Montag, 28. Dezember 2015

Durst


Einfach nur zu existieren, ist bereits immens anstrengend. Jedenfalls fühle ich mich gerade danach. Die Abreise O.s und das überlange Weihnachtswochenende zogen mich runter. Es fiel mir total schwer, mich zu irgendwelchen sinnvollen Aktivitäten aufzuraffen. Abends fraß ich mich voll und ging früh zu Bett. Der Blues des Lebens schlug zu. Mitten in der Nacht lag ich wach und erstellte eine Liste mit meinen Ängsten, in alphabetischer Reihenfolge. Ich kam nur bis „D“… D wie Darmverschluss, Demenz und Durst…

Am Sonntagnachmittag ging ich zum Breitscheidplatz, um wenigstens einmal vor der Tür gewesen zu sein. Mir fiel nichts Besseres ein: Eine Runde um die Gedächtniskirche drehen, einen Glühwein mit Schuss trinken, vielleicht an einem der vielen Fressstände für zuhause was zu futtern mitnehmen und in einer Kneipe sitzen, um ein paar Postkarten mit Neujahrsgrüßen zu schreiben.
Ich fand in einer Nebenstraße zum Kudamm eine Altberliner Bierkneipe. Als ich eintrat, waren da nur der Wirt und eine Dame, die schon bessere Jahre gesehen hatte. Ich setzte mich an die Bar. In der Ecke lief eine Glotze. Die Kneipe war größer, als es von außen den Anschein hatte. Fast auf jedem Tisch stand ein Reserviert-Schildchen, wie ich auf dem Weg zur Toilette feststellte. Die Küche machte gerade erst auf. Überall grinsten mich von den Wänden Berliner Zeugnisse an, teils bereits vergilbt. Die Wirtschaft machte insgesamt einen leicht heruntergekommenen Eindruck. Auf den Fenstersimsen in der Toilette standen Plastikblumen. Na ja, als Gast bekam man selten seine Wunschkneipe. Hauptsache, ich konnte in Ruhe mein Bier trinken und die Karten schreiben.
Inzwischen stand die Wirtin hinterm Tresen. Sie schaute sich mit ihrem Mann zusammen eine dieser halbdokumentarischen Sendungen an, in der ein Gastronomieprofi einem abgehalfterten Betrieb wieder Leben einhauchen sollte. Die Wirtsleute der Altberliner Kneipe amüsierten sich, obwohl ihre Kneipe fast alle Kriterien erfüllte welche der Gastronomieprofi im TV bemängelte. Offensichtlich waren sie betriebsblind. Die ersten Gäste, ausnahmslos Touristen, kamen. Ich verlangte die Rechnung und glaubte meinen Augen nicht zu trauen: Fünf Euro Dreißig für ein gezapftes 0,4 Berliner Kindl! Einen solch horrenden Bierpreis erwartete ich nicht in dieser Kneipe.
Die Sonne hatte sich längst hinterm Kudamm verabschiedet, als ich die Rückfahrt antrat. Mit der U2 sind es nur drei Haltestellen. Beim Spätkauf besorgte ich mir schnell noch drei Flaschen Sternburg. Nur für alle Fälle. Mein Durst war bereits gestillt.

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