Alles nicht so einfach


„Wir verlassen jetzt San Francisco und fahren nach Monterey, immer am Pazifik entlang. Ich habe Sonnenbrand“, stand in der Mail, die mir R & W die Tage schrieben. Ich gönne ihnen die USA-Reise von Herzen. Schön, wenn man sich im Leben den ein oder anderen Traum erfüllt, bevor es zu spät ist. R & W gehören nicht mehr zu den jüngsten.
Erst vor wenigen Monaten war ich in die Lektüre von „On The Road“ vertieft. Die Bilder daraus sind mir noch vor Augen. Jack Kerouac, sein Freund Neil Cassady und die ganze verrückte Bande…, - freilich, das waren damals andere Zeiten. Aber auch heute lockt noch das Abenteuer des „Unterwegs seins“, eng verbunden mit dem Gefühl der Freiheit. Dazu dieses riesige und unglaubliche Land Amerika. Ich stelle mir R & Ws Fahrt die Westküste entlang fantastisch vor. Wie weit differieren wohl Vorstellung und Wirklichkeit? Was sah ich nicht alles an Filmen, die dort spielen, oder las Geschichten und Romane, die von dort erzählen. Die Namen der Städte klingen wie Versprechen: San Francisco, Monterey, Los Angeles, San Diego… Der amerikanische Traum hätte nirgendwo anders zum Mythos werden können.
Ich wünsche R & W eine gute Reise, dass sie wohlbehalten ihr Ziel erreichen, die Landschaften genießen, Land und Leute, das Flair der Ortschaften und Städte in sich aufsaugen. Es zählt nur das Hier und Jetzt.
Wie gern würde ich jetzt träumend auf den Pazifik blicken…
Stattdessen hocke ich inmitten des Berliner Häusermeers, ohne Horizont, unter einem eintönig grauen Wolkendach. Berlin ist längst entzaubert und (öder) Alltag. Mein Herz wie eingefroren. Zäh fließen die Säfte des Frühlings. Träge schlurfe ich ins Wochenende, kratze mich am Hintern und denke, dass viel zu viel gedacht und geredet wird. Die Seele kriecht am Boden, erdrückt von der Wirklichkeit der Steuererklärungen und GEZ-Gebühren, erschlagen von tumber Werbung und fadenscheinigen Angeboten, erschöpft vom stumpfen Arbeitsalltag und dem Moloch der Stadt, erledigt von Selbstmitleid, Depressionen, schlechtem Essen und Drogen…
Es ist Mai, und ich warte auf die Sonne wie auf eine DHL Paketsendung. Wie`s aussieht, muss ich sie selbst abholen - und stehe dann Schlange mitten unter den anderen tausenden Wartenden in einer übrig gebliebenen Postfiliale auf den Fidschi-Inseln.

SpeziellesKänguru - 06. Mai. 17, 11:24

wenn nur das hier und jetzt zählt, dann kann es automatisch keinen alltag im negativen sinne des wortes geben. man sieht alles täglich zum erstenmal, denn man hört nie auf zu staunen.

bonanzaMARGOT - 06. Mai. 17, 11:27

ichmeintedasindemsinne: einfachdashierundjetztzugenießen, vor allem wenn hier und jetzt was genießenswertes stattfindet.
SpeziellesKänguru - 06. Mai. 17, 11:29

es gibt immer etwas, was genießenswertes wäre. man muss das nur entdecken können, ist eine kunst an sich.
bonanzaMARGOT - 06. Mai. 17, 11:36

klar. ich kann mir mc donalds schönreden, wenn ich dort sitze. wie ich sehe, müssen sich sehr viele meiner mitmenschen solche fastfood-einrichtungen nicht mal schönreden, weil sie sich dort wirklich wohl fühlen... und so gibt es noch eine menge beispiele, wo ich am liebsten schreien würde: "wer holt mich hier endlich ab!!"
scheiß auf diese kunst, wenn sie damit verbunden ist, dass ich mir was vormachen muss.
SpeziellesKänguru - 06. Mai. 17, 11:46

mit sich was vormachen hat das nichts zu tun - entweder hast du's oder nicht. genauso wie beim essen - entweder schmeckt es dir oder nicht, oder beim musik hören - entweder reißt sie dich vom hocker oder geht an dir vorbei. da kannst du dir absolut nichts einreden.

bonanzaMARGOT - 06. Mai. 17, 11:48

tja - und was ist dann dabei (noch) die kunst?
SpeziellesKänguru - 06. Mai. 17, 11:52

kunst oder begabung oder .. man kann es bezeichnen, wie man will. besteht darin, dass man sich aufrichtig über ganz gewohnte sachen freuen kann. mit der idiotie hat das nichts zu tun.

bonanzaMARGOT - 06. Mai. 17, 12:04

ja, der mensch zeichnet sich in der tat als besonders anpassungsfähig und manipulierbar aus...
ich kann mich auch über ganz gewohnte sachen freuen, z.b. über den sonnenauf- oder untergang, oder den mond und die sterne am himmel. aber eben nicht über mc donalds, immer mehr autos und straßen, immer mehr kapitalismus etc.
eigentlich hasse ich den amerikanischen geist, der die welt überflutet. auf der anderen seite mag ich aber seine offenheit... und seine große ambivalenz.
ich weiß genau, was ich mag, und was ich nicht mag. leider sehe ich auf der welt immer mehr von dem, was ich nicht mag...
dumm gelaufen, würde ich sagen.
ich verzichte auf die begabung, die welt und die menschen als besser anzusehen, als sie sind.
bin ich halt ein idiot.
SpeziellesKänguru - 06. Mai. 17, 12:06

hey, wenn man an einer Sache was gutes sieht, schließt doch nicht aus, dass man die negativen seiten total ausblendet.

bonanzaMARGOT - 06. Mai. 17, 12:09

du meinst: hitler hatte vielleicht schöne beine, und das hätte einem dabei geholfen, ihn insgesamt besser zu ertragen?
SpeziellesKänguru - 06. Mai. 17, 12:21

nein, auf die idee bin ich noch nicht gekommen.

bonanzaMARGOT - 06. Mai. 17, 12:36

es ist offenbar eine frage der sichtweise...
wir menschen unterscheiden uns in den sichtweisen voneinander, darum gibt es nicht gerade wenige probleme... im privaten bereich, in der öffentlichkeit, global.
die welt wird oft zu eng, oder menschen wollen anderen den raum nehmen. manche menschen können sich unterordnen, andere überhaupt nicht. all das führt auf kurz oder lang zu konflikten.
ich lernte für mich das alleinsein, in welches ich mich wie in ein schneckenhaus zurückziehe, wenn mir alles zu viel wird. das ist ein gutes gefühl, wenigstens in sich frieden zu finden.
SpeziellesKänguru - 06. Mai. 17, 12:40

und wo kann man ansonsten frieden, freude, glück etc. finden, wenn nicht in sich selbst?
bonanzaMARGOT - 06. Mai. 17, 12:43

viele präferieren die familie oder ihr land oder einen religiösen glauben. oder ein mischmasch aus allem. oder die gier nach immer mehr und mehr... macht und geld.
SpeziellesKänguru - 06. Mai. 17, 12:47

klar, werden solche verdrängungsstrategien aufgegriffen. aufgrund einer mangelnden reflexion.
bonanzaMARGOT - 06. Mai. 17, 12:53

du wirfst 99% der menschheit mangelnde reflexion vor?
SpeziellesKänguru - 06. Mai. 17, 13:07

auf keinen fall - ich kann ja nur von mir reden, glaubte früher auch so. obwohl ich mir eigentlich immer relativ viel gedanken übers leben gemacht habe. hat scheinbar nicht viel genützt.

bonanzaMARGOT - 06. Mai. 17, 13:14

das ist der punkt: jeder muss für sich selbst rausfinden, was ihm nützt oder nicht.
dabei sind fehler vorprogrammiert.
das menschliche besteht im akzeptieren der fehler und unzulänglichkeiten.
allerdings sollte man noch eine zielrichtung erkennen - eine moral, ein gewissen, eine ethik.
SpeziellesKänguru - 06. Mai. 17, 13:22

da kann ich dir nur zustimmen.
NBerlin - 06. Mai. 17, 21:38

Vergleich

Sehr schöner Vergleich mit DHL und der Sonne. Ich habe hier auch schon Tage auf ein Paket gewartet, auf die Sonne jedoch schon Wochen.
Ja Berlin ist ein Moloch. Die vossische Zeitung schrieb bereits 1921:

" Eines unserer Hauptverdienste ist, daß wir Berlin bewohnen. Das ist sozusagen eine Last, die wir stellvertretend für die ganze Nation auf uns genommen haben. Aber anstatt uns dafür auf den Knien zu danken, sagt man uns ins Gesicht, Berlin sei scheußlich, und wir seien daran schuld. "

bonanzaMARGOT - 07. Mai. 17, 07:05

ja, die anziehungskraft von berlin wird sicher nicht durch seine schönheit erzeugt.
Schreibman - 07. Mai. 17, 13:42

Ehrlich gesagt,

in Berlin möchte ich nicht wohnen. War mal ein paar Tage da, das hat mir gereicht. Köln - das wäre schon eher was. Schöne Grüsse vom Oberrhein!
rosenherz - 07. Mai. 17, 18:55

Ich war noch niemals ... in Berlin. Aber auch nicht in New York, in zeriss'nen Jeans. Dafür in Meggenhofen ;-) und dort hat es mir gefallen.
bonanzaMARGOT - 08. Mai. 17, 05:19

@ schreibman

jede menge kneipen und biergärten, und gestern passte sogar mal das wetter - berlin hat auch seine guten/interessanten seiten. und für mich ist`s momentan ideal wg. job.

grüße in die woche!
bonanzaMARGOT - 08. Mai. 17, 05:24

meggenhofen... da brummt der bär.
diefrogg - 12. Mai. 17, 14:46

hach, und so mancher ...

träumt von einer kleinen Wohnung in Berlin, so für die Wochenenden! Aber ständig da zu sein, scheint auch nicht so das Wahre zu sein.

bonanzaMARGOT - 13. Mai. 17, 08:40

alles verliert mit der zeit, der gewohnheit und der nähe an glanz und abenteuerlichkeit. andere attribute wie sicherheit, geborgenheit und verbundenheit rücken dann in den vordergrund, und dabei stellt sich die frage, ob man das für sich so gut findet.

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