Arbeitslos

Freitag, 16. Januar 2015

Ohne Titel


Ich huste mir die Seele aus dem Leib. Der deutsche Winter bescherte mir eine saftige Erkältung.
Die Agentur für Arbeit schrieb in ihrem Aufhebungsbescheid: „Sobald Sie wieder arbeitsfähig sind, melden Sie sich bitte sofort erneut arbeitslos.“ Ich fand den Wisch in meinem Briefkasten, als ich von Gran Canaria zurückkam. Heute formulierte ich den Widerspruch. Ich mache mir keine Hoffnungen. Sollen sie sich die Paragraphen in ihre Haare schmieren! Vor vier Monaten meldete ich mich arbeitslos und sah keinen einzigen Cent. Stattdessen kostete mich die Auseinandersetzung mit der Agentur für Arbeit eine Menge Nerven und Porto. Ich gab meine Stelle im Altenheim nicht auf, um mich mit diesen Ärschen herum zu ärgern. Aber gut. Eine positive Erfahrung hätte mein ganzes Weltbild zerstört. So passt wenigstens weiterhin alles gut zusammen.
Es regnet Bindfäden. Das Wasser spritzt lustig aus der Lache in einem Untersetzer, der schief im Dreck steht... Wie gebannt starre ich auf die Tropfen, die an der Unterseite der horizontalen Gerüststange vor meinem Fenster kleben, und warte, dass einer fällt...




Donnerstag, 18. Dezember 2014

Der Deutsche Winter


Mir fehlt das Tageslicht. Aber ich lasse die Rollläden bewusst unten. Um mich herum hämmern, bohren, kratzen, scharren die Handwerker. Sie laufen an meinen Fenstern vorbei. Sie laufen übers Gerüst. Ein Verkehr ist das! Das Haus bekommt eine Dämmung. Dutzende von Dämmplatten müssen zurechtgeschnitten und montiert werden. Ich fühle mich wie eine Ratte in der Falle. Überall diese Männer mit den schweren Schuhen und den schmutzigen weißen Hosen. Dumpf höre ich ihre Stimmen. Mein Gott, was für eine Schweinearbeit!
Gestern klopfte die Mutter des Vermieters bei mir an und stellte sich vor. Sie betreut die Baustelle unter der Woche, während der Hauptschullehrer unterrichtet. „Ich warnte den Jungen“, sagte sie, „aber er wollte das Haus unbedingt kaufen ...“ Hinter ihr stand ein in die Jahre gekommener Heizungsmonteur in blauem Kittel. „Wir wollten nur Bescheid sagen, dass wir nachher das Wasser abstellen müssen.“
Seit Beginn der Woche ist einiges los im Haus. Regelmäßig flüchte ich darum im Laufe des Vormittags in die Stadt. Der Dezember hatte bisher nicht viel Sonne. Die schönen Stunden kann man an einer Hand abzählen.

Ich sitze bei heruntergelassenen Rollläden an meinem Schreibtisch und schaue zur Ablenkung auf eine Berichterstattung im TV. Sebastian Edathy soll sich öffentlich äußern. Wer sich erinnert – es geht um die Kinderpornografie-Vorwürfe, die zu Beginn des Jahres nicht nur politisch Wellen schlugen. Er spricht darüber im Rahmen einer Pressekonferenz … und im Untersuchungsausschuss. Die Vorgänge um diese Affäre erscheinen mir ziemlich dubios. Was erwartet man in diesem Fall noch an Aufklärung?
„... nicht moralisch aber legal ...“, sagt Herr Edathy auf die Frage eines Journalisten.
Das Doofe ist, dass offensichtlich niemand der Fragenden das Corpus Delicti genauer kennt. Mir kommt es so vor, als würde wiedermal etwas aufgebauscht, weil es sich um eine ehemalige politische Persönlichkeit handelt. Und beim Stichwort „Kinderpornografie“ schrillen sowieso alle Alarmglocken. Ich kann als Beobachter dieser Affäre nicht beurteilen, ob die Vorwürfe gegenüber Herrn Edathy Hand und Fuß haben. Er wirkt auf mich sehr arrogant (vielleicht Selbstschutz?) … nicht gerade ein Sympathieträger. Letztlich wird ein Gericht urteilen, ob er sich in irgendeiner Weise schuldig machte. Die von ihm gekauften Filme sind gar nicht Teil der Anklage, sagt er im Zuge einer weiteren Antwort. Da soll noch einer durchblicken … Er will im Untersuchungsausschuss reinen Tisch machen. So so. Politischer Sumpf. Vielleicht eine Aufrechnung gegenüber seinen ehemaligen Kollegen. „Ich habe nichts mehr zu verlieren“, sagt Herr Edathy ...

Nach wie vor jede Menge Geklopfe bei mir im Haus. Bald sollten die Handwerker Mittagspause machen. Ich hoffe es.
Kaum zu glauben, dass ich in drei Tagen in Gran Canaria sein werde. In der Sonne und am Meer!
Ich beschenkte mich selbst mit dieser Reise. Die Feiertage werden sich dort hoffentlich besser ertragen lassen. Ich muss dringend heraus aus diesem Mief. Wenigstens für ein paar Tage.
Deutschland im Winter ist einfach grauenhaft!




Freitag, 12. Dezember 2014

Lüften


„Hier ruht in Gott … Hanna G. ... aus Hotzenplotz, Sudetenland … 1876 – 1956“
Ich öffne das Fenster zum Lüften und blicke auf den schwarzen Granit des Grabsteins, den der frühere Hausbesitzer zurückließ. Er kam zum Vorschein, als der neue Besitzer das Grundstück vom Dickicht befreite. Sicher wurde die Grabstelle vor Jahren aufgelöst und der Stein mitgenommen. Ich rechne kurz im Kopf und komme zu dem Schluss, dass es sich hierbei um die Urgroßmutter handeln solllte. Sie starb, als dieses Haus gebaut wurde.

Über mir wird gebohrt und gehämmert. Nachdem gestern der Verputzer noch mal bei mir war, hoffe ich, dass ich vorerst keine Handwerker mehr in der Wohnung haben werde.
Ein junges Ehepaar kaufte diese „alte Burg“. Nächstes Frühjahr will die Familie einziehen. Sie haben zwei Kleinkinder. Das eine dürfte erst in diesem Jahr das Licht der Welt erblickt haben. Sie waren wegen des Mietvertrags bei mir. Ein viertel Jahr ist das schon wieder her. Seitdem sah ich nur noch ihn an den Wochenenden. „Im nächsten Leben werde ich Handwerker“, sagte er mir nicht ohne Sarkasmus in der Stimme. Er ist Hauptschullehrer. Er wolle sich hier abarbeiten, hatte seine Frau damals lächelnd gesagt, das Baby wiegend auf dem Arm.
Nach den ersten Sanierungsarbeiten schälte sich immer deutlicher heraus, was man wohl in der ersten Kaufeuphorie übersah oder nicht sehen wollte - obwohl eine Architektin begutachtend und beratend zur Seite stand: Dieses Haus ist eine Bruchbude, und die Sanierung wird wesentlich teurer werden als geplant. „Dafür bekamen sie es fast geschenkt“, sagte der frühere Hausbesitzer, als ich ihn vor Tagen in der Stadt traf. Er ist froh, dass er dieses Erbe seiner Großeltern los ist.
Am letzten Wochenende begenete ich dem Hauptschullehrer wie gewohnt. Sein Gesicht war grau und müde. Er schlich mit dem Fotoapparat ums Haus. Wir besprachen kurz die für mich wesentlichen Dinge. Ich sah ihm seine Verbitterung deutlich an.
Nachdem ich nun neue dichte Fenster habe, muss ich öfter lüften als früher. Er legte es mir nahe. Sonst käme der Schimmel. Selbstverständlich, meinte ich. Er tat mir leid. Hoffentlich zerbricht seine junge Familie nicht an diesem ganzen Scheißdreck ...

Ich stehe am geöffneten Fenster und schaue auf den schwarzen Granit. Er lehnt am Mäuerchen der Grundstücksbegrenzung. Kühle erdige Luft durchströmt die Wohnräume. Ich amte tief durch.





Mittwoch, 10. Dezember 2014

Dreck


Große schwere Flocken fallen. Noch nicht Schnee, nicht mehr Regen. Ich blicke auf das Baugerüst vor meinem Fenster. Ich erfasse die Szenerie dahinter: Der Himmel ein schmutziges Leintuch über einem Berg von Dreck. Immergrünes Efeu umrankt den alten Baum, die Äste von Moos belegt - wie Adern zeichnen sich Äste und Zweige ab. Dazwischen Tannengrün und braune Blätter, die leblos an den Zweigen verharren. Baulärm dringt von der Straße hoch zu mir. Der Verkehr staut sich an einer provisorischen Ampel. Im TV läuft der Bundesparteitag der CDU. Ich schalte nicht um. Ich lasse die Reden über mich ergehen. Alles ist denselben Naturgesetzen geschuldet. Ohne Ausnahme. Selbst Krankheiten wie der Mensch (oder wie der CDU). Niemand kann das Schmuddelwetter abschaffen.
Ich nehme das beschriebene Blatt aus der Schreibmaschine, zerknülle es und schmeiße es in den Papierkorb zu den anderen Knäueln meiner heutigen Gedanken. Nein, doch nicht. Ich sitze am Computer. Ich lasse den Scheißdreck stehen. Ich hänge fest.

Der Orthopäde war ein Schwergewicht, groß und beleibt. Mitte Fünfzig schätzte ich ihn. Mein Rücken und meine Hüfte wurden (gestern) geröntgt. „Ich kann Ihnen bescheinigen, dass schwere körperliche Arbeit bzw. schweres Heben für Sie nichts ist“, sagte er. Ich hatte ihm im Vorfeld kurz von meiner jahrelangen Altenpflegetätigkeit und meiner derzeitigen Arbeitslosigkeit erzählt. Nachdem er mir in Fachchinesisch meine Rücken- und Hüftprobleme erklärt hatte, hob er auf meine persönliche Situation ab. Er fragte nach meinem Schulabschluss. „Sie sind als Altenpfleger geistig unterfordert. Machen Sie eine Ausbildung zum Pflegedienstleiter. Nehmen Sie keine zu lange Auszeit. Sie kommen sonst nicht mehr zurück in Ihren Beruf. Sie werden es nicht mehr schaffen. Das sagt die Statistik. Glauben Sie mir. Was wollen Sie denn sonst machen? Rufen Sie die Rentenversicherung an, denn die ist dafür zuständig. Lassen Sie es nicht schleifen. Natürlich bescheinige ich Ihnen, dass Arbeiten wie in der Pflege für Ihren Rücken Gift sind. Bis zur Rente wird es Ihr Rücken nicht durchhalten … Sie sprachen von Depressionen und Burnout. Gehen Sie zu einem Psychotherapeuten. Sie müssen sich entscheiden. Mehr Verantwortung übernehmen oder bis zur Rente buckeln und Popos wischen. Mir geht es doch nicht anders. Was wollen Sie denn sonst machen? Ein halbes Jahr – das sagt die Statistik … Ich meine es nur gut. Man muss sich ab und zu selbst in den Arsch treten.“
Ich hörte den Ausführungen des Arztes, die einer väterlichen Predigt ähnelten, geduldig zu, ohne großartig zu widersprechen. Mein Gott, der Typ war kaum ein paar Jahre älter als ich und sah aus wie Scheiße. Okay, er war nicht unsympathisch. Sicher meinte er es ehrlich. Ganz unrecht hatte er auch nicht. Versacken will ich schließlich nicht. Doch er weiß überhaupt nichts von mir – mal von den Röntgenbildern und den paar Sätzen, die ich ihm zu meiner Situation sagte, abgesehen. Soll er seine fuckin` Arbeit als Orthopäde machen!
Schön, das hatte ich also auch hinter mir. In meinem Kopf sausten die Gedanken hin und her.

Inzwischen läuft im TV die Verleihung des Friedensnobelpreises. Pakistanische Musiker spielen auf. Die Preisträgerin ist die 17-jährige Malala. Das honorige Publikum klatscht. Der liebe Gott lächelt. Die Welt zieht sich eine Maske der Gutmütigkeit und des Verständnisses über. Wir sind alle eine große Familie. Ich fühle mich an Festreden im Altenheim erinnert. Mir wird schlecht …

Donnerstag, 4. Dezember 2014

Es bringt nichts


Die Baustelle hält an. In der Wohnung und vor der Tür. Seit drei Wochen. Die Handwerker lassen sich Zeit, und mein Vermieter zuckt mit den Schultern: „Sie haben doch gewusst, als das Haus verkauft wurde, was auf Sie zukommt.“ Nein, das wusste ich eben nicht. Er sagte in den Vorgesprächen, dass die neuen Fenster und die neue Eingangstür eine Sache von ein oder zwei Tagen wären.
Mittags stehle ich mich aus dem Haus, bevor der Verputzer kommt. Gestern war er gar nicht da. Also heute dasselbe Spiel – in der Hoffnung, dass etwas gemacht wurde, wenn ich am Abend zurückkomme. Nachmittags treibe ich mich fast täglich in der Stadt herum. Ich laufe die „Idiotenrennbahn“, wie die Eingeborenen die Fußgängerzone nennen, einmal rauf und runter und steuere ein paar Stationen an, d.h. Kneipen. Einige Stunden kann ich damit verbringen. Der städtische Trubel hängt mir schon zum Halse raus. Es weihnachtet sehr! Zum Kotzen …, aber was bringt`s, wenn ich mich darüber aufrege? Es bringt ebenso wenig, mich darüber zu echauffieren, dass der Verputzer nicht da war. Mein Blutdruck ist zu hoch. Mein Hausarzt schrieb mich die dritte Woche krank. So komme ich um die Termine von der Agentur für Arbeit herum, die mir regelmäßig ins Haus schneien. Altenpfleger werden gesucht – selbst wenn sie halb tot sind.
Menschen hasten auf der Idiotenrennbahn aneinander vorbei, mit Einkaufstüten behangen. Ich laufe im Zick Zack, um nicht zu kollidieren. Ich werde auch zum Idioten: Tunnelblick, die Hände in den Taschen vergraben, die Gesichtszüge verkniffen, der Blick auf die Uhr. Wer treibt mich nur so?
Der Himmel ist grau. Die feuchte Kälte findet ihren Weg durch die Kleidung. Ein klammes Gefühl. Nur in Bewegung bleiben. Ablenkung. Die Gedanken abgehackt. Mein Herz sei hyperkinetisch, meinte der Kardiologe. Nichts dramatisches. Nehmen Sie mal einen Betablocker. In geringer Dosierung … Blicke treffen mich wie Nadeln. Ich schieße Nadeln zurück. Ein gezwungenes Lächeln, dann und wann. Ich denke an meine Nachtdienste. Den Druck bin ich los. Nein, ich bin ihn nicht los. Noch nicht. Ich rudere herum, will mich frei strampeln. Scheiß auf die Agentur für Arbeit!
Ich weiß: Das Altenheim ist nur Teil eines viel größeren Sumpfes. Ein Happyend verbietet sich. Überall lauern die Kräfte, die mich herunterziehen. Ich biege von der Idiotenrennbahn ab in eine Gasse. „Petit Paris“ heisst das Bistro. Ich steuere einen freien Platz an, suche den Blick der Bedienung ...

Samstag, 22. November 2014

Baustellen


Der neue Vermieter schleicht ums Haus, beäugt und bewundert, was er schon alles schaffte.
Das Haus ist seit ein paar Wochen Baustelle, und ich bin der einzige Bewohner. Heute morgen sagte er mir, wie es weiter geht. Nächste Woche soll die Terrasse gefliest werden und die Fensterbretter kommen. Solange werde ich noch Dreck in der Wohnung haben. Ich putze nur das Gröbste. Es macht nicht viel Sinn. Fast jeden Tag hatte ich die Handwerker in der Wohnung. Gestern montierten sie die Rollläden. Jetzt am Wochenende habe ich endlich etwas Ruhe. Die letzten Tage flüchtete ich regelmäßig am frühen Vormittag und kehrte erst gegen Abend zurück.
Ich sitze am Computer. Die Sonne bemühte sich über den Bergkamm und schickt mir ihre Strahlen durch die neuen Fenster. Ich höre Baggerlärm … Sie rissen die Straße gerade unterhalb des Hauses auf, keine 20 Meter entfernt. Ich befinde mich inmitten von Baustellen. Ich selbst bin zur Zeit eine, bzw. ich fühle mich wie eine, spätestens seitdem ich Anfang der Woche beim Arzt war. Ich benötige Atteste für die Agentur für Arbeit. Am Ende wird sich herausstellen, dass ich tatsächlich ein Wrack bin. Es sieht ganz danach aus, als wäre auch ich sanierungsbedürftig ...





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