Freitag, 25. Dezember 2015

Kopf stehen


„Vielleicht büßt man mit der Vergangenheit für seine Zukunft“… ein Gedanke entgegen der Vorstellung, dass der Zeitpfeil alle Geschehnisse bestimmt.
Wir gewöhnten uns derart an die alltäglichen Kausalitätsketten, dass wir selbstverständlich davon ausgehen, alles (wirklich alles!) müsse seine Ursache in der Vergangenheit haben. Doch die Wissenschaft lehrt uns Anderes: es muss nicht notwendigerweise so sein, wie es den Anschein hat. Man darf nicht immer seinen Sinnen (und auch nicht seinem Verstand) trauen. Nur oberflächlich erscheint alles logisch und folgerichtig, wie wir es wahrnehmen. Darum verblüffen uns Zaubertricks. Wir lechzen geradezu nach dem Ungewöhnlichen. Wir sehnen uns nach dem Wunder, dass Lahme wieder laufen, Blinde wieder sehen können und wir bei der nächsten Ziehung im Lotto gewinnen.
Unser Gehirn tut sich schwer damit, eingeschliffene Denkgewohnheiten zu ändern. Mir vorzustellen, dass es vielleicht die Möglichkeit gibt, dass Dinge von der Zukunft in die Vergangenheit wirken, empfinde ich als eine undurchdringliche Mauer, gegen welche ich wie ein Ochse anrenne. Wie schön wäre es darum, wenn es Wunder tatsächlich gäbe - wie schön wäre es, wenn wir die Ketten des schnöden Alltags einfach sprengen und die Mauern unseres eingefahrenen Denkens durchbrechen könnten.
Gerade an Weihnachten empfinde ich diese Sehnsucht. Die Jesus Geburt wird seit vielen Jahrhunderten als ein großes Wunder gehandelt. Ich zweifle daran, ob es jemals eines war. Mir geht es wie dem ersten Menschen im Weltraum, Juri Gagarin: "Ich bin in den Weltraum geflogen, aber Gott habe ich dort nicht gesehen.“ Inzwischen ist bekannt, dass die Sowjets ihm diesen Ausspruch nachträglich in den Mund legten – sei`s drum. Ich sehe keine Weihnachten, sondern nur ein dummes Konsum- und Familienfest. Ein Wunder wäre es in meinen Augen, wenn es künftig kein Weihnachten mehr gäbe – dies wäre eines der Wunder, welches mich (wieder) an die Menschheit glauben ließe. Jesus starb nicht nur für die Sünden der Menschen seiner Zeit am Kreuz, sondern bestimmt auch für alle zukünftigen. (Ich versuche einen Sinn in der Geschichte zu entdecken.)
Das einzige echte Wunder ist die Existenz an sich, damit verbunden Bewusstsein, Leben und Tod, die Vielfalt der Erscheinungen und Zeit als Maßstab des Vergänglichen. Ich rätsele über die Bedeutung des Menschen: über die Widersprüchlichkeit des Menschen, seine Dummheiten und Grausamkeiten… Wir brauchen die Heiligen, Helden und Weltretter, damit wir besser schlafen können. Wir büßen stets für unsere Zukunft, nie für unsere Vergangenheit. Die Vergangenheit ist uns verziehen…

ein literarisches Tagebuch

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