Hitler lebt


Kann es das Böse überhaupt geben? Ich meine, es ist doch alles Natur. Selbst der Mensch in seinem Irrlauf ist doch Natur. Vulkanausbrüche betrachten wir normalerweise als Schicksal und nicht als böse. Ebenso Massenkarambolagen im Nebel - wir fuhren halt alle zu schnell. Ein Schuldiger ist nicht mehr auszumachen.

Trotzdem gibt es viele Ereignisse, in denen uns das Böse geradezu anschreit: egal ob als Hitler, als Kinderschänder oder als Mob, der zur Lynchjustiz schreitet ... Vorm Bildschirm erliegen wir tagtäglich der Faszination von Verbrechen, Krieg, Zerstörung ..., Grausamkeit und Horror. Es gibt kaum ein Thema, welches unsere Phantasie mehr herausfordert. Warum?
Es muss, glaube ich, etwas damit zu tun haben, dass wir immer jemanden brauchen, der an unserer Misere schuld ist. Dabei geht es nicht nur um die Zuweisung von Schuld aufgrund einzelner Unglücksfälle ... Es ist mehr als das. Wir brauchen Sündenböcke, um den Wert unseres Lebens in ein strahlendes Licht zu stellen. Und hierzu sind natürlich die Außenseiter und Sonderlinge einer Gesellschaft wie geschaffen. Manche Volksgruppen tragen den Stempel „Sonderling“ wie ein Mahnmal über viele Jahrhunderte vor sich her, andere werden stracks auch mal dazu gemacht ...
Obwohl wir eigentlich längst aus Vernunftsgründen wissen, dass - nicht nur vor Gott - sondern auch einfach aus einer der Vernunft abgeleiteten Empathie heraus alle Menschen gleich sind, lassen wir uns immer wieder von Neuem irritieren. Von den Sarrazins, und wie sie alle heißen. Egal ob in Deutschland, Österreich, der Schweiz, Frankreich - ja, europaweit gibt es diese Hetzer und Menschenverächter.

Vor wenigen Tagen verfolgte ich im TV eine Dokumentation über den Neonationalismus in den USA. Nicht zu glauben! Ich war echt perplex darüber, dass sich in Amerika glatzköpfige Faschisten zusammenrotten und „Heil Hitler!“ schreien. Es ist grotesk. Es ist, wie wenn ich meine Mutter verrate ...
Einfach scheußlich. Wie können Menschen derart böse werden? Rassistische Ideen widersprechen jeder fortschrittlichen Kultur. Natürlich haben wir mitunter Angst vor den Fremden ... Doch jeder Fremde und sogar der Feind ist und bleibt nur ein Mensch - wie du und ich. Das Böse gibt es nur in unserer Vorstellung. Wir projezieren es in die Mitmenschen hinein, weil uns Demut und Brüderlichkeit zu viel abverlangen. Und anstatt den Schwarzen Peter bei uns selbst zu suchen, handeln wir in archaischen Mustern „Auge um Auge, Zahn um Zahn“ und werfen leichtfertig unsere ethischen Bedenken über Bord. (So geschehen z.B., als die USA gegen den Irak und Afghanistan in den Krieg zogen - Europa mitriss ...)
Das Böse ist nicht wiederum mit Bösem zu bekämpfen. Aber alle Weisheiten der Vergangenheit sind plötzlich nur Schall und Rauch. Offensichtlich ist das Böse wie ein Nebel oder wie ein Virus, der in die Menschen kommt, wenn nur gewisse Voraussetzungen gegeben sind - so als würde man Tinte in ein Wasserglas tröpfeln ...
Die Dunkelheit breitet sich aus. Niemand ist vor ihr gefeit.

Dennoch glaube ich, dass man sich Macht seines Geistes dagegen wehren kann. Liebe und Vernunft können den Menschen retten. Im Kleinen wie im Großen.

Wir müssen den verhängnisvollen Kreislauf durchbrechen.

creature - 02. Dez. 10, 15:47

völlige zustimmung.
als bei uns gestern einige wichtige autobahnen wegen dem schnee und der unfälle gesperrt wurden fanden sich viele kommentare in den onlinmedien die die unfähigkeit des strassendienstes beklagten, und das in sehr drastischen ausdrücken. (wappler, penner, etc)
wo ich hinsah waren schneepflüge unterwegs, aber so schnell konnten die gar nicht sein, und hinter ihnen war wieder alles vollgeschneit.
je unzufriedener wir mit unserer existenz sind umso mehr suchen wir schuldige, und finden sie auch.
hat ein krieg jemals was verbessert?
ja, es gab meist einen gewinner, an die opfer denkt man nicht oder verklärt sie als helden.

hitler lebt in uns, bei den meisten als zwerg der nichts zu melden hat, aber manche erheben ihn zu ihrem meister!

bonanzaMARGOT - 02. Dez. 10, 16:14

hallo creature

hitler konnte ja erst hitler werden, weil es ihn in uns, in den Menschen bereits gab.
bonanzaMARGOT - 02. Dez. 10, 18:30

In diesem Sinne würde auch eine andere Nationalhymne passen: "... der alte Holzmichel ..., ja, er lebt noch, er lebt noch!"

Lange-Weile - 06. Dez. 10, 17:03

Das Böse in mir...

Hallo Bo.,

ich erinnere mich an diesen Moment ganz genau. Damals war ich ein Kind und übte einen Anschlag auf eine befreundete Familie meiner Eltern aus. Der Anschlag war natürlich PillePalle - eben kindgemäß - aber für mich war er damals mächtig gewaltig. Bis zum heutigen Tag weiss ich nicht, warum ich es tat - das Verlangen war wie ein Impuls, dem ich nichts entgegen setzen konnte. Ich hatte damals ein Stück Teer in der Hand - es war Sommerhitze - und damit beschmierte ich in einem unbeobachteten Moment die Haustür der Familie. Ich wußte damals, ich tat was schlechtes, etwas, was gegen die Regeln verstieß, doch tat ich es.

Später unterhielten sich die Erwachsenen über den Vorfall. Ich hörte ihnen zu wie aus einer anderen Welt. Ich war die Böse, über die man sich unterhielt. Jedoch wußte nur ich, dass ich die Böse bin, niemand sonst. Doch das hatte mir dann doch nicht gefallen und ich beschloss, mich nicht mehr auf die dunkle Seite des Bösen zu stellen. Ich wollte, dass man mich so wahr nimmt, wie ich es bis dato gewohnt war. Aber man nahm mich auch als "liebes Kind" wahr.

Ich glaube, das Böse wird oft genutz, um von der Gesellschaft wahrgenommen zu werden. Und mit faschistischen Gedankengut und Handlungen wird der Mensch nicht nur wahrgenommen, sondern er kann sich einer Reaktion der Gesellschaft darauf sicher sein. Das trifft sicher für viele Mitläufer zu, die sich in den Strom mit reinreißen lassen, wenn man an die Protestwähler denkt, die aus Frust wegen der Arbeitslosigkeit ihre Stimme dem rechten Flügel geben.

Vielleicht würden die Rechten ihren Schrecken verlieren, wenn man sich über sie lustig macht. Damit ist der Kreislauf von "Zahn um Zahn" durchbrochen. Aber sicher ist leicht dahin gesagt, was schwer zu machen ist, so wie dieser Komiker mit dem Terrosimus umgeht:

Achja - Das Böse in mir - ich las das Buch vor Jahren. Ein Versuch eines Psychologen der Auswirkung der Unerhrlichkeit der Erwachsenen gegenüber Schutzbefohlenen nachzugehen. Aus seiner Sicht macht Menschen auch Böse, wenn sie in Kinderzeit z.B. eine Elternliebe erfahren, die gespielt wurde, d.h. die Kinder bekamen widersprüchliche Informationen. Das gesprochene Wort stand im Widersprunch der Wahrnehmung. Ich fand diese Betrachtung spannend.

Gruß LaWe

bonanzaMARGOT - 06. Dez. 10, 19:41

hm, in der kindheit war ich auch oft genug böse. wenigstens vergaß ich es nicht. denn ich habe das gefühl, dass viele meiner mitmenschen ihre bösen taten verdrängen - oder beschönigen.
kleintiere hatten nichts zu lachen, wenn sie mir, damals 10-jährig, in die hand fielen: egal ob käfer, heuschrecken oder kröten ...
ich weiß nicht, warum ich damals diese tiere quälte und dabei eine gewisse lust empfand. ich hatte als kind sadistische phantasien, die ich befriedigte, indem ich "horror comics" las, oder indem ich mit kriegspielzeug spielte, oder eben diese tiere jagte und quälte ...
als ich dann langsam in die pubertät kam, vermischten sich meine sadistischen phantsien mit sex. ich hätte de sade mit 15 lesen können ...

ich weiß zwar nicht, wie es bei anderen "buben" ist, aber ich glaube, dass die meisten nicht viel anders empfinden. manche gingen sogar noch viel brutaler zu werke. sie quälten nicht nur tiere sondern ihre mitschüler ...
ich war im gymnasium auch eine zeit lang opfer und gehörte zu den außenseitern, die von den klassen-machos psychisch und physisch gequält wurden.
eine lange geschichte ..., wozu auch noch meine damalige familiäre situation zu erörtern wäre.

was ich sagen will, lawe, ich glaube, dass das böse in uns allen irgendwie angelegt ist. als kind erleben wir es einfach animalisch und ohne große selbstreflektion. doch wenigstens schämte ich mich ...
von klein auf war ich eigentlich eine hochmoralisch aufgestellte person. ich mochte lange nicht lügen - und so kann ich mich sogar noch an meine erste lüge den eltern gegenüber erinnern. da war ich, glaube ich, fünf oder sechs jahre alt.
ich denke, dass meine erste lüge dem bösen die tür öffnete ...
danach fühlte ich mich zusehends in einer welt der lügen, unaufrichtigkeiten und heuchelei verstrickt.

im pubertären alter fing ich an, das alles zu reflektieren, und ich wollte wieder ein ehrlicher und wahrhaftiger mensch sein ...
so begann ich das gedichte schreiben.
ich nahm den weg auf, den ich heute noch verfolge: wenn ich das böse schon nicht auslöschen kann, dann will ich es wenigstens identifizieren ...
ich mache dabei vor niemandem halt - nicht vor meinen eltern, meinen freunden, meinen lieben ... und selbstverständlich nicht vor mir selbst.
dabei überfordere ich oft genug meine umwelt. und manchmal auch mich.

theorie: unter umständen wird man gerade durch solche guten vorsätze zum außenseiter.

egal. ich habe eine menge menschen geliebt. es machte nichts aus, wenn sie böse waren. aber ich wollte halt, dass sie es vor sich selbst zugeben können ...

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