david ramirer - 05. Mai. 19, 17:53

was ist "faulheit" eigentlich?
meist wird damit die zeit markiert, in der sich ein mensch zeit für sich selbst nimmt. also im grund das macht, was die meisten, sogenannten "fleissigen" menschen nahezu gar nicht machen - und dann oft alle im chor darüber klagen, dass sie zu wenig zeit in ihrem leben haben... meist hört man das wehklagen dann auch am ende dieser fleißigen leben: "das leben war so kurz! hätte ich doch noch ein paar jahre."

die soziale gesellschaft impft ein schlechtes gewissen ein, wenn sie die zeit, die ein mensch für sich selbst nützt, als "faulheit" brandmarkt, weil sie meint, anspruch auf die zeit der menschen zu haben.
aber wir geben schon genug zeit in der arbeit her - es braucht nicht auch noch die freizeit sein.

ich stehe zu meiner "faulheit", ich stehe dazu, dass ich mich die meiste zeit um mich selbst kümmere und nicht den anschein erwecken will, ständig aktiv zu sein.
denn ich habe keine sekunde von meiner zeit zu verschenken - und ich werde am ende nicht sagen: hätte ich doch mehr zeit gehabt. - denn ich hatte mehr als genug, und ich nutzte sie auch. für mich.

...und die fleißigen beneide ich weder, noch bewundere ich sie.
die meisten tun mir leid.

bonanzaMARGOT - 07. Mai. 19, 04:55

in einer leistungsgesellschaft ist faulheit relativ klar definiert.
als fleißig und vorbildlich gilt, wer brav arbeiten geht, wer sich außerdem noch weiterbildet, wer nebenher sport treibt, zudem ein schönes hobby hat, sparsam ist, gesundheitsbewusst lebt, seine familie liebt, immer das gesetz achtet, brav seine steuern zahlt, die vaterländischen pflichten erfüllt, sich für politik interessiert, wählen geht, auf ein eigenheim spart, sein auto regelmäßig putzt, überhaupt reinlich und ordentlich ist, seiner ehefrau im haushalt zur hand geht, die ehelichen pflichten erfüllt, zeit für seine kinder hat und sie im sinne der leistungsgesellschaft erzieht "das leben ist schließlich kein ponyhof"...
außerdem soll man möglichst flexibel und mobil sein.
david, wir (fast alle) wurden von klein auf darauf konditioniert, leistung zu bringen. wenn wir durchhängen und einfach keine lust zu garnichts haben, erzeugt dies ein schlechtes gewissen bei uns. nur nicht faul sein, d.h. nur nicht trödeln, den lieben gott einen guten mann sein lassen, lästige dinge auf den nächsten tag verschieben, fünfe gerade sein lassen, abhängen, in den tag hinein träumen, schlampig sein, in kneipen rumhängen...

ich lebe nicht gern nach den vorgaben der leistungsgesellschaft, aber ich kann mich dummerweise nicht völlig ausklinken, weil ich miete zahlen muss, mich ernähren muss, auch mal ein bier trinken will, ab und zu neue kleidung brauche oder ein neues fahrrad, in urlaub fahren will, mir anderen doofen schnickschnack leisten will...

stimmt, das leben ist verdammt kurz. das merke ich, umso älter ich werde, im besonderen maße. ich wollte freier sein von all den äußeren zwängen und vorgaben, schaffte es aber nicht. selbst in dieser hinsicht bringe ich es nicht. wie ich es sagte, mir fehlt der ehrgeiz... ich bin hoffnungslos faul.
david ramirer - 07. Mai. 19, 09:33

du gibst mir recht - wir wurden konditioniert. aber konditionierungen kann man durchbrechen, und wenn das nicht geht, umwandeln. von völligem ausklinken hab ich nicht gesprochen - aber das schlechte gewissen, wenn man abseits der arbeit für die leistungsgesellschaft sich zeit für sich selbst nimmt, das kann man verkleinern, denn es dringt in einen bereich ein, der einem ganz alleine gehört / gehören sollte.

und ich sagte nicht, dass das leben zu kurz ist. zumindest meines nicht - denn ich nutze meine zeit für mich und mir ist wirklich scheissegal, wie das die leistungsgesellschaft wahrnimmt.
bonanzaMARGOT - 08. Mai. 19, 05:55

wenn man in der tretmühle steckt, kann man schwer den damit verbundenen druck und die schlechten gefühle ignorieren, außer man identifiziert sich mit dem ganzen. das kann ich nicht. aber ich kann mich auch nicht ausklinken..., solange es in meinem leben derart viele berührungspunkte mit dem kapitalistischen leistungs-system gibt, nicht nur die arbeit betreffend. wir sind doch auch in der freizeit, in kunst und kultur damit umgeben. ich müsste mich total in eine selbstgezimmerte krankhafte einsamkeit zurückziehen, um diesem einfluss zu entgehen. ich würde zu gerne wie du sagen "das ist mir scheissegal!".
die konditionierungen habe ich schon lange durchbrochen - genau deswegen tut es so weh, in dieser materialistischen, kapitalistischen, unmenschlichen und ungerechten welt zu leben.

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