Betriebsarztbesuch


Der Betriebsarzt wechselte, und ich musste nach einem Jahr wieder hin dackeln. Wieder wurde mir Blut abgenommen; wieder wurde festgestellt, dass mein Blutdruck zu hoch ist. Wen wundert`s.
„Das können wir nicht so lassen“, sagte er, „wir wollen doch, dass Sie noch eine Weile bei uns arbeiten.“
„Noch 17 Jahre“, erwiderte ich, „in diesem Beruf.“
„Sie wollen das Rentenalter auf 69 erhöhen“, sagte der Betriebsarzt und blickte kalt durch seine Brille. Es gibt Menschen, in deren Anwesenheit ich mich unbehaglich fühle. Ich versuchte mir nichts anmerken zu lassen.
„Grüßen Sie Herrn P von mir, wenn Sie ihn sehen“, meinte er abschließend. Herr P ist mein Chef. Die passen gut zueinander, dachte ich im Rausgehen.
Ich statte Ärzten ungern Besuche ab. Sie entdecken immer was, und die wenigsten sind mir sympathisch. Verdammt, das ist doch mein Körper! Den stelle ich ungern zu Untersuchungszwecken aus. Ich finde die Sichtweise der Ärzte auf den Menschen meist entwürdigend. Man wird zur Sache degradiert. Dieser schien mir zu jener Sorte zu gehören, die an der menschlichen Seite wenig bis gar nicht interessiert ist. Dummerweise braucht man die Quacksalber dann doch irgendwann.
Also werde ich brav bei meinem Hausarzt einen Termin wegen der Hypertonie ausmachen, - um mir sagen zu lassen, was ich sowieso weiß. Und wenn ich schon mal dabei bin, kann ich gleich noch bei meinem Zahnarzt anrufen. Eine Plombe fiel mir aus einem Weisheitszahn. Ich hasse es, wenn mir ein Fremder im Mund herumfuhrwerkt. Hoffentlich lässt sich die Prozedur auf einen Zahnarztbesuch beschränken.
Mit solch unangenehmen Gedanken verließ ich das Krankenhaus, in dem der Betriebsarzt sein Büro hat. Es regnete leicht. Es war kalt. Es war auf den Tag genau Frühlingsanfang. Als ich vor einem Jahr den Betriebsarzttermin hinter mich gebracht hatte, war mein Schritt beschwingter. Ich war frisch verliebt. Eine Fehldiagnose, wie sich schmerzhaft herausstellte. Nun hatte mich die kalte Realität im Griff. Der neue Betriebsarzt gehörte dazu. Wenigstens könnte wirklich endlich Frühling werden. Alle Menschen reden davon. Wäre es möglich, dass ein Jahr ganz ohne Frühling vergeht?
Ich drehte eine Runde durch die Stadt. In einem Buchantiquariat schaute ich nach einem Buch von Allen Ginsberg, fand aber keins. Stattdessen erstand ich von Friedrich Glauser „Beichte in der Nacht – und andere Erzählungen“. Auch nicht schlecht. Eine broschierte Ausgabe aus Zürich von 1967.
In einer Kneipe las ich Bukowskis „Ein schlampiger Essay über das Schreiben und das verfluchte Leben“. Hat sich schnell gelesen. Genau die richtige Länge für ein Bier. Über Ginsberg schreibt er darin: „Seit Whitman hat uns in der amerikanischen Dichtung keiner mehr so die Augen geöffnet wie Allen Ginsberg. Und dieser kleine jüdisch-kommunistische Homo, wie ihn mal ein rotznäsiger Kritiker genannt hat, schreibt 99,8% von euch angeblichen Schwergewichtlern jederzeit an die Wand.“
Wird Zeit, dass ich mir ein Buch von diesem Ginsberg zulege. Ich freue mich auf Bücher, die meinen Geist anregen und nicht langweilen. Davon gibt es nicht viele. Man muss den Betriebsärzten, den Herrn Ps und den Liebeslügen dieser Welt etwas entgegenstellen.

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