Ein Dreiviertel Leben
Ich kann in meiner Vergangenheit lesen wie in einem Buch. Seit 1980 dokumentiere ich mein Dasein. Gedichte und kurze Prosatexte lassen meine damaligen Gedanken, Gefühle und Erlebnisse wiederauferstehen. Das meiste davon liegt auf meinen Blogs parat – ein Dreiviertel Leben, in das ich hinabtauchen kann, indem ich einfach eine beliebige Jahreszahl in die Suchmaske eingebe. Dann und wann treibt es mich zu solchen Stippvisiten in meine Vergangenheit – unwillkürlich, vielleicht wie heute aus Langeweile. Ich stöbere herum, lese manche Texte an, springe zum nächsten, schaue auf das Entstehungsdatum und bin positiv überrascht. Scheiße, denke ich bei manchen Textpassagen, ich war richtig gut damals! Auch erfasst mich ein gewisser Stolz, dass ich über all die Jahre mir selbst in den grundlegenden Aussagen und Empfindungen treu blieb.
Aber was treibt mich bis heute an, diese Gedichte und Texte zu verfassen? Dokumentieren sie doch meist nur Zweifel und Verzweiflung, Angst und Alltagshorror, Provokation und Auflehnung – ein Mensch, der in die Welt gefickt wurde und nicht aufhören kann, blöde Fragen zu stellen… Wie kann es sein, dass sich meine Mitmenschen mit dem Schauspiel zufriedengeben, das ihnen vorgesetzt wird (?) Ich wunderte mich bereits in der Sandkiste über meine Spielkameraden. Zumindest, wenn ich meine wachen Momente hatte. Schließlich verfiel ich wie jeder andere auch der Gier und dem Spiel mit der Gier. Damals schrieb ich noch keine Gedichte und kann also lediglich aus meiner Erinnerung abschätzen, wie ich tickte.
Der Kuchen ging auf. Ich wurde groß (178 cm). Immerhin. Aber eigentlich begann da erst die richtige Fragerei – wieso es auf der Welt läuft, wie es läuft. Muss man alles als gegeben hinnehmen?
Das mit den Naturgesetzen konnte ich halbwegs akzeptieren, aber was wir Menschen anstellten, das war doch nicht fix! – wir hatten es doch in der Hand, ob wir Kriege führten -, ob wir unsere Mitmenschen und die Natur ausbeuteten, oder nicht (?) In was für ein Scheiß Spiel wurde ich da hineingeboren? Und die meisten machten mit! Angepasst und unkritisch. Überall auf der Welt derselbe spießige Affentanz. Ich sah mich mit einer Herde von Oberschlaumeiern konfrontiert, deren Ansinnen ich nicht kapierte, die mich menschlich abstießen, aber die über die Welt, wie ich sie tagtäglich wahrnahm, bestimmten. Ich musste meinem Befremden demgegenüber Ausdruck verleihen. Selbst wenn`s niemanden interessierte, was ich schrieb. Für mich war diese Spiegelung ungeheuer wichtig. Ich fühlte mich dabei als Renegat. Es ging mir nicht um eine künstlerische Leistung, sondern um meine ganz eigene Wahrnehmung, dass ich geistig vorhanden war! Es gab mich nicht nur als Zombieprodukt einer Gesellschaft, - einer Tradition, Ideologie, Religion oder sonst vorgebeteten Geisteshaltung.
Ich musste diesen Weg beschreiten, auch wenn er unweigerlich in die Einsamkeit mündet. Wenigstens habe ich mich. Das sage ich ganz ohne Selbstmitleid. Ich kann die Welt nicht ändern – schon lange kapiert. Wohl streift mich ab und zu das Gefühl der Ohnmacht wie der eisige Atem eines Gespensts… dann weiß ich: es ist wiedermal Zeit für ein Gedicht.
bonanzaMARGOT
- 29. Mär. 18, 11:04
- boMAs Gedichte und Texte
Aber manchmal entdecke ich Bilder, und die Erinnerung ist durchaus ausreichend.
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Einiges kann ich sehr gut nachvollziehen. Die gewisse Frustration, wie die Menschen funktionieren, kann nicht vergehen. Es nährt meine Überzeugung, dass die Ausprägung des menschlichen Gehirns nicht ausreichend ist, um mit den Trieben fertig zu werden. Deswegen auch meine apokalyptische Grundeinstellung.
Als ich jung war, hat mir mein Vater gesagt, dass der Mensch nur vom Dreieck Sex, Macht und Geld getrieben wird. Wobei die drei nicht unabhängig voneinander funktionieren. Ich fand das eine sehr negative Einstellung, doch gebe ich ihm recht.
Wenn Du über Oberschlaumeier schreibst, kann ich dir nur sagen, dass die richtigen Schlaumeier nicht bestimmen. Ich glaube, die suchen sich wie ich eine Nische, in der sie ein gutes Leben führen können.
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Kunst ist, wie ich es sehe, etwas Echtes. Deswegen tu ich mich so schwer mit meinem Buch. Denn bei einem Wettstreit zwischen dem echten Künstler und einer künstlichen Intelligenz kann ich noch keinen richtigen Konsens ausmachen. Und weil ein Künstler halt leider auch ein Mensch ist, ist er mit den Deffizienzien der menschlichen Natur ausgestattet. Aber ich werde das schon noch hinbekommen :)
@steppenhund
@ steppenhund
Warum die Menschen sich auf der Erde als solch verlogene Arschlöcher gebärden, darauf habe ich keine einfache Antwort. Das Dreieck, welches dein Vater erwähnte, ist eigentlich ein Zweieck, weil Geld im Großen und Ganzen als Miitel der Macht anzusehen ist. Was bleibt, sind also Sex und Macht. Diese zwei Komponenten bestimmen durchaus viel, können aber nur durch die Akzeptanz einer dummen willfährigen Masse ihre Wirkung entfalten.
Erklären lässt sich dies in meinen Augen vor allem dadurch, dass wir prinzipiell alle Arschlöcher sind - mehr oder weniger große, je nachdem welche Gelegenheiten sich schicksalhaft auftun. Über Moral will ich erst gar nicht anfangen zu reden. Die existiert seit jeher weitgehend als Alibikonstrukt und dient nur bei wenigen als echte Messlatte für ihr Handeln.
Prost!