Der Keim
Ich stelle mir vor, was von der Welt übrig bliebe, wenn es nicht neugierige und phantasiebegabte Lebewesen wie uns Menschen gäbe, die ins Weltall glotzen, die Natur erforschen und Licht und Dunkelheit erkennen – visuell wie moralisch. Bliebe da nicht nur ein Skelett, oder überhaupt etwas? Die Welt wäre einfach eine Struktur, ein Netz, ein gewisses Ding, das genau so gut gar nicht existieren könnte. Selbst die mathematischen Verhältnisse wären nicht von Interesse. Niemanden ginge irgendwas an. Für wen sollte die Sonne auf oder untergehen? Es gäbe weder das Empfinden für Leben oder Tod, kein Empfinden für Grausamkeit oder Liebe, für Gerechtigkeit oder die Schmach der Ungerechtigkeit. Selbst Gott würde keinen Sinn machen - er wäre wie ein schlafender Riese in einem Bett aus Nichts.
Das gesamte Dasein dreht sich um mich, um mein Bewusstsein und meine Sinne im Hier und Jetzt, an einem Tag auf der Erde, in einem Sonnensystem irgendwo in der Milchstraße unter Milliarden anderer Galaxien in einem unfassbar großen Gebilde von Raum und Zeit. Und ich bin so gut wie du…, so gut wie abertausend andere Geschöpfe, die an einem anderen Ort und in einer anderen Zeit leben, denken und fühlen und fragend aus dem Fenster schauen auf all das… Jeder von uns ist in seinem Irrgarten gefangen, um ihn immer und immer wieder zu durchwandern – alles kehrt zurück, beginnt aufs Neue und verschlingt uns.
Was gibt es mehr zu verlieren als die eigene hoffnungslose Verlorenheit? Wie Insekten kriechen wir auf einer endlosen weißen Wand entlang – doch gäbe es uns Insekten nicht, fiele die Wand in sich zusammen, als hätte nie etwas existiert.
bonanzaMARGOT
- 15. Jul. 15, 15:41
- boMAs Gedichte und Texte