verantwortlich. Schließlich ließ ich sie wohl arglos ins Haus. Ich weiß gar nicht, warum. (Mein Gott, was werden meine Eltern zu der Verwüstung sagen? Sie steckten so viel Arbeit und Liebe in das Haus.) Ich will die Polizei rufen. Kaum habe ich gewählt, zerschneidet einer lachend das Telefonkabel … Mein Herz klopft heftig, ich wache auf.