Ein totes Pferd kann man nicht reiten
Es reicht für ein oder zwei Flaschen vor der Schule. Die Bedienung hält mir schon das Bier entgegen, wenn ich eintrete. Ich setze mich gern etwas abseits. Ich trinke und schaue raus auf die Sonnenallee. Heute waren etliche abgerissene Figuren in der Kneipe, mit denen ich am besten den direkten Blickkontakt vermeide, weil sie sonst auf mich zu torkeln und mir ein Gespräch aufdrücken wollen. Ich spürte ihre Blicke auf mir. Ein Betrunkener stolperte neben mir und krachte auf den Boden. Die Bedienung forderte ihn auf, nach Hause zu gehen – „Du kriegst nichts mehr.“ Ein alter Säufer grinste mich an: „Das ist der Alkohol.“ Ich nickte stumm und nuckelte an meiner Flasche. Ich genieße das Bier vor der Schule. Ein Stück Freiheit. Was auch immer.
Gut fünf Minuten Fußweg zur Schule. Über den Innenhof, die Treppen hoch in den dritten Stock, nach der Eingangstür der Tresen, auf dem die Anwesenheitslisten der Kurse liegen, in die wir uns eintragen müssen. Der Gutenmorgengruß zur Sekretärin…
Vier Doppelstunden Qualitätsmanagement. Wir waren nur zu fünft in der Klasse. Vier sind krank und zwei steckten im Stau.
Die junge Lehrerin tat sich schwer damit, uns etwas über Qualitätsmanagement zu erzählen. Wir waren im Computerraum, und ich beschäftigte mich nebenbei mit Sudoku und schaute mir im Internet Winterschuhe an.
Eine Klassenkameradin: „Fiel Dir auch auf, dass so viele Penner unterwegs waren? Überall sieht man sie mit den Bierflaschen.“ „Irgendwo müssen sie ja hin“, erwiderte ich.
Monatsanfang. Es gab Geld. Klar, darum waren vorhin so viele in der Kneipe, dachte ich, sie versaufen ihre Stütze.
„Ich sehe schon, ich erreiche Sie heute nicht“, sagte die Lehrerin. Sie ist selbst im Zwiespalt. Sie könne verstehen, warum wir (nach unserer beruflichen Vorgeschichte) dem Qualitätsmanagement abgeneigt gegenüberständen, aber es sei doch trotz allem eine gute Sache…
Dumm nur, dass es diese Kluft zwischen Theorie und Praxis gibt. Ein totes Pferd kann man eben nicht reiten.
bonanzaMARGOT
- 01. Dez. 15, 21:24
- Arbeitslos
Die Geschichte besäße eine große Wichtigkeit und auch Chance, wenn nicht in der heutigen Zeit der Kapitalismus andere Werte weit über Qualität stellt.
Und ein besonders gutes Beispiele wäre die "planned obsolence", also der konsequent herbeikonstruierte Ausfall. Zuerst gab es den bei amerikanischen Autofirmen, die ihre Bestandteile auf 100.000 miles auslegten. Danach sollte ein Auto eigentlich ersetzt werden. - Ich selbst aber freue mich über jede auftretende Katastrophe, bei der mangelnde Qualitätskontrolle zu Disastern führt. (Eine besonders augenscheinliche konnte man am Beispiel Fukushima sehen.) Ich hoffe, dass mangelnde Qualität noch einmal zu einem umfassenden Atomkrieg führt, wonach der Planet Erde von seiner Kinderkrankheit "Menschheit" geheilt ist.
hi steppenhund!
ja, der kapitalismus fördert die unterwanderung von qualität - liegt in der natur der sache.
ich wünsche den menschen nicht, dass sie sich aufgrund ihrer blödheit selbst abschaffen. jedenfalls nicht so schnell. ich will mir das elend noch ein weilchen anschauen.