Freitag, 30. Mai 2014

Auslöser


Körper werden durch die Luft geschleudert. Ein Feuerball breitet sich über dem Deck des Schiffes aus. Ich sehe eine Doku über den Falklandkrieg. Tränen steigen mir in die Augen. 1982 – ich machte mein Abi und fing im Spätjahr eine Ausbildung zum Technischen Zeichner in einem Ingenieurbüro an. Ich war frisch verliebt und unternahm im Sommer eine spannende Interrail-Reise.
„Lehrjahre sind keine Herrenjahre“, sagten meine Bosse. Beide waren Arschlöcher. Ihre Welt bestand aus Arbeit und Großkotz. Die Flasche Ballantines auf dem Schreibtisch und eine teure Zigarre im Mund. Im Hausflur die Golfschläger und am Straßenrand ein Porsche Targa. Mein einziges Potential war meine Jugend. Ich interessierte mich für meinen Job herzlich wenig. Aber ich machte ihn, weil ich etwas machen musste und keine andere Idee hatte. Zum Bund wollte ich auf keine Fälle, und durch die Ausbildung wurde ich erst mal zurückgestellt.
1982 – ich hatte eine schöne Freundin und fühlte mich erwachsen, weil ich nun zur arbeitenden Bevölkerung gehörte. Vor 32 Jahren. Unfassbar. Ich kann es nicht glauben, dass ich immer noch auf der Welt bin. Ich musste in keinen Krieg. Die Doku ist berührend und gut. Viele junge argentinische und englische Soldaten ließen ihr Leben. Die Mutter eines gefallenen Soldaten kommt zu Wort. Sie war stolz auf ihren Sohn gewesen, als sie ihn damals in den Krieg ziehen sah. Ein Leichensack kam zurück. Nicht wenige Veteranen nahmen sich in den Jahren danach das Leben. Posttraumatische Belastungsstörung. Man ließ sie allein damit. Viele verfielen dem Alkohol.
In der Kneipe trank ich stolz mein Feierabendbier und spielte Billard. Ich war gar nicht mal so schlecht. Am nächsten Morgen dann mit dickem Kopf ins Büro, wo ich mich hinter dem hochgestellten Zeichenbrett versteckte, und hoffte, dass die Bosse zu einer Baubesprechung fuhren. Waren sie weg, wurde die Atmosphäre unter den Mitarbeitern viel entspannter. Da ließ es sich aushalten. Meine Freundin holte mich manchmal von der Arbeit ab. Mein Gott, war sie jung und hübsch! Vier Jahre waren wir ein Paar. Ihr Vater hatte eine Metzgerei und verdiente ganz gut. Er kaufte eine Villa, und meine Freundin durfte manchmal den Mercedes nehmen …
Ich las damals Cesare Pavese und Hemingway und schrieb meine ersten Kurzgeschichten. Ich war unbefangen. Ich war gespannt auf das, was noch kommen würde. Dabei wusste ich nicht, was ich eigentlich wollte. Das Leben sollte ein einziges Abenteuer sein. Auch die jungen Soldaten, die in den Falklandkrieg zogen, fassten es als Abenteuer auf. Die eiserne Lady Thatcher hatte den Befehl erteilt, und die Bevölkerung jubelte. Die Falklandinseln mussten zurückerobert werden. Der Nationalstolz gebot es. Inseln am anderen Ende der Welt – Überreste des British Empire.
Ich stand hinter meinem Zeichenbrett mit einem Kater und änderte irgendwelche Pläne um, die mich nicht die Bohne interessierten. Von der Schule her war ich es gewohnt, Sachen halbherzig zu machen, nur um über die Runden zu kommen, weil es sein musste, weil es keine Alternative gab. Jedenfalls keine bessere. Ich machte das, was fast alle meiner Kumpels taten, ganz egal, ob sie beim Bund waren, eine Ausbildung machten oder studierten. Nach dem Schulabschluss kam man vom Regen in die Traufe. Der einzige Unterschied war, dass man nun als erwachsen galt. Die Welt stand uns offen. Natürlich ein Trugbild.
32 Jahre später sitze ich an meinem Schreibtisch und versinke in die Vergangenheit. Die Doku gab den Auslöser. Die jungen Soldaten, die damals in den Krieg zogen, waren Altersgenossen.
(Bin ich noch die Rotznase von früher? Was änderte sich? An welchem Punkt meines Lebens stehe ich heute? Was wird werden? Habe ich heute klarere Ziele?)

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