Worte versagen
Inge liegt im Sterben. Mein Vermieter ist kräftig am Ausmisten. Es tut sich was. Das Wetter sommerlich. Ob Inge am Abend noch lebt? „Wir hatten eine schöne Zeit“, meinte sie. Ich weiß nicht, was die 92-jährige Greisin in mir sah. Ihre Demenz nahm in den letzten Monaten merklich zu. Sie aß nicht mehr und magerte ab. Nun liegt sie im Sterben. Sie nahm meine Hand und drückte sie an ihre Wange. Ich saß bei ihr auf der Bettkante und flößte ihr die Nachtmedikamente ein, gab ihr einen Kuss auf die Stirn, bevor ich ging. Sie gehört zu den Bewohnern, die mir nahe gehen. Dreieinhalb Jahre. Sie forderte mich ganz schön – in menschlicher Hinsicht. Keine einfache Persönlichkeit. Ich glaube, sie war wirklich in mich verliebt. Verrückt. Einerseits fand ich es drollig, auf der anderen Seite war es mir unangenehm. Ich wünsche ihr, dass sie sich nicht noch tagelang quälen muss. „Inge, Inge“, sagte ich und lächelte sie an - auch etwas aus Verlegenheit. Das alles ist schwer auszuhalten.
Plötzlich ist Sommer. Die letzten Nachtdienste vor meinem Urlaub. Jetzt nicht schlapp machen.
bonanzaMARGOT
- 20. Mai. 14, 15:00
- Nach der Nachtwache ist vor der Nachtwache