I remember Joseph Beuys


Lass dich fallen,


lerne Schlangen beobachten, pflanze unmögliche Gärten.
Lade jemanden Gefährlichen zum Tee ein,
mache kleine Zeichen, die "Ja" sagen und
verteile sie überall in deinem Haus.
Werde ein Freund von Freiheit und Unsicherheit.
Freue dich auf Träume.
Weine bei Kinofilmen, schaukle so hoch du kannst
mit deiner Schaukel bei Mondlicht.
Pflege verschiedene Stimmungen,
verweigere "verantwortlich zu sein",
tue es aus Liebe.
Glaube an Zauberei, lache eine Menge,
bade im Mondlicht.
Träume wilde phantasievolle Träume,
zeichne auf die Wände.
Lies jeden Tag.
Stell dir vor, du wärst verzaubert,
kichere mit Kindern, höre alten Leuten zu.
Spiele mit allem, unterhalte das Kind in dir,
du bist unschuldig, baue eine Burg aus Decken,
werde nass, umarme Bäume,
schreibe Liebesbriefe.

Joseph Beuys





david ramirer - 19. Feb. 15, 11:45

ergänzung:

lass dir von niemandem sagen, was du zu tun hast,
nicht einmal von einem filzhuttragenden kunstpapst.

bonanzaMARGOT - 19. Feb. 15, 11:49

logisch. wieso fügst das hinzu? beuys sah sich sicher nicht als kunstpapst.
david ramirer - 19. Feb. 15, 12:03

wer weiß schon, wie er sich sah... ich sah ihn so, und er predigte mehr als genug.
bonanzaMARGOT - 19. Feb. 15, 12:13

er nutzte das forum, das man ihm bot. man muss nicht allem folgen, was er "predigte".
beuys ist in meinen augen ein künstler, der den menschen über den "erweiterten kunstbegriff" die augen öffnen wollte. beuys war ein politischer mensch.
aber er war weder ein missionar noch ein kunstpapst. er sprengte innere ketten... das war sein anliegen (meiner bescheidenen meinung nach) - dafür zolle ich ihm achtung.
david ramirer - 19. Feb. 15, 12:18

unbenommen...
bonanzaMARGOT - 19. Feb. 15, 15:09

kunst ist eben geschmackssache und in gewisser weise auch wieder keine.
david ramirer - 19. Feb. 15, 15:22

seine kunst hat mich nie gestört, die hat zum teil durchaus ihre qualiäten (um geschmack geht es da wirklich nicht).
es ist seine aufgesetzte attitüde, die ich ihm nicht abkaufe, dieses scheinbar ferne, dieses gespielt rätselhafte. manche seiner aussagen haben durchaus gewicht, anderes ist simpler unfug und unfassbar oberflächlicher kitsch... aber seinen jüngern (und da gibt es etliche) ist das egal, die hingen und hängen an seinen lippen, völlig gleichgültig, wie sinnentleert seine aussagen sind, sie werden vergoldet in marmor graviert: DAS stört mich, und da gibt es einige parallelen zu katholischen und anderen päpsten & sektenführern. er hat auf diese weise nicht viel bewirkt, was ich schade finde. er hatte nämlich wirklich potential und zum teil wichtige anliegen - hat aber der verlockung nicht widerstehen können, im zentrum zu stehen, ein vakuum zu sein, macht zu haben... für mich ist er ein grandios gescheiterter. tragisch.
bonanzaMARGOT - 19. Feb. 15, 15:32

ich gehöre nicht zu seinen jüngern.
ich bin jünger von niemandem. und wie ich ihn verstehe, ging es ihm nicht darum, als ein kunst-messias zu erscheinen.
allerdings hatte er wie viele andere menschen ein selbstdarstellungsbedürfnis. bei ihm wirkt es aber auf mich authentisch - gerade dadurch, dass er auch schwachsinn redete.
ich finde es dann gekünstelt, wenn sich menschen übermäßig bemühen, besonders intelligent und perfekt rüber zu kommen. so was nenne ich dann aufgesetzte attitüde.
wie kommst du auf den vergleich mit katholischen priestern?? ich glaube nicht, dass beuys knaben in den popo fickte...
gut, das war nun auch daneben. schließlich ficken nicht alle priester knaben, aber fast alle vertuschen es (im namen der kirche).
beuys vertuschte nichts - er wollte aufdecken; er wollte den menschen aufmerksam auf das eigene innere machen.
so verstehe ich seinen "eweiterten kunstbegriff" ... und so verstehe ich die kunst wie er als wesenlich für die menschliche seele.
tragisch dabei ist nicht der künstler sondern eher die welt, in der er seine kunst macht.
david ramirer - 19. Feb. 15, 15:50

tragisch sind ja nicht seine ideen. für mich ist auch nicht automatisch "gekünstelt", wenn jemand schwachsinn redet (das machen alle menschen von zeit zu zeit, und das ist gut so).
für mich ist gekünstelt (und eben keine kunst), wenn jemand so tut, als ob er schwachsinn redet. ich durchschaue das meist sofort, ab dann interessiert mich das nicht mehr.
JB war sicher sehr intelligent, einige seiner ab- und ansichten teile ich; manche nicht, und mit ihm als "figur" kann ich gar nichts anfangen.

"stars" wie er haben anhänger, und wenn "stars", so wie er "manifeste" und andere texte hinterlassen, dann bilden sich jüngerschaften heraus, anhänger. das ist etwas armseeliges. selbst künstler wie JB, die ja sogar gerade das eigene in jedem menschen thematisieren und auch erwecken wollten, scheiterten dann an der mythenbildung... an der herdenbildung.
auch er.
bonanzaMARGOT - 19. Feb. 15, 15:56

jeder mensch, der einen bleibenden eindruck (meinungsbildend) hinterlasse will, muss in kauf nehmen, dass er fans hat aber auch jene, die ihn ganz und gar nicht mögen.
ich bin kein beuys-kenner und schon gar nicht ein beuys-versteher. er ist aber aus meiner perspektive einer der menschen, die etwas wagten..., die zumindest zeitweise ketten sprengten, die gegen die spießigkeit und für die kunst sowie die freiheit der menschlichen seele eintraten.
solche menschen kann es meiner meinung nach nicht genug geben. ich kann nicht beurteilen, wie sehr beuys sich dabei selbst inszenierte.
mein eindruck ist: ich finde ihn gut.
david ramirer - 19. Feb. 15, 16:07

wie schon gesagt: unbenommen...
bonanzaMARGOT - 19. Feb. 15, 16:09

also, beuys ist mir z.b. lieber als andy warhol.
david ramirer - 19. Feb. 15, 16:12

kann ich verstehen.
aber die masche war die gleiche...
bonanzaMARGOT - 19. Feb. 15, 16:22

der damalige medien-hype war zeitweise ähnlich, aber sie hatten doch grundverschiedene ansätze. kapiert hat das wahrscheinlich niemand. wie es oft bei künstlern ist. niemand interessiert sich wirklich für ihre kunst - wenn sie mal im "olymp" angelangten. das ist dann wirklich die tragik des künstlers, der vielleicht gar nicht gefallen will ... und dann zusehen muss, wie sein werk vermarktet bzw. verramscht wird.
in den kunsthochschulen kriegt man dann von den profs so einiges erzählt. auch das interessiert eigentlich niemanden. man muss sich das halt antun, um weiterzukommen... schließlich entwickelt man selbst irgendwelche abstruse theorien zu allem möglichen.
so häuft sich ein scheißhaufen auf dem anderen, und es nimmt kein ende.
david ramirer - 19. Feb. 15, 16:34

idealerweise geht man zu dem scheißhaufen nicht zu nahe hin (eben wegen dem geruch, von dem wir oben schon sprachen).

aus der ferne sieht man das wesentliche dann besser:
- die idee der sozialen plastik: mit der kann man was anfangen.
- der ansatz, die (nicht nur kunst-)akademien für jeden zu öffnen: auch heute noch eine wichtige idee.
- seine "multiples" - kunst, die jeder kaufen kann. gute idee, aus dem dadaismus weitergedacht... aber eben genau hier beginnt sein scheitern.
- die anderen aktionen, installationen und zeichnungen: sehr ästhetisch und inzwischen klassiker.

es gibt kein einziges kunstwerk von JB, das heute ein mensch mit auch nur halbwegs normalem einkommen sich leisten könnte. selbst die primitiven holzschachteln kosten fantasiebeträge, egal was an idee dahinterstand und egal wie viele es davon gibt. der kunstmarkt hat längst alles ad absurdum geführt, was an seinen sozialen und politischen ideen da gewesen ist, das liegt aber (meiner meinung nach) nicht nur am markt, aber das spielt keine rolle.

warhols ansatz war insofern anders, als er den markt mit in seine themen hineingenommen hat, seine eigene starhaltung mitgebaut und rundumverwirklicht hat. JB und AW sind insofern aufeinander abzubilden, als beide sehr politisch waren, auf ihre art. wenn JB sagt "jeder mensch ist ein künstler", dann sagt warhol "jeder kann für 5 minuten ein star sein".
kein wunder, dass sich beide sicher gut verstanden haben...
bonanzaMARGOT - 19. Feb. 15, 16:45

als künstler ist man ebenso spielball der verhältnisse wie jeder andere. als künstler ist man kein gott. aber man hat die freiheit, sein inneres, also seine kunst, zur diskussion zu stellen. wenn man damit erfolg hat, hat das nicht notwendigerweise etwas mit dem wert der kunst zu tun.
unter umständen bekommt man eine größere plattform, um seinen unsinn unters volk zu bringen. (wobei ich mich dann frage, wie beuys ordentlicher professor wurde...)
egal. ich mag den universitären betrieb an sich nicht. aber er gehört eben auch zu den gesellschaftlich akzeptierten wertigkeiten. schlimm finde ich, dass man inzwischen in unserer gesellschaft kaum noch etwas wert ist, wenn man diese beruflichen laufbahnen (z.b. akademisch) nicht durchschritt.
so sieht eine arschkriechergesellschaft aus. man ordnet sich den strukturen unter.
aber beuys lehnte sich gegen die strukturen auf. das macht ihn mir sympathisch. er wollte den menschen als einen revoluzzer sehen, der die kunst und die freiheit in sich entdeckt.
dass er mit diesem ansatz scheiterte, ist, wie bereits gesagt, nicht seine tragik sondern die tragik unserer materialistischen, kapitalistischen welt.
bonanzaMARGOT - 19. Feb. 15, 16:56

ausserdem würde er es gar nicht als scheitern sehen. denn ein scheitern in der kunst ist a priori ausgeschlossen.
david ramirer - 19. Feb. 15, 16:57

a priori ist in der kunst überhaupt nichts ausgeschlossen... und wenn es kein scheitern geben kann, dann ist das, was dabei herauskommt, langweilig.

over and out.
bonanzaMARGOT - 19. Feb. 15, 17:10

was in der kunst langweilig oder nicht ist, muss jeder betrachter für sich entscheiden.
selten finde ich alles von einem küntler spannend. das wäre auch überirdisch.
manche künstler beeindrucken mich eben mehr als andere - ebenso wie mich meine (ganz normalen) mitmenschen unterschiedlich beeindrucken.
das scheitern eines künstlers kann es nur in einer menschlichen dimension geben - nicht aber als künstler. als mensch scheitern wir in vieler hinsicht. z.b. in der liebe. oder im beruf. oder wir scheitern an den von uns gesetzten zielen.
als künstler, wie ich die kunst verstehe, schließt sich ein scheitern aus, denn die kunst schafft sich ihren eigenen raum. sie ist nicht teil einer vorgegebenen struktur. sie baut sich ihre eigene wirklichkeit. wenn sie nicht verstanden wird, bedeutet dies nicht, dass sie darum nicht wirkt... sie wirkt wenigstens als ein produkt des künstlers - wie ein kind, das neu geboren wird aber vielleicht (wegen einer behinderung) sogleich wieder stirbt. dieses kind hatte trotzdem seine wirklichkeit. es besitz so viel wert wie jeder von uns. wir machen doch den wert eines menschen nicht von seinem lebensalter oder seiner gesundheit abhängig? und ebenso gibt es für die kunst a priori keine wertigkeit. die wertigkeit erzeugt die gesellschaft mit ihrem kapitalistischen kasperletheater.

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