Plan B


„Briefzusteller gesucht“. Täglich sehe ich die Zusteller an unserer Wohnung in ihren gelben oder grünen Uniformen vorbeiradeln. Noch wäre ich fit genug für diesen Job. Neugierig googelte ich heute nach diesbezüglichen Jobangeboten. Immerhin verdient man als Briefzusteller bis zu 11 Euro 50 die Stunde. Klar, das ist zum Leben zu wenig und zum Sterben zu viel, zumal ich den Job nicht 100% machen wollte. Aber als Zwischenlösung sollte ich diese Option ins Auge fassen. Ob ich nämlich in der Tumordokumentation landen werde, ist nach wie vor ungewiss. Die Anforderungen sind hoch und die Verdienstmöglichkeiten (wie eigentlich überall im Gesundheitssystem) mager. Immer wieder komme ich ins Grübeln: Will ich das überhaupt? Will ich in einem Büro zusammen mit lauter Hühnern (die Dokumentarinnen sind fast alle weiblich) über Krankenakten von Krebspatienten brüten? Fahrradfahren an der frischen Luft erscheint mir dagegen wesentlich gesünder. Umso mehr ich drüber nachdenke, desto reizvoller erscheint mir diese Alternative. Man sollte immer einen Plan B in petto haben.

In zehn Tagen ist Abschlussprüfung. Auch meine Mitschülerinnen atmen auf, wenn es rum ist. Zu viel ist einfach zu viel. Immerhin haben sie schon einen Job – die Fortbildung war als berufsbegleitende Maßnahme für die Dokumentarinnen angedacht. Ich dagegen kam als Neueinsteiger hinzu, der zwar eine Fortbildung zum MDA vorzuweisen hatte doch ohne Berufspraxis. Von der Tumordokumentation wusste ich nur so viel, dass sie notwendig ist und im Zuge des Aufbaus der Klinischen Krebsregister immer mehr an Bedeutung gewinnen sollte. So meine Überlegungen, die mich zu dieser Fortbildung brachten. Die Schulleiterin blies ins selbe Horn – ich fühlte mich in meinem Ansinnen bestätigt. Sie machte mir Mut. Schließlich war noch nicht klar, ob die Rentenversicherung die Kursgebühren tragen würde. Immer wieder wiederholte sie ihr bestes und einziges Argument: Tumordokumentare werden gesucht. Nebenbei ging es ihr natürlich darum, mich als Schüler für den Kurs zu gewinnen. Sie hatte erst vier Teilnehmer(innen).

Heute denke ich: wenn ich gewusst hätte, auf was ich mich da einlasse… Diese ganze fuckin` medizinische tumorspezifische Terminologie gestaltete sich zu einem Horrortrip für mein Hirn.
Aber gut, ich ziehe es durch, zumal die Rentenversicherung nach einigem Hin und Her nun tatsächlich zahlt. Vor ein paar Tagen bekam ich den Anruf von der Hauptgeschäftsstelle. „ ...damit sollte Ihr Widerspruch vom Tisch sein“, sagte die Dame vom Amt säuerlich.

Zehn Tage verbleiben noch zum Büffeln. Ich sollte besser über den Unterlagen sitzen, als jetzt an diesem Beitrag schreiben. Ab und zu schaue ich aus dem Fenster, auf Gehweg und Straße, auf die Hausfassade gegenüber, die Autos und die Menschen. Der Briefzusteller war noch nicht da. Ich warte auf den schriftlichen Bescheid von der Rentenversicherung. Ich warte auf einen Motivationsschub am Wochenanfang.

iGing - 30. Jan. 17, 13:25

Überhaupt Büroarbeit! Und dann auch noch so eine. Puuuhhh!

Mit 18 hab ich mal als Briefzustellerin gearbeitet. War toll, immer an der frischen Luft, in der Sonne (es war ja Sommer!) und kurz nach Mittag mit der Arbeit fertig. Nicht wie in der Plastikfabrik im Nachbardorf, wo ich fast einen Dachschaden bekam von den Plastikdämpfen. Aber halt - neulich traf ich den Briefträger, als er Feierabend hatte: kurz nach 5. Er erzählte mir, die Arbeit sei grade so zu schaffen in der Zeit von frühmorgens an, und kein Vergleich mit früher, als das ein Beamtenjob war. Zusätzlich zu den vergrößerten Zustellungsbereichen haben sich die Zusteller aber auch selber ein Bein gestellt, indem sie mit der Post noch Reklame austragen. Das erschwert die Arbeit, und ob es sich auszahlt, weiß ich nicht.

bonanzaMARGOT - 30. Jan. 17, 14:14

ein traum-job ist briefzusteller sicher nicht in berlin. es kommt wahrscheinlich auch auf den bezirk und das unternehmen an.
aber ich kann`s ausprobieren, falls ich mit der tumordokumentation gar nicht klarkomme.
david ramirer - 30. Jan. 17, 14:28

ich war mal vor 25 jahren für 4 monate briefträger, allerdings in wien. das war im grunde ein ganz netter job, aber ich hätte das "springen" niemals ausgehalten (also immer nur ganz kurz auf einer route eingeteilt sein, dann wieder eine andere, usw. ... das hätte ich etwa zwei jahre aushalten müssen: unmöglich).
abgesehen davon ist aufstehen um 5 uhr auch so gar nicht mein ding ;)

bonanzaMARGOT - 30. Jan. 17, 14:50

am frühen aufstehen würde es bei mir nicht scheitern.
alles andere wird sich zeigen...
steppenhund - 30. Jan. 17, 16:17

Oh, in deiner Haut möchte ich nicht stecken. Die Dokumentationsgeschichte tät mich ja vielleicht interessieren. Doch nicht die Arbeit. Ich wäre interessiert daran, die Programme zu schreiben, die eine leichte Dokumentierbarkeit ermöglichen, und andere, welche die Auswertbarkeit steigern und die Auswertung durchführen können.
Etwas Ähnliches habe ich in der Zeit von 1980 bis 1986 gemacht. Damals konnte ich Blutbilder befunden, weil ich bildanalytische Programme schrieb, die eine ziemlich gute Diagnosesicherheit hatten. Nicht so hoch wie heute, wo die Ärzte selbst bestätigen, das Auswertungen von Hautkrebsverdacht zu 90% richtig erkannt werden.
Und Post austragen? Das wäre nichts für mich. Ich bin jetzt schon zu alt, aber Lokomotivführer könnte ich mir vorstellen. Das tät mich sogar reizen. Für einen Piloten wäre ich nicht gut genug, wäre ich nie gewesen. Koch wäre eine Alternative, aber da müsste ich viel zu viel lernen und viel genauer sein, als ich es bin.
Aber es ist schon einmal gut, dass die Rentenversicherung zahlt. Und irgendwas muss ja gut sein, oder? :)

iGing - 30. Jan. 17, 18:14

Diese ewige Rentenversicherung - wenn die nicht sein müsste, könnte man sich einiges ersparen. Aber wenn sie dann mal zahlt, ist man doch froh. So geht es mir jedenfalls.
bonanzaMARGOT - 31. Jan. 17, 09:00

rühmann flog noch mit neunzig. lokomotivführer ist auch nicht übel... auf so`ner echten alten dampflok natürlich - da könnte ich mir dich gut vorstellen, steppenhund :)
die tumordoku-software ist bestimmt für die programierer eine herausforderung. die dokumentation darin allerdings auch.

nun mal sehen, was aus meinen bewerbungen wird...
ja, es ist eine erleichterung, dass ich die fortbildung nicht selbst löhnen muss. gelernt habe ich jedenfalls eine menge in diesen drei monaten. vorerst halte ich an der tumordokumentation als berufsziel fest..., und wenn ich damit gar nicht glücklich werde -> plan b.
steppenhund - 31. Jan. 17, 10:55

Ich wünsche dir ehrlich, das bereis Plan A funktioniert. möglicherweise kannst du dabei finden, dass es dir gut tut, etwas im medizinisch-ethischen Bereich zu arbeiten. es kann eine große Befriedigung bedeuten.
bonanzaMARGOT - 31. Jan. 17, 11:34

das ganze ist ein morast, auf dem die menschen notdürftig wege anlegen...
C. Araxe - 30. Jan. 17, 20:27

Hört sich doch eher danach an, als wenn die ganze Ausbildung nicht das Richtige gewesen ist. Wenn man mit einem Job nur Geld verdienen will, ist das ja vollkommen O.K. Es gibt ja schließlich noch ein Leben neben dem Arbeitsleben. Und das kann man durchaus als wichtiger einstufen. Aber Zeit in die Ausbildung von einem Beruf investieren, zu dem man eigentlich weder Lust, noch Interesse hat? Entweder würde ich dann gleich einen Job suchen, in dem ich nichts weiter investiere oder mir einen Beruf suchen, bei dem ich Freude und Erfüllung empfinde.

bonanzaMARGOT - 31. Jan. 17, 09:05

da ich schon ein jahr für die fortbildung zur medizinsichen dokumentationsassistenz verwendete, wollte ich auf dieser schiene bleiben. mir fiel jedenfalls nichts besseres ein.
was ist schon das richtige? das weiß man oft erst hinterher.
regelrecht freude und erfüllung, wie du es schreibst, empfand ich noch bei keiner beruflichen tätigkeit (auf dauer).
NBerlin - 30. Jan. 17, 20:40

Ich finde dein Plan B hört sich gut an. Vielleicht machst du das nach der Ausbildung ne Weile um Abstand zu diesem Thema zu finden und dich zu orientieren. Herzlichen Glückwunsch zu Kostenübernahme.

bonanzaMARGOT - 31. Jan. 17, 09:08

danke.
ich werde die bewerbungen abwarten und mich dann... irgendwie entscheiden.
nun aber erstmal auf die prüfungen nächste woche pauken.
SpeziellesKänguru - 31. Jan. 17, 21:35

ein plan b muss immer sein! das ist ein beweis für flexibilität und gewisse intelligenz.

bonanzaMARGOT - 01. Feb. 17, 09:27

es sind ganz einfach praktische gesichtspunkte.

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