Mittwochs-Zitat

Hier vor allem liegt das Rätselhafte der Schwermut: Wie Leben sich gegen sich selber kehrt; wie die Antriebe der Selbsterhaltung, Selbstachtung, Selbstförderung durch den der Selbstaufhebung so eigentümlich durchkreuzt, unsicher gemacht, entwurzelt werden können. Man möchte sagen, im Wesensbild der Schwermut stehe der Untergang als ein positiver Wert; als etwas Ersehntes, Gewolltes.
(Romano Guardini)

rosenherz - 22. Mär. 17, 09:33

Dein heutiges Mittwochs-Zitat erinnert mich an eine Vortragsrede von Gerald Hüter, dem bekannten Hirnforscher: Wenn wir als Eltern/Lehrer/Erwachsene anfangen, das Kind als Objekt zu sehen, das es zu formen, zu leiten, zu erziehen gelte, zerstört im Kind seine angeborene Lust am Lernen. Und mit ihm die Lust am Leben.

In Wirklichkeit kommt jedes Kind als eizigartiges Kind auf die Welt, das richtig ist, so wie es ist. Kein Kind gleicht einem anderen, wie es sich selbst entwickelt (auch in seiner Hirnfunktion) und sein Spielen (die Welt entdecken) selbstgeleitet gestaltet aus einem inneren Antrieb.

Schwermut erscheint als Gegenteil von Lebensmut und Lebenslust. Erlebt sich das Kind nicht mehr in Beziehung zu seinen Mitmenschen und seiner Umgebung, was durch die Objektivierung geschieht, so entstehen tatsächlich Schmerzgefühle im Organismus, wie die Hirnforschung inzwischen weiß. Aus den empfangenen Schmerzsignalen schließt das Kind als Reaktion auf die durch die Obejektivierung gestörte Beziehung, entweder, dass Mama (Papa, Opa, Oma, Tante, Lehrer, die Welt ect.) blöd sei, oder dass es selbst blöd sei. Vereinfacht ausgedrückt.
Findet das Kind die anderen blöd, beginnt es andere zu manipulieren und für seine Zwecke einzuspannen. In der Erwachsenenwelt werden das dann die Manager und Führungskräfte.
Findet das Kind sich selbst blöd, setzt das den Kreislauf in Gang, wie der erwähnte Guardini im Zitat das Rästelhafte der Schwermut beschreibt: sich selbst entwerten und sich selbst zerstören, als "positiver" Antrieb.

Passenderweise hatte ich dazu gestern ein angeregendes Gespräch mit einer praxiserprobten Kindergartenpädagogin. Ihre Erfahrungen decken sich mit dem. Bereits die Kleinen, Zweieinhalbjährige oder Dreijährige haben keine Lust mehr daran, etwas von selbst zu entdecken oder mit dem zu spielen, das sie in ihrer Umgebung vorfinden. Ihr Verhalten: sich gegenseitig weg tun, Spielmaterialien anderer Kind umwerfen, Spielzeug beschädigen, körperlich (und verbal) verletzendes Verhalten gegenüber dem Kindergartenpersonal und den Eltern. Ein Phänomen, das sich in den letzten ein, zwei Jahren verstärkt zeigt. Immer mehr Kleinkinder zeigen immer weniger Lust am Spielen. - Die Kehrseite der leistungsorientierten Gesellschaft. Es zählt darin nicht mehr der einzelne Mensch in seiner Einzigartigkeit, sondern als leistungserbringende Funktion in einem Staatsgebilde.

bonanzaMARGOT - 23. Mär. 17, 06:11

also die leistungsbezogene erziehung gibt es schon länger. und die erziehungsmethoden waren früher sicher unschöner und weniger pädagogisch. trotzdem wurden, glaube ich, nicht mehr menschen schwermütig als heute. das thema schwermut ist komplexer. da spielen einige faktoren mit: veranlagung, kultur und bildung, milieu, krankheit, traumatische erfahrungen (z.b. gewalterfahrungen) und natürlich die erziehung.
in meiner kindheit hatte ich relativ viel freiheit zum spielen und mich ausprobieren... ich wurde nicht jede minute "geführt", sondern konnte mit meinen freunden herumtoben oder in ruhe mit mir alleine und den spielsachen verbringen.
das traumata durch den schulischen druck freilich setzt mir noch heute nach (ich bin alles andere als ein freund der leistungsgesellschaft). eine gänzlich individuelle und kindgerechte erziehung halte ich für eine utopie...
aber zurück zur schwermut - in meinem fall sehe ich sie als eine veranlagung meiner seele an, ohne die ich sicher nicht ich wäre. ich kenne kein leben ohne eine gewisse schwermut, zumindest im hintergrund. drum fehlt mir oft die leichherzigkeit; und ein optimist bin ich auch nicht gerade, sondern eher ein hadernder geist. für die lebenslust ist das unter umständen abträglich, wenn ich mich in einer phase schwermütiger vergessenheit befinde..., aber wie gesagt, ich kenne mich nicht anders. mein leben wird durch die schwermut nicht unerträglich, sondern gewinnt z.b. an tiefe und ruhe... der erzeugte weltschmerz ist wie ein guter alter bekannter. mit der schwermut ist es wie mit ängsten, die erst dann richtig bedrohlich werden, wenn man sie verdrängt.
rosenherz - 23. Mär. 17, 11:12

Wenn ich dich jetzt richtig verstanden habe, ist die Schwermut für dich nicht nur ein Hadern mit dem Leben, sondern zugleich auch ein persönlicher Gewinn für dich damit verbunden.
bonanzaMARGOT - 23. Mär. 17, 19:08

sozusagen - so empfinde ich es jedenfalls.

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