Es ist eben so
Wofür nehmen wir uns Zeit? Wozu brauchen wir Zeit? Ist Zeitdruck ein Phänomen der heutigen Industriegesellschaft? Redensarten wie „Zeit ist Geld“ scheinen dafür zu sprechen. Wir reden von Zeitmanagement, und wenn wir Verabredungen treffen, benutzen wir einen Terminplaner. Manche Menschen sind ständig in Zeitnot. Sie sprechen davon, dass sie nie Zeit für sich finden. Ich weiß nicht, ob ich ihnen glauben kann. Natürlich gibt es Lebenssituationen, in denen wir furchtbar eingespannt sind – nur beschleicht mich das Gefühl, dass sie mit ihrem Eingespannt-Sein und der Zeitnot kokettieren. Sie wollen gar nichts daran ändern, weil sie nichts mit sich anzufangen wüssten. Sie können sich aus irgendeinem Grunde nicht selbst ertragen. Sie hasten durchs Leben, als würden sie von einem Gespenst verfolgt. Dieses Gespenst hat viele Gesichter: Erfolg, Geld, Macht, Einfluss, Sicherheit… Oder man sucht das Besondere, will unbedingt das Neueste, das Ultimative, den Kick oder Flash… Dafür steht man stundenlang Schlange, dafür macht man sich zum Affen, dafür riskiert man unter Umständen sogar sein Leben.
Zeit gibt es offenbar für alles – es muss nur als wichtig oder notwendig genug erachtet werden. Den Menschen wird suggeriert, was sie (unbedingt) brauchen, damit sie im „Monopoly-Spiel“ des Lebens mithalten können, sozusagen up to date bleiben. Wer sich absondert, gehört zu den Verlierern. Artgenossen, welche sich die Zeit nehmen, kritisch über diesen Wahn(sinn) nachzudenken, finden so gut wie nie Gehör. Man belächelt sie gnädig oder rümpft die Nase.
„Es ist eben so“, sagte damals mein Vater, wenn ich gewisse Gewohnheiten und Rituale hinterfragte. Ich weiß, dass ihm solche Fragen unbequem… tabu waren. Vielleicht lag es an seiner pragmatischen und materialistischen Einstellung zur Welt. (Ich weiß nicht, denn darüber konnte ich nicht mit ihm reden. Ich mache ihm deswegen keine Vorwürfe. Über so was zu reden, war einfach nicht sein Ding.)
Ich überlegte heute Mittag lange, wie es eigentlich zu einem Kult kommt, und was Kult für den Menschen bedeutet. Im Internet fand ich außer der normalen Wikipedia-Definition nichts Erhellendes darüber. Warum eigentlich? Denn schließlich ist die Welt voller Kulte. Sie explodiert förmlich vor lauter Kulten. Aber offenbar schaffen wir Menschen es nicht, darüber mal kritisch zu reflektieren. Womöglich sind wir dazu bei dem ganzen Zeitdruck, unter dem wir stehen, überfordert. Ich persönlich habe alle Zeit der Welt, mir über einen solchen Blödsinn Gedanken zu machen. So war ich schon immer. Mir springen der Unsinn und die Ungerechtigkeiten regelrecht ins Auge.
Wir Menschen sind Getriebene. Ich wünsche mir, dass wir uns alle selbstbewusster und kritischer überlegen sollten, von was wir getrieben werden. Dafür sollte Zeit sein. Die Freiheit dazu haben wir.
bonanzaMARGOT
- 24. Jun. 15, 16:06
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