Samstag, 8. Oktober 2016

Die Nacht heilt


Heirat, Heimat, Heißa! Ich lag im Bett und fragte mich nach der Etymologie von Heirat. Das Licht war bereits ausgeknipst. Es gibt so viele Wörter, die man alltäglich in den Mund nimmt und so gar nichts von ihnen weiß. Mir wird klar, dass wir alle nur auf einer Oberfläche herumkratzen. Mehr ist für den Alltag auch gar nicht nötig. Unsere Begabungen sind speziell, aber sie heben sich objektiv nicht allzu sehr von denen anderer Lebewesen ab. Das Einbildungsvermögen des Menschen halte ich für außerordentlich. Hinzu kommen Sprache und beschränkt die Fähigkeit logischen Denkens. Der Mensch ist ein wundersames Tier, welches nicht nur der Erde, sondern vor allem sich selbst Probleme macht.
Ich lag im Bett, die Augen geschlossen und dachte so herum, angelte nach Träumen. Hinter dem Vorhang lag die Nacht, ohne Mond und Sterne. Ein dickes Wolkenpaket versperrte die Sicht. Ich musste dazu nicht hinausschauen. Ich forschte im Halbschlaf nach Wörtern mit der Vorsilbe „Hei“.
Heilen, Heide, Haifisch… Ich schmunzelte ins Kopfkissen. Neben mir der Atem meiner Partnerin. Wir leben seit zwei Jahren zusammen. Wahnsinn. In der Dunkelheit schmolz alles zusammen zu Ahnungen und Schatten. Mein bester Rückzugsort bin ich selbst. Ich liebe den Schlaf und die Ruhe. Wahrscheinlich erinnere ich mich dabei an den Zustand vor meiner Geburt in der Placenta meiner Mutter. Wozu aufwachen, wenn man endlos träumen kann?
Die Nacht machte mir nie Angst. Darum hielt ich es auch gut im Nachtdienst aus, selbst als ich schließlich alleine war. Alleine mit fünfzig alten, pflegebedürftigen und dementen Säcken. Tausendmal besser als der Tag mit seinen Idiotien, wenn die Maschinerie der Klotzköpfe die Regie übernimmt.
Seit zwei Jahren schlafe ich wieder nachts und wache am Tage. Ich ticke wieder normal, aber was ist schon normal?

Ich war nicht mehr auf Wörtersuche. Ich war im Niemandsland angekommen. Alle Gesetze nichtig, die von Menschen erhobenen wie die physikalischen. Mein Gehirn kotzte sich unkontrolliert aus. Nein, es war kein Kotzen, eher ein Würgen. Ich schaute mir selbst dabei zu…

Jedes Aufwachen eine langsame Geburt hinein in die Wirklichkeit der Klotzköpfe.
Muss man wissen, wofür das alles gut ist?

ein literarisches Tagebuch

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