Die Kiste
Seit sie weg ist, räumte ich das ein oder andere um. So auch eine Kiste mit Postkarten und Briefen, die ich in die Rumpelkammer verbannt hatte und nun wieder auf dem Regal im Wohnzimmer einen Platz fand. Man könnte die Kiste als die Schatztruhe meines Liebeslebens bezeichnen. Die darin versteckten Zeugnisse reichen fast vier Jahrzehnte auf der Zeitschiene zurück. Die Kiste ist inzwischen proppenvoll, und ich überlege mir, ein größeres und schmuckeres Behältnis anzuschaffen. Aber wer weiß, ob noch viel hinzukommt… Handgeschriebene Postkarten und Briefe sterben langsam aber sicher aus. Auch kann ich mir momentan nicht vorstellen, dass sich bei mir in Liebesdingen noch viel tun wird. (Oder gängiger ausgedrückt: Ich bring`s nicht mehr.) Im Nachhinein betrachte ich es als ein Wunder, dass es diese Kiste überhaupt gibt – ihr bloßes Vorhandensein stellt mich vor ein Rätsel. Wie kam es zu diesen Begegnungen? Wieso wurde Liebe draus? Und wieso blieb es nicht Liebe?
Natürlich ist es nicht das erste Mal, dass ich darüber nachdenke, auch schwirren ein paar Antworten in meinem Kopf herum. Doch sie lösen alle nicht das Rätsel. Sie kreisen lediglich drumherum.
Nein, ich hadere nicht mit meinem Schicksal. Vieles lief besser, als ich gedacht hatte. Es reichte immer, um mich halbwegs über Wasser zu halten. Als Alkoholiker hielt ich mich ziemlich gut. Darum ließen sich die Frauen auf mich ein, bis sie sich eingestehen mussten, dass ich… immer ein unverbesserlicher Schluckspecht bleiben würde. Einen Menschen gibt es eben nur als Gesamtpaket. Ich machte ihnen nie etwas vor. Doch sieht der Mensch nur, was er sehen will. Das ist der Blues des Lebens. Oder der Scheiß, mit dem wir bis zum Schluss kämpfen müssen.
So gesehen gäbe es eine einfache Antwort: Der Alkohol! Es ist die beste Antwort für die oberflächliche Gesellschaft. Die Klischees werden bedient, und die scheinheiligen Moralisten sagen in belehrendem Tonfall: Siehst du, das kommt davon…
Meine letzte Liebe akzeptierte im Großen und Ganzen meine Trinkerei. Es schien so, als ob sie mich wirklich so nehmen würde, wie ich bin. Im Gegenzuge bemühte ich mich, es nicht auf die Spitze zu treiben. Vielleicht überschätzte sie sich. Und ich vernachlässigte mein Bemühen…
Das Scheitern all dieser Lieben - es ist beklemmend. Versagen und Glück liegen dicht nebeneinander, über Jahre hinweg aufgeschichtet wie bei einer archäologischen Ausgrabung. Der Strom der Zeit reißt mich unaufhaltsam mit. Die Kiste schwimmt neben mir. Ich blicke immer mal zu ihr rüber… und weiß nicht, was ich denken soll.
bonanzaMARGOT
- 28. Apr. 18, 13:04
- boMAs Gedichte und Texte